Essen-Katernberg. Drohungen, Drogen, Vandalismus: Menschen aus Essen-Katernberg haben ein Bündnis gegründet, um sich gegen die steigende Kriminalität zu wehren.

  • Ein Syrer (41) soll am Samstag (28.9.) zwei schwere Brände in Essen gelegt haben, er soll zudem Anschläge auf zwei Gemüseläden verübt haben, bevor er in einem Hinterhof in Katernberg festgenommen wurde. 
  • Ein paar Wochen zuvor hatten sich in Katernberg verschiedene Akteure zu einem Bündnis gegen Gewalt zusammengeschlossen, weil sie sich wegen zunehmender Kriminalität im Stadtteil sorgen.
  • Aus aktuellem Anlass hier noch einmal der Artikel zur Bündnisgründung, den wir am 14. August 2024 erstmals veröffentlicht haben.

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Eine junge Mutter mit Baby, die von einem Mann auf offener Straße brutal angegangen wird. Ein Jugendlicher, der von sechs anderen Jugendlichen bedroht wird. Grundschulkinder, die einander verprügeln.

Es sind Szenen wie diese, die Mümtaz Ziyansiz nicht mehr ertragen kann. „Es stört mich, dass Gewalt für viele hier zur Normalität geworden ist“, sagt der Katernberger. Gemeinsam mit anderen hat er deshalb ein Bündnis gegründet, dem mittlerweile über 30 Menschen angehören: „Katernberg zeigt Flagge gegen Gewalt“ haben sie es genannt. Jeder, sagen sie, könne mitmachen: Politik soll keine Rolle spielen, Herkunft und Religion sollen ebenfalls außen vor bleiben. „Wir wollen als multikulturelle Gruppe gegen Gewalt in Erscheinung treten.“

Essener wollen etwas gegen Vermüllung und Vandalismus in Katernberg tun

Seit 26 Jahren lebt Mümtaz Ziyansiz in Katernberg. Er hat hier einen gepflegten Kleingarten, den er von seiner Wohnung am Markt in wenigen Minuten mit dem Fahrrad erreichen kann, er mag die Landschaft, er ist zufrieden mit der Infrastruktur. Und doch habe er plötzlich übers Wegziehen nachgedacht, erzählt er. Die Alternative: etwas tun gegen die zunehmende Verrohung, die er in seinem Alltag in Katernberg wahrnimmt.

Katernberg zeigt Flagge gegen Gewalt
Jürgen Voigt, Jasmina Mazouz, Jennifer Feider und Mümtaz Ziyansiz (v.l.) gehören zu den Initiatoren des Bündnisses. „Jeder kann mitmachen“, sagen sie. Religion und Herkunft sollen dabei keine Rolle spielen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Also habe er Bekannte, Nachbarn, Kollegen angesprochen und schnell festgestellt: Was er beobachtet, beobachten auch andere. „Ich habe gemerkt, dass ich damit nicht allein bin“, sagt Ziyansiz. Viele, mit denen er gesprochen habe, hätten das Gefühl, dass hier etwas aus dem Ruder läuft, dass „es schlimmer wird“. So sei ihr neues Bürgerbündnis entstanden.

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Tatsächlich weist die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2023 in Essen die höchste Zahl an Straftaten seit 2017 aus. 56.164 Delikte wurden 2023 demnach von der Kreispolizeibehörde Essen erfasst, knapp 14 Prozent als 2022. Um 18,1 Prozent gestiegen sind die Delikte im Bereich Straßenkriminalität, um 5,5 Prozent die Fälle von Gewaltkriminalität. Dazu gehören beispielsweise Raubdelikte oder Körperverletzung. Dabei werden die Täter immer jünger, und: als Tatmittel wird häufiger ein Messer verwendet.

Zwar schlüsselt die Statistik die Delikte öffentlich nicht nach Stadtteilen auf, dennoch gehört Katernberg zu den fünf Essener Stadtteilen, über die Thomas Rüth, Abteilungsleiter ambulante Jugendhilfe, Kriminalprävention und Quartiersentwicklung bei der Caritas-SkF-Essen gGmbH (CSE) im Frühling sagte, man nehme „eine deutliche Zunahme der Gewalt wahr“.

