Essen. Theater und Philharmonie Essen hat wieder mehr als 300.000 Besuche gezählt: Trotz Zuschauerplus herrscht im Opernhaus derzeit aber Unruhe.
Die Theater und Philharmonie Essen (TuP) vermeldet wieder steigende Besucherzahlen. „Seit dem Pandemie-Einschnitt in der Spielzeit 2019/2020 haben wir zum ersten Mal wieder die Marke von 300.000 Besuchen überschritten“, sagt TuP-Geschäftsführer Fritz Frömming. Der Anstieg um 10.000 Besuche im Vergleich zur Vorsaison zeige, „dass wir uns in einer nach wie vor schwierigen Zeit auf einem guten Weg befinden“, so Frömming. Bei aller Zuversicht sieht der Geschäftsführer aber auch noch Verbesserungsbedarf: „In Aalto, Grillo und Philharmonie gibt es immer noch freie Plätze, die belegt werden können. Wir werden weiter stark daran arbeiten, Interesse für unsere Angebote zu wecken. Genau das muss unser Ziel für die kommenden Jahre sein.“
Vor allem das Aalto-Theater, lange Zeit glanzvolles Aushängeschild des Essener Kulturlebens mit Auslastungsquoten von 90 Prozent und mehr, ringt um sein Renommee. Große Eröffnungs-Produktionen wie Verdis „Macbeth“ wurden in der Spielzeit 2023/24 kein Erfolg. Auch ein Partizipationsprojekt wie „L’amant anonyme“ fiel beim Publikum durch und ließ zuweilen wenige hundert Zuschauer im 1250 Plätze fassenden Musiktheater verloren zurück.
Immerhin: Das Musical „My Fair Lady“ sorgte mit fast 15.000 Besuchern und zumeist ausverkauften Vorstellungen für einen respektablen Publikumserfolg. Auch die Jugendoper-Produktion „Die Geisterritter“ nach dem Roman von Cornelia Funke lockte rund 5000 Jugendliche und Erwachsene ins Opernhaus: Mit knapp 78.000 Besuchen beendete das Aalto damit die Saison, blieb aber noch klar unter den 93.000 Besuchen in der Vor-Corona-Spielzeit 2018/19.
Das Ballett liegt in der Zuschauergunst weit vorne
Die Zahlen aus der Vor-Coronazeit (2018/19 zählte das Theater noch 58.000 Gäste) erreicht auch das Schauspiel Essen mit knapp 45.000 Besucherinnen und Besuchern nicht. Das neue Intendantinnen-Team mit Selen Kara und Christina Zintl dürfte mit dem Ergebnis der ersten Spielzeit gleichwohl zufrieden sein. Ihr Start mit einem neu zusammengestellten Ensemble, neuer Spielplan-Ausrichtung und vielen ungewöhnlichen Formaten hat darauf gesetzt, auch neue Publikumsschichten zu erreichen.
Zuschauerfavoriten waren die Theateradaption des Kinoerfolges „Rausch“ oder „Doktormutter Faust“ mit jeweils rund 5000 Gästen. Ein sattes Drittel der gesamten Besucherzahl hat aber das Familienstück „Die rote Zora und ihre Bande“ mit 15.000 Gästen eingespielt. In der aktuellen Spielzeit werden die beiden Theaterchefinnen jedoch Einbußen in Kauf nehmen müssen. Mit dem Wegfall einer Spielstätte, der „Casa“ in der Theaterpassage, wird 2024/25 die Zahl der Vorstellungen und zwangsläufig auch die Zahl der Zuschauer zurückgehen. Die Suche nach einem Ersatzspielort blieb bislang offenbar erfolglos. „Wir sind noch in Verhandlungen“, sagt Geschäftsführer Fritz Frömming.
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Ein Garant für gute Auslastungszahlen war in der vergangenen Spielzeit wiederum das Ballett. Nahezu 64.000 Besucher besuchten noch einmal die Produktionen des im Sommer verabschiedeten Intendanten, Ben Van Cauwenberg. Seine Nachfolger Armen Hakobyan und Marek Tůma werden das Erbe noch weiter pflegen. Der Dauerbrenner „Tanzhommage an Queen“, der in der Spielzeit 2023/24 allein 12.000 Menschen ins Aalto lockte, dürfte auch in dieser Spielzeit weiterhin für ausverkaufte Abende sorgen - wie der Chaplin-Abend „Smile“, der Vierteiler „Last“ und „Schwanensee“.
Eine verlässliche Größe im Angebot der TuP bleibt die Philharmonie. Im 20. Jubiläumsjahr besuchten 80.000 Menschen das Konzerthaus mit seinem vielseitigen Repertoire vom großen Orchesterkonzert (Chicago Symphony Orchestra, London Philharmonic Orchestra) bis zum vergnüglichen Entertainment (Takeover! by Miki, Götz Alsmann). Auch die Sinfoniekonzerte der Essener Philharmoniker sind gefragt. 37.000 Menschen erlebten die Auftritte des traditionsreichen Essener Orchesters, das 2024 sein 125-jähriges Bestehen feiern konnte.
