Essen. Der Streit der Bewerber lief teils auf Kindergartenniveau ab. Nun bestimmten die Essener Grünen mit klarer Mehrheit ihren Bundestagskandidaten.
Für Kai Gehring ist nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr Schluss. Um eine weitere Wahlperiode im Deutschen Bundestag, dem er seit 2005 angehört, wird sich der langjährige Essener Abgeordnete nicht mehr bewerben. Gehring hatte seinen Kreisverband mit dieser Nachricht im Juni überrascht. Der schickt nun Stephan Neumann, seit zwei Jahren Sprecher der Grünen-Ratsfraktion, ins Rennen um einen möglichst aussichtsreichen Platz auf der Landesliste.
Stephan Neumann setzte sich auf der Mitgliederversammlung der Grünen am Dienstagabend (27.8.) in einer Kampfabstimmung gegen Helena Jamal, Sprecherin der Grünen Jugend, durch. Allein, dass es dazu kam, ist bemerkenswert. Die Versammlung hatte zuvor ebenfalls per Votum beschlossen, nur eine Bewerberin oder einen Bewerber für die Landesdelegiertenkonferenz zu benennen, statt eine Frau und einen Mann.
Gerade die Grünen legen sonst großen Wert darauf, dass Frauen und Männer paritätisch vertreten sind, wenn es um die Aufstellung von Listen oder um die Vergabe von Posten geht. Diesmal nicht. Begründung: Die Erfolgsaussichten, dass der Kreisverband Essen auf einem der vorderen Plätze auf der Landesreserveliste vertreten sein wird, seien größer.
Im Vorstand der Essener Grünen gab es „atmosphärische Störungen“
In der Kampfabstimmung setzte sich Stephan Neumann schließlich mit 68 Stimmen gegen Helena Jamal durch, die 13 Stimmen erhielt. Anwesende reagierten durchaus erleichtert auf dieses deutliche Votum zugunsten von Stephan Neumann, das als deutliche Abfuhr für die Vertreterin der Jungen Grünen gewertet werden darf.
Wohlmeinende attestieren Helena Jamal zwar politisches Talent; sie ehrgeizig und eloquent, schieße aber manchmal über das Ziel hinaus. Beim Neujahrsempfang der Grünen in der Lichtburg fiel sie mit einer Rede auf, in die massive Kritik an der Ampel-Regierung äußerte, in der ihre Partei bekanntlich vertreten ist. Parteifreunde im Saal zeigten sich irritiert und sprachen von Grünen-Bashing.
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Jamal wird auch für „atmosphärische Störungen“ im Vorstand der Grünen verantwortlich gemacht. Vorstandsprecher Markus Spitzer-Pachel war im Mai zurückgetreten, auch Sprecherin Inga Sponheuer hatte ihr Amt niedergelegt, wie es heißt, aus persönlichen Gründen. Der Landtagsabgeordnete Mehrdad Mostifizadeh und die ehemalige Ratsfrau Christine Müller-Hechfellner übernahmen.
Jamal hatte ihren Hut als Bewerberin um ein Bundestagsmandat früh in den Ring geworfen. Sie wäre nach eigenen Worten auch gegen Kai Gehring angetreten, hätte der sich abermals um ein Votum des Kreisverbandes für eine abermalige Kandidatur bemüht. Bei seinem Abschied vermied es Gehring, ein gutes Wort für Jamal einzulegen. Im Gegenteil: Seine Äußerungen werden als Ablehnung der ambitionierten, aber unerfahrenen Bewerberin gewertet. „Danach war zwischen uns nicht mehr gut Kirschenessen“, sagte Helena Jamal im Gespräch mit der Redaktion. Dass sie in der Geschäftsstelle der Grünen ein Plakat mit Gehrings Konterfei abgerissen haben soll, ist nicht etwa eine Anekdote, sondern Bestandteil einer Auseinandersetzung, der selbst Grüne Kindergartenniveau attestieren.
Auf Anfrage bestreite Helena Jamal, das Plakat abgerissen zu haben. Sie spricht von einer Schmutzkampagne gegen ihre Person. Von den Essener Grünen zeigt sich die 23-Jährige enttäuscht. Der Kreisverband bestehe „aus Realos und älteren Politikern“, die schon seit Jahrzehnten dabei seien. „So werden Mandate und Ratsposten aufgeteilt“, klagt Jamal. Was ihre Kandidatur angeht, sei Ihr gegenüber nicht mit offenen Karten gespielt worden.
Stephan Neumann muss sich gegen starke Konkurrenz aus anderen Revierstädten durchsetzen
Ob dieses Kapitel mit dem Votum der Mitgliederversammlung für Stephan Neumann beendet ist, muss sich erst noch zeigen. Stephan Neumann blickt nach vorne: Ihm sei es wichtig, das Thema Mobilität „auf allen Ebenen nach vorne zu bringen“. Neumann war verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Ratsfraktion, bevor er das Sprecheramt übernahm. Von Beruf ist der 49-Jährige Sprecher des Lateinamerika-Hilfswerkes der katholischen Kirche, Adveniat. Internationaler Austausch sei ihm wichtig.
Rückenwind gibt es selbstredend vom Vorstand: „Stephan Neumann hat in den letzten Jahren durch sein Engagement und seine klaren politischen Positionen bewiesen, dass er die richtigen Impulse für eine zukunftsorientierte Politik setzen kann“, sagt Mehrdad Mostofizadeh.
Ob es im Bundestag dazu kommt, bleibt abzuwarten. Die Weichen für einen möglichst aussichtsreichen Listenplatz werden Mitte September im Bezirk und im Dezember auf der Landesdelegiertenkonferenz gestellt. Stephan Neumann wird sich dann gegen etablierte Konkurrenten aus anderen Ruhrgebietsstädten behaupten müssen. Neumann selbst zeigt sich kämpferisch: „Als größter Kreisverband stellen wir uns nicht hinten an.“ Helena Jamal will sich derweil erst einmal ihrem Studium widmen.
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