Katernberger kritisieren mangelnde Polizeipräsenz im Stadtteil

Mehrere Fälle von Vandalismus gab es Ende 2023 auch am Katernberger Dom, wo Kirchenfenster wiederholt eingeworfen wurden und der öffentliche Bücherschrank zerstört wurde. (Archivbild)
Mehrere Fälle von Vandalismus gab es Ende 2023 auch am Katernberger Dom, wo Kirchenfenster wiederholt eingeworfen wurden und der öffentliche Bücherschrank zerstört wurde. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Davon berichten auch die Mitglieder des neuen Bündnisses: Vermüllung, Bedrohungen, Vandalismus würden mittlerweile zum Alltag gehören. Sie erzählen von Menschen, die bedroht werden, weil sie andere auffordern, ihren Müll aufzuheben. Sie erzählen von Drogenhandel auf dem Supermarktparkplatz und von gewalttätigen Auseinandersetzungen. Ende 2023 waren wiederholt die Scheiben des Katernberger Doms eingeworfen worden, auch der öffentliche Bücherschrank wurde zerstört. Es herrsche eine „allgemeine Respektlosigkeit“, beklagt Bündnis-Mitglied Jürgen Voigt, ein ehemaliger Polizist. „All das bewirkt, dass das Zusammenleben immer schwieriger wird“, sagt Bündnis-Mitglied Jennifer Feider.

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Viele der geschilderten Vorfälle würden gar nicht erst zur Anzeige gebracht, meint die Gruppe. Warum das? Manchmal sei es die Angst vor den Tätern, manchmal Vorbehalte gegenüber der Polizei. Hinzu kämen sprachliche, aber auch tatsächliche Hürden, denn: Der Bezirks- und Schwerpunktdienst am Katernberger Markt sei viel zu selten besetzt. Tatsächlich ist die Polizeiwache in Katernberg wochentags von 8 bis 16 Uhr geöffnet; an Wochenenden und an Feiertagen ist sie nicht besetzt.

„Dass es in Katernberg etwas rauer zugeht, ist nicht das Thema, das kennen wir alle. Aber in den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist es übel geworden.“

Mümtaz Ziyansiz
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Außerhalb dieser Zeiten ist die rund um die Uhr besetzte Altenessener Wache zuständig. Doch den Weg dahin würden viele scheuen, sagt Bündnis-Mitglied Jasmina Mazouz. Ein Polizeisprecher weist deshalb darauf hin, dass an der Katernberger Wache eine Notrufanlage mit einer Direktschaltung zur Polizeiwache Altenessen installiert sei. Befragt zur mutmaßlich geringen Anzeigebereitschaft der Katernberger, ruft er, ganz generell, dazu auf, Straftaten immer zu melden. Nur dann könne die Polizei „individuell (vor allem auch präventiv) beraten, ermitteln und Straftaten verfolgen.“ Um über die Möglichkeiten und die Wichtigkeit der Anzeige von Straftaten aufzuklären, führe man zudem „regelmäßig vielseitige Informations-/ und Aufklärungsarbeit durch“. 

Wie oft die Polizei den Stadtteil bestreife, kann der Sprecher indes nicht sagen. In Katernberg ist sowohl der Bezirks- als auch der Schwerpunktdienst ansässig. Zur Erklärung: Während die Kräfte des Schwerpunktdienstes für sogenannte Präsenzstreifen mit dem Streifenwagen oder zu Fuß, für die Verkehrsüberwachung in den Stadtteilen der Bezirke 5 und 6 aber auch für Objektschutz innerhalb des gesamten Polizeipräsidiums Essen (z.B. Synagogen oder das türkische Generalkonsulat) zuständig sind, kümmert sich der Bezirksdienst ausschließlich um den Dienst in den ihm zugewiesenen Stadtteilen. Gemeinsam mit dem kommunalen Ordnungsdienst ist er für Streifen und die mobile Wache an unterschiedlichen Standorten zuständig. Auch Beamte der Altenessener Wache und der Bereitschaftspolizeihundertschaft würden den Bereich Katernberg bestreifen, sagt der Sprecher.

