Essen. Grow it, Show it!: Folkwang-Fotografieausstellung kümmert sich um die kulturelle Bedeutung von Frisuren. Im Museum werden auch Haare geschnitten.

Vom fransig-frechen Ponylook bis zum stilbildenden Kanzlerinnen-Kurzhaarschnitt ist es ein langer Weg. Die Fotografin Herlinde Koelbl hat Angela Merkel mit der Kamera 30 Jahre lang begleitet. Die Schwarz-Weiß-Porträts, die jetzt im Museum Folkwang zu sehen sind, zeigen, dass die Politik der ruhigen Hand auch auf dem Kopf keine wilden Experimente zugelassen hat.

30 Jahre lang hat die Fotografin Herlinde Koelbl mit der Kamera Angela Merkel begleitet. Die Fotos sind nun im Museum Folkwang zu sehen.
30 Jahre lang hat die Fotografin Herlinde Koelbl mit der Kamera Angela Merkel begleitet. Die Fotos sind nun im Museum Folkwang zu sehen. © dpa | Roland Weihrauch

Merkel ist eine von vielen bekannten Köpfen, die den Besuchern beim Rundgang durch die Ausstellung „Grow it, Show it“. Haare im Blick von Diane Arbus bis TikTok“ im Essener Museum Folkwang begegnen. Für die umfangreiche Schau haben die Kuratoren Thomas Seelig und Miriam Bettin nicht nur Fotografien aus verschiedenen Jahrhunderten versammelt - von ganz frühen Porträts um 1845 bis zu Suffo Moncloas Sturmfrisur für Gucci (2021). Hochaktuell ist auch die Social-Media-Auswahl mit YouTube-Tutorials und Videos..

Das Kuratoren-Team mit (v. li.) Thomas Seelig, Miriam Bettin und Museumsdirektor Peter Gorschlüter im Ausstellungsraum vom „Grow it, Show it“. Links im Bild zeigt der Barber Turko seine schmerzhafte Waxing-Prozedur.  
Das Kuratoren-Team mit (v. li.) Thomas Seelig, Miriam Bettin und Museumsdirektor Peter Gorschlüter im Ausstellungsraum vom „Grow it, Show it“. Links im Bild zeigt der Barber Turko seine schmerzhafte Waxing-Prozedur.   © Ursula Kaufmann

Der Ausstellungssaal im Chipperfield-Bau verwandelt sich in den kommenden vier Monaten in eine „Haarena“. Zwar ohne Trockenhaube und Friseurstuhl, aber mit jeder Menge Belegen dafür, dass Haare nicht nur Teile des Körpers bedecken, sondern immer auch Offenbarung und Statement sind, Gruppen-Zugehörigkeit oder Ablehnung von Normen signalisieren.

Live-Haarschneideaktionen und Filme

Zur Ausstellung „Grow it, Show it. Haare im Blick von Diane Arbus bis TikTok“ gehört auch ein umfangreiches Begleitprogramm. Dazu zählen ein Digitales Symposium (25. September, 16-19 Uhr) sowie Digitale Führungen für Menschen, die Kunst von zu Hause aus erleben möchten.

Aufführungen, Konzerte und Interventionen stehen sonntags zwischen 12 und 17 Uhr auf dem Programm, wenn es heißt: „Cut and Go im Salon Folkwang“. Zum Angebot gehören Live-Haarschneideaktionen und Gespräche mit Friseurinnen und Friseuren. Am 27. Oktober kommt Jens Jochem nach Essen (Vidal Sassoon Düsseldorf). Am 8. Dezember präsentiert sich mit dem Essener Samet Ahorn der Deutsche Preisträger im „Modern Barbering“.

Weitere Kooperationen gibt es mit dem Jungen Kunstring, dem Folkwang Kammerorchester, das am 23. November im Museum Folkwang spielt und mit dem Filmstudio Glückauf. Die Filmreihe startet am 28. September mit dem Klassiker „Hair“ und endet am 11. Januar 2025 mit „Rapunzel - neu verföhnt“.

Die Bilder der Dokumentarfotografin Hoda Afshar mögen da an den Protest der iranischen Frauen erinnern, die sich nach dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini ihre Haare abschneiden ließen. Nicht minder bedeutsam auch die Prozedur der Rasur. Thomas Höpkers Fotoserie von kahl geschorenen Soldaten einer Rekrutenschule in Nordamerika dokumentiert den Prozess der Gleichschaltung.

Frisuren und Hairstyles spiegeln Geschlechter- und Körperbilder

Weil Frisuren und Hairstyles auch die Geschlechter- und Körperbilder ihrer Zeit spiegeln, nehmen die identitätspolitischen Themen in der luftig gehängten Ausstellung viel Raum ein. Jürgen Baldigas Bilder von einer Drag-Community in Berlin und ihrem Kampf gegen Aids in den 1980er Jahren gehören ebenso dazu wie Luis Juárez‘ großräumige Installation mit Arbeiten seines queeren Fotomagazins Balam.

J.D,. Okhai Ojeikeres hat ab den 1960er Jahren die skulptural anmutenden Haartrachten nigerianischer Frauen dokumentiert. Dank digitaler Technik sind sie nun als eindrückliche Rauminstallation zu erleben. 
J.D,. Okhai Ojeikeres hat ab den 1960er Jahren die skulptural anmutenden Haartrachten nigerianischer Frauen dokumentiert. Dank digitaler Technik sind sie nun als eindrückliche Rauminstallation zu erleben.  © Ursula Kaufmann | Ursula Kaufmann

Das Spektrum der Arbeiten ist ansonsten groß. Es reicht von August Sanders‘ legendärer Fotoserie „Menschen des 20. Jahrhunderts“ mit berufstätigen Frauen, die Kompetenz mit straff gezogenem Scheitel untermauern, bis zum Bravo-Starschnitt, von J. D. Okhai Ojeikeres imposant geflochtenen Haartürmen nigerianischer Frauen bis zu Fotoserien von Rineke Dijkstra oder F. C. Gundlach. Annegret Soltau legt Büschel ihrer Haare in Vitrinen aus, während Ulrich Görlichs Fotografien die Körperhaar-Betrachtung zum sehr intimen Akt machen.

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Kurze Begleittexte über die Beschaffenheit von Haar und dessen kultureller Bedeutung begleiten den bisweilen etwas sprunghaft gegliederten Parcours, der nicht nur von Moden und Trends erzählt, sondern auch von sich wandelnden Körperbildern und Vorstellungen von Geschlecht. Die Bedeutung des Haars in der Erotik wird dabei nicht schamhaarhaft verdeckt, das Magazin „Butt“ illustriert beispielsweise die haarigen Vorlieben der homosexuellen Community.

Im Museum Folkwang: Wie man sich unliebsamer Haare im Gesicht entledigt

Dass Männer und Frauen auch beim Bändigen des bisweilen unliebsamen Gestrüpps äußerst beherzt vorgesehen, zeigt da Barber Turko in seinem YouTube-Video, bei dem es Gesichts- und Nasenhaaren recht ruppig an die Wurzeln geht. Und auch Tessica Brown kam als Gorilla Glue Girl 2021 zu zweifelhafter Internet-Prominenz, weil sie ihre Frisur recht dauerhaft mit Klebstoff fixierte. Angela Merkel reichte dafür ein bisschen Haarspray.

„Grow it, Show it“, bis 12. Januar 2025. Eintritt 10/6 Euro. Mehr Infos gibt es unter www.museum-folkwang.de

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