Essen. Anwohner im Essener Norden schildern, wie sie den Gewaltrausch des 41-jährigen Syrers erlebten. Auch sie geben Hinweise auf eine Beziehungstat.

Am Tag danach ist Petra Stolarski noch immer fassungslos. Die 69-Jährige wohnt in der Pielstickerstraße in Altenessen, gleich neben dem Mehrfamilienhaus, auf das tags zuvor ein 41-jähriger Syrer mutmaßlich einen Brandanschlag verübt hat. Dramatische Szenen haben sich dort am Samstagnachmittag abgespielt. Petra Stolarski hat es mit eigenen Augen gesehen. „Die Kinder saßen auf dem Sims, Leute haben Leitern angelegt und die Kinder heruntergereicht“, erzählt die Nachbarin und zeigt hinauf zu den Dachfenstern des Nachbarhauses.

An der Rückfront des Hauses lehnen noch zwei ausziehbare Leitern. Ein Fenster im Obergeschoss steht offen und auch die Haustür, die offensichtlich mit Gewalt geöffnet wurde. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein Polizeiwagen. Zwei Polizeibeamte achten darauf, dass keine Unbefugten das Haus betreten.

Retter griffen beherzt zu Leitern, die eher zufällig auf einer Garage gelagert wurden

Petra Stolarski sah, wie die Bewohner des Nachbarhauses an der Pielsticker Straße gerettet wurden.
Petra Stolarski sah, wie die Bewohner des Nachbarhauses an der Pielsticker Straße gerettet wurden. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Stefan Engler darf kurz nach dem Rechten sehen. Er ist Geschäftsführer des Endo-Hauses, einem Sanitärbetrieb im Erdgeschoss. Die Leitern lagerten mit Teilen eines Gerüstes auf Garagen, die sich an das Haus anschließen. Ein Glücksfall. Lebensretter griffen beherzt zu, als es für die Bewohner kein Entkommen mehr gab. „Das waren Helden“, sagt ein Nachbar, der sich als Tom vorstellt. „Die Feuerwehr hat dann drei Frauen aus den Fenstern geholt“, berichtet Petra Stolarski. Die schlimmste Szene aber sei die Rettung der Kinder gewesen.

Der Täter wohnte ganz in der Nähe, seine Frau hatte ihn verlassen, berichten Nachbarn

Zwei Kinder schweben in Lebensgefahr und werden in Kliniken behandelt. Insgesamt 30 Verletzte zählen Feuerwehr und Polizei bis zum Abend, als der Täter an der Katernberger Straße festgenommen und über sein Motiv noch gerätselt wird. Dass es eine Beziehungstat gewesen sei, wie Innenminister Herbert Reul am Sonntag mitteilt, dafür hat man auch an der Zollvereinstraße Hinweise, wo mehrere Männer auf einer Grünfläche vor dem Haus Nummer 64 sitzen.

Der Eingang zum Brandhaus an der Zollvereinstraße 64 ist mit Flatterband gesperrt.
Der Eingang zum Brandhaus an der Zollvereinstraße 64 ist mit Flatterband gesperrt. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Der Eingang zu dem Mehrfamilienhaus ist mit rot-weißem Flatterband abgesperrt, tiefe Reifenspuren haben sich in die Wiese eingegraben. Die Feuerwehr war angerückt, nachdem der Brandstifter hier offensichtlich ein zweites Mal Feuer gelegt hatte. Auch hier spielten sich dramatische Szenen ab. Rabih Tamer, der im Haus nebenan wohnt, schildert, wie er mit einem Nachbarn eine Frau und deren zwei Kinder durch das völlig verrauchte Treppenhaus ins Freie trug. Valid Gümüs, der im ersten Stock wohnt, konnte sich selbst retten. Vor dem Rauch schützte er sich, in dem er sich ein nasses T-Shirt vor das Gesicht hielt.

Hausbewohner und Nachbarn sitzen vor dem Brandhaus an der Zollvereinstraße 64. Der mutmaßliche Brandstifter war in der Nachbarschaft bekannt.
Hausbewohner und Nachbarn sitzen vor dem Brandhaus an der Zollvereinstraße 64. Der mutmaßliche Brandstifter war in der Nachbarschaft bekannt. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Der mutmaßliche Täter sei ihm bekannt, erzählt Gümüs. Der 41-Jährige habe mit seiner Familie gleich hinter dem nächsten Häuserblock gewohnt. Seine Frau habe ihn mit den Kindern schon vor längerer Zeit verlassen. Immer wieder sei er danach in der Siedlung aufgetaucht, habe gedroht, und ihm auch ein Messer gezeigt. „Der war auf Drogen“, ist sich Gümüs sicher. „Ich habe ihm gesagt, er soll das lassen. Ich war auch ein paar mal bei der Polizei.“

In der Siedlung an der Zollvereinstraße war der mutmaßliche Brandstifter bereits aufgefallen

Wem galten Drohungen? „Er hatte meinen Nachbarn auf dem Kieker. Warum, weiß ich nicht“, erzählt Gümüs. Offenbar war dieser Nachbar auch Ziel des Brandanschlages. In welchem Verhältnis der mutmaßliche Täter und das Opfer zueinander standen, bleibt offen. Die Frauen der beiden hätten sich gekannt, weiß Valid Gümüs.

Der Eingang zum „Al Walid Markt“ an der Ecke Katernberger Straße/Maybuschhof ist mit Brettern vernagelt. Der Täter hatte seinen Kastenwagen dort hineingelenkt.
Der Eingang zum „Al Walid Markt“ an der Ecke Katernberger Straße/Maybuschhof ist mit Brettern vernagelt. Der Täter hatte seinen Kastenwagen dort hineingelenkt. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Wie Volker Schröder, der Anwalt des mutmaßlichen Brandstifters am Sonntag berichtete, stand ein Prozess gegen 41-Jährigen wegen des Tatvorwurfs der Bedrohung unmittelbar bevor. Nun dürfte die Anklageschrift um einige Punkte ergänzt werden.

Am Tag danach ist die zerstörte Eingangstür zum Gemüseladen in Katernberg mit Brettern vernagelt

  • Die Lokalredaktion Essen ist auch bei WhatsApp! Abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Kanal: direkt zum Channel!

In Katernberg machen derweil Gerüchte die Runde. Die Frau des Täters habe in einem der beiden Häuser gewohnt, in denen der Brandstifter Feuer gelegt hat, der Schwiegervater in dem anderen Haus. Auch bei den Betreibern der beiden Gemüseläden soll es sich um Verwandte handeln.

Von der Zollvereinstraße aus hatte der 41-Jährige seinen Kastenwagen an die Ecke Katernberger Straße/Maybuschhof gelenkt und steuerte das Fahrzeug dort in den Eingang eines ersten Gemüseladens, dem „Al Walid-Markt“. Tags darauf ist die Eingangstür mit Holzbrettern vernagelt, der Bürgersteig ist mit Glasscherben übersät.

Anwohner Lurmi Gashi glaubte an einen Verkehrsunfall, als er vor dem „Arabischen Haus“ einen lauten Knall hörte.
Anwohner Lurmi Gashi glaubte an einen Verkehrsunfall, als er vor dem „Arabischen Haus“ einen lauten Knall hörte. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Bis zum „Arabischen Haus“, einem weiteren Gemüseladen an der Katernberger Straße, sind es nur wenige Hundert Meter. Dieser Laden liegt in einer gefährlichen Kurve. Lurmi Gashi, der im Haus nebenan wohnt, wundert sich deshalb zunächst nicht, als es am frühen Samstagabend draußen einen lauten Knall gibt. Nicht nur einmal hätten Raser in der Kurve die Kontrolle über ihren Wagen verloren und seien vor den Stahlmast der Straßenbahnoberleitung gedonnert, erzählt der 48-Jährige. Doch diesmal ist es kein Verkehrsunfall.

Polizisten stellen den mutmaßlichen Täter in einem Hinterhof in Katernberg

Die Eingangstür zum „Arabischen Haus“ an der Katernberger Straße ist zerstört und mit einer Holztür notdürftig verschlossen.
Die Eingangstür zum „Arabischen Haus“ an der Katernberger Straße ist zerstört und mit einer Holztür notdürftig verschlossen. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Als er aus dem Fenster im ersten Stock auf die Straße blickt, sieht Lumir Gashi einen Mann, der mit einer Machete und einem Messer in den Händen auf dem Bürgersteig herumfuchtelt. Die ausgefahrene Jalousie des Ladens und eine Blumenampel verdecken ihm den Blick aufs Geschehen. Was genau im „Arabischen Haus“ passiert, ist unklar, es bleibt jedenfalls eine zerstörte Eingangstür zurück.

Es ist die letzte sichtbare Spur einer Zerstörungswut, die viele an diesem Sonntag nicht nur im Essener Norden fassungslos zurücklässt. Wenig später stellen zwei Polizisten den 41-Jährigen wenige Meter weiter in einem Hinterhof an der Katernberger Straße und zwingen ihn mit vorgehaltenen Waffen zur Aufgabe.

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]