Die Häufigkeit hänge dabei „von vielen Faktoren ab“, maßgbelich vom „gesamten polizeilichen Einsatzaufkommen sowie der tagesaktuellen Personalstärke.“

Mitglieder des neuen Katernberger Bündnisses gegen Gewalt sind noch in der Findungsphase

„Wir wollen, dass unsere Kinder hier sicher sind.“

Jasmina Mazouz

Den Bündnis-Mitgliedern reicht das allein nicht. Sie gehen davon aus, dass die Lage noch angespannter sei als es die offiziellen Zahlen wiedergeben würden. Ausdrücklich loben sie die gute Arbeit von Initiativen und Vereinen im Stadtteil, doch: Die Verantwortlichen seien sechs bis acht Stunden vor Ort, vieles aber spiele sich außerhalb der Arbeitszeiten ab. „Die gleichen Jugendlichen, die vormittags in einem Projekt nett miteinander Sport treiben, sind abends um halb zehn am Markt nicht mehr so nett“, sagt Jürgen Voigt.

Erreichbarkeit der Polizei

In Notfällen muss der Notruf 110 gewählt werden.

Die Polizeiwache Altenessen an der Johanniskirchstraße 96 ist telefonisch über die Vermittlung unter 0201/829-0 erreichbar; der Bezirks- und Schwerpunktdienst Katernberg innerhalb der Öffnungszeiten (Mo-Fr: 8-16 Uhr) unter der 0201/829-3341. An der Polizeiwache in Katernberg ist eine Notrufanlage mit einer Direktschaltung zur Polizeiwache Altenessen installiert. Über diese kann man auch außerhalb der Öffnungszeiten der Katernberger Wache direkt die Polizei kontaktieren. 

Um sich lediglich informieren bzw. beraten zu lassen, kann man eine beliebige Polizei-Dienststelle aufsuchen. Auch besteht die Möglichkeit, sich online über verschiedene Themenbereiche zu informieren (essen.polizei.nrw) und Straftaten anzuzeigen (internetwache.polizei.nrw). 

 

Konkrete Pläne hat die Gruppe bislang nicht, erst einmal gehe es darum, weiter zu wachsen, Aufmerksamkeit zu schaffen und „irgendwann auch die Menschen zu erreichen, die andere nicht erreichen“, die aber eigentlich das gleiche wollen wie sie. „Noch sind wir in der Meckerphase“, sagt Bündnis-Mitglied Hans Peter Leymann-Kurtz, Ex-Bürgermeister und Kommunalpolitiker, freimütig. Jeder dürfe loswerden, was ihn stört, was ihn frustriert, was ihm Sorgen bereitet. Das gilt auch an diesem Nachmittag: Sie diskutieren durchaus hitzig über ihre Beobachtungen, denn: Was auf den einen bedrohlich wirkt, tut die andere als vergleichsweise harmlos ab – und umgekehrt.

Treffen im Bürgerzentrum

Mittlerweile gehören dem Bündnis „Katernberg zeigt Flagge gegen Gewalt“ 36 Menschen aus Katernberg an.

Die Treffen der Initiative finden jeden ersten Sonntag im Monat um 11 Uhr im Bürgerzentrum Kontakt, Katernberger Markt 4, statt.

Die Mitglieder betonen: „Jeder kann kommen und mitmachen, unabhängig von Herkunft und Religion.“ Langfristig wollen sie Ideen für Aktionen im Stadtteil umsetzen und gemeinsame Projekte etablieren.

„Uns verbindet, dass wir alle Katernberger sind“, so Mümtaz Ziyansiz. „Wir wollen ein sicheres Katernberg haben, wir wollen, dass unsere Kinder hier sicher sind“, sagt Jasmina Mazouz. Sie sei hier aufgewachsen, habe früher auf der Straße gespielt, aber ihren eigenen 13-jährigen Sohn lasse sie abends nicht mehr allein vor die Tür. Es gebe Familien, erzählt auch Mümtaz Ziyansiz, die bestimmte Straßen meiden und extra Umwege gehen würden.

Dabei seien sie nicht überängstlich, betont er: „Dass es in Katernberg etwas rauer zugeht, ist nicht das Thema, das kennen wir alle. Aber in den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist es übel geworden.“ Und dennoch würden sie gern hier leben, in „ihrem Dorf“ – und auch gern hier bleiben.

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