Weiterhin rückläufig sind allerdings die Zahlen der Abonnenten. Vom dramatischen Einbruch während der Coronakrise habe man sich noch immer nicht erholt, bedauert Geschäftsführer Fritz Frömming, wobei der Rückgang im Aalto-Theater etwas geringer ausfalle als in den andern Sparten.
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Als wenig förderlich dürften sich angesichts der nachlassenden Publikumsbindung dabei Produktionen wie die jüngste „Zauberflöte“ auswirken. Eigentlich ein Selbstläufer im Repertoire und potenzieller Kassenschlager, sorgte die von Regisseurin Magdalena Fuchsberger „neu gedeutete“ Mozart-Oper gleich zum Auftakt der aktuellen Saison für aufgeregte Premierenbuhs und irritierte Zuschauerreaktionen. Ob die Produktion nicht nur künstlerisch, sondern auch in Sachen Auslastung zur herben Enttäuschung gerät, wird sich erst in der kommenden Bilanz zeigen
„Es ist der Versuch, sich den kritischen Aspekten der „Zauberflöte“ zu widmen und eine unbedingte Obrigkeitshörigkeit zu hinterfragen. Mit Magdalena Fuchsberger haben wir eine Regisseurin engagiert, die diese Aspekte mutig in Szene gesetzt hat. Das birgt ein gewisses Risiko - aber eben auch das Potenzial, etwas völlig Neues zu entdecken. Ich finde, solche Risiken dürfen und müssen wir eingehen, auch mit der Gefahr des Scheiterns.“
Gleichwohl steht die Produktion exemplarisch für das Dilemma der Intendantin Merle Fahrholz, die 2022 als Nachfolgerin des vorzeitig nach Köln gewechselten Intendanten Hein Mulders ans Aalto verpflichtet wurde. Große Publikumserfolge bleiben unter ihrer Ägide bislang Mangelware und Inszenierungen, die auch in der zweiten und dritten Saison noch die Ränge füllen, sind somit eher die Ausnahme als die Regel. Viele Neuproduktionen verschwinden stattdessen schon nach einer Saison wieder vom Spielplan, ein Problem fürs Repertoiretheater, das auf Langlebigkeit setzt.
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Langjährige Vertraute des Musiktheaters betrachten die künstlerische Entwicklung des schwächelnden Hauses mittlerweile jedenfalls mit Sorge. Dass es innerhalb der Opernhaus-Belegschaft rumort, ist ein offenes Geheimnis. Hinter den Kulissen wird mehr oder minder offen opponiert, einige Mitarbeiter sollen sich bereits mit Abwanderungsgedanken tragen. Zumal die für viele nicht nachvollziehbare Nichtverlängerung des Publikumslieblings Jesscia Muirhead Verunsicherung hinterlassen hat. Und auch die Zusammenarbeit mit dem Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti scheint nicht so reibungslos zu funktionieren, wie sich mancher das erhofft hatte.
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Die mit ihrem künstlerischen Kurs in die Kritik geratene Aalto-Intendantin Merle Fahrholz setzt dabei eigentlich vieles von dem um, was ihr die Findungskommission vor drei Jahren in die Stellenbeschreibung geschrieben hat. Die angekündigten Schwerpunkte der vormaligen Dortmunder Chef-Dramaturgin, darunter die Förderung eines Komponistinnenschwerpunkts und die Etablierung zeitgemäßer Musiktheater-Interpretationen, fanden in der aus Essener Lokalpolitikern und Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain zusammengesetzte Kommission breite Zustimmung.
Seither sorgen die Spielpläne jedoch für eine recht mäßige Bilanz. Die Inszenierung der Oper „Fausto“ von Louise Bertin wurde vom Fachmagazin „Opernwelt“ unlängst zwar zur „Wiederentdeckung des Jahres“ gekürt. Als unglücklich galt vielen indes die Entscheidung der Aalto-Chefin, das spektakuläre und mit dem bedeutenden Theaterpreis „Faust“ geehrte Auftragswerk „Dogville“ nicht mehr auf die Bühne zu bringen.
Die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung hätten durchaus registriert, dass es Handlungsbedarf gibt, sagt der Geschäftsführer. „Man nimmt das sehr ernst und diskutiert das.“ Ein bedeutendes Fünf-Sparten-Haus wie die Theater und Philharmonie Essen müsse sich eben „laufend nach außen legitimieren“. Und das nicht nur mit guten Auslastungszahlen, sondern auch mit einem Programm, „das die Essenerinnen und Essener anspricht.“
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