Essen.. Das etwa 150 Jahre alte Instrument aus dem Voigtland wurde jüngst in Heisingen wieder zum Klingen gebracht. Jetzt sucht sie einen neuen Besitzer.

„Mein Vater hat diese Geige als Junge bekommen“, weiß Hartmut Au. Der Heisinger Rentner öffnet den alten, dunklen Holzkoffer auf seinem Esstisch. Darin hatte das Instrument einige Jahrzehnte unbenutzt geschlummert, zeitweise auf dem Dachboden. Durch einen Zufall wurde Aus Interesse daran vor gut zwei Monaten neu geweckt.

„Jeden Mittwoch um 12 Uhr findet in der Kirche St. Georg ein kleines, ökumenisches Treffen statt. Die Besucher erhalten einen kurzen Impuls, ein paar Worte und etwas Musik zum Runterkommen im Alltag“, erzählt der 81-Jährige. Bei einer solchen Veranstaltung sei Geige gespielt worden. Die Töne hätten ihn tief bewegt und an das Instrument des Vaters erinnert.

Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein ist die Essener Geige regelmäßig genutzt worden

Zuhause holte Hartmut Au das Erbstück hervor. Doch nur noch eine von vier Saiten war erhalten. Der Mahagoni farbene Holzkörper zeigte Kratzer, aber keine Risse. „Mein Vater, im Jahr 1900 in Heisingen geboren, spielte als junger Mann viel auf dieser Geige. Er war Volksschullehrer und ist bis zu seiner Heirat im April 1934 in den Ferien mit Freunden verreist. Alle hatten ihre Instrumente dabei“, berichtet Au. „Sie spielten in Gasthäusern und bekamen zum Lohn Kost oder Logis. Das war damals so üblich.“ Überhaupt sei Wilhelm Au sehr musikalisch gewesen. „Mit meiner Mutter Hedwig spielte er vierhändig am Klavier. Bei uns zuhause wurde eigentlich immer musiziert und oft gesungen.“

Ein Bild von früher zeigt Familie Au, in deren Besitz die alte Geige schon sehr lange ist.
Ein Bild von früher zeigt Familie Au, in deren Besitz die alte Geige schon sehr lange ist. © FUNKE Foto Services | Repro: Uwe Möller

Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein sei die Geige regelmäßig genutzt worden. Die Gefechte, die er sich gegen den älteren Bruder mit den beiden Geigenbögen lieferte, hat Hartmut Au (Jahrgang 1943) nicht vergessen. Nach dem Krieg saß sein Vater hauptsächlich an der Orgel in der evangelischen Kirche. Bereits im November 1924 war er in Heisingen Leiter des Mädchenchores geworden und übte dieses Amt 13 Jahre aus. Als begeisterter Fotograf machte Wilhelm Au viele Aufnahmen von seinem Chor. „Auf jeden Fall hat er das musikalische Leben im Dorf sehr geprägt und stand über fünf Jahrzehnte im Dienst der Kirchenmusik“, sagt sein Sohn.

Essener ging mit der alten Geige im dunklen Holzkoffer zur Expertin

1928 hatte man Wilhelm Au offiziell zum Organisten in der evangelischen Kirche in Heisingen ernannt. Nach der Chorsatzung war der Lehrer von den Sängern zum Chorleiter gewählt worden. Unter Au wurde der Chor so sangestüchtig, dass er beim Abschiedsfest des letzten Heisinger Bürgermeisters, Hugo ten Hövel (Amtszeit 1919 bis 1929) auftrat und großen Beifall erntete. An dieses Ereignis erinnerte das lokale „Wochenblatt“ im Januar 1982. Hartmut Au hat den Artikel aufