Essen. Die Ausbildung beginnt, doch der neue Lehrling erscheint nicht. Die Essener Chefin der IHK findet für dieses wachsende Phänomen klare Worte.
Stell dir vor: Der Ausbildungsvertrag ist lange unterschrieben, der erste Ausbildungstag ist da. Wer nicht kommt, ist der Azubi. In der Arbeitswelt hat dieses Phänomen bereits einen Namen: Ghosting - den überraschenden und einseitigen Kontaktabbruch.
Immer mehr Unternehmen auch in Essen machen damit Erfahrungen. Am 1. August startete in vielen Betrieben das neue Ausbildungsjahr. Bei der hiesigen Industrie- und Handwerkskammer (IHK) gab es vermehrt Rückmeldungen aus Betrieben, dass Auszubildende gar nicht erst erschienen sind. „Das ist ein Zustand, der so nicht geht“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Groß und appelliert an einen „respektvollen Umgang“. Die Unternehmen würden mit den jungen Menschen planen, stehen aber plötzlich wieder bei null und müssten nun sehen, wie sie auf den letzten Metern noch einen geeigneten Auszubildenden finden. „Das macht es schwierig und das frustriert“, weiß die IHK-Chefin um die Stimmung in den betroffenen Unternehmen. Im schlimmsten Fall ziehe sich das Unternehmen ganz aus der Ausbildung zurück, wenn sich solche Erfahrungen mehren würden.
Auch im Essener Handwerk werden mehr Lehrverträge vorzeitig gelöst
Offensichtlich bewerben sich die Jugendlichen nach der Schule bei mehreren potenziellen Arbeitgebern und halten sich Optionen lange offen. Auch die Kreishandwerkerschaft stellt dies häufiger fest. In diesem Jahr gebe es bislang zwar mehr unterschriebene Ausbildungsverträge als im vergangenen Jahr. Allerdings seien auch schon mehr wieder gelöst worden, weil sich die Jugendlichen für etwas anderes entschieden haben, berichtet Geschäftsführerin Nadine Sasek.
Generell sei es nicht verwerflich, wenn sich Jugendliche bei vielen potenziellen Arbeitgebern bewerben, betont die Chefin der Essener Arbeitsagentur, Andrea Demler. Der Markt habe sich komplett verändert. Heute müssen sich die Unternehmen strecken und nicht mehr die Bewerber. Die Angebote, auf die die jungen Menschen treffen, seien viel größer als vor Jahrzehnten. Man könne sich über das Verhalten der Jugendlich beklagen, aber vor allem die Unternehmen müssten sich neu aufstellen, meint Demler. „Nichts ist mehr selbstverständlich.“
Eine Lehre daraus müsse es sein, dass Betriebe schon viel früher die Kommunikation mit dem angehenden Azubi beginnen sollten, und ihn frühzeitig ans Unternehmen binden, rät die Agentur-Chefin. „Auch wir als Arbeitgeber haben das gelernt und praktizieren das so.“
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Jeder vierte Schulabgänger weiß nicht, wie es nach der Schule weitergeht
Die gute Nachricht für Unternehmen: Im Moment suchen noch viele Jugendliche einen Ausbildungsplatz. Ende Juli betreute die Arbeitsagentur 1016 Jugendliche aus Essen, die noch keinen Lehrvertrag hatten. In der Praxis dürfte die Zahl noch deutlich höher sein. Erstmals in diesem Jahr haben die Schulen der Arbeitsagentur Daten der Schüler und Schülerinnen übermittelt, die zum Ende des Schuljahres noch nicht wussten, wie es für sie anschließend weitergeht. Zu diesem Zeitpunkt waren das genau 1432 Schulabgänger von insgesamt rund 5900 Jugendlichen, die in diesem Jahr die Schule abgeschlossen haben.
Die Daten sind zwar mit Vorsicht zu genießen, denn erstens kann sich das mittlerweile schon geändert haben, zweitens ist nicht sicher, ob die jungen Leute ihr nächstes Ziel überhaupt nennen wollten. Fakt ist trotzdem: Die Arbeitsagentur hat alle, die auf der Liste standen, angeschrieben. Nur wenige jedoch, ganze 65, hätten sich daraufhin gemeldet. Demler will nicht aufgeben: „Wir hören nicht auf, Angebote zu machen.“
Über 1000 Ausbildungsstellen in Essen sind noch frei
Viele Unternehmen hoffen unterdessen, doch noch einen passenden Azubi in den nächsten Wochen zu finden. 1070 Lehrstellen waren Ende Juli in Essen unbesetzt. Das sind etwas mehr als vor einem Jahr. Die meisten offenen Stellen gibt es im Handel, in der Verwaltung und in Zahnarzt-Praxen. Demler formuliert daher die für sie wichtige Botschaft: „Auch jetzt bestehen noch gute Aussichten, einen Ausbildungsbetrieb zu finden.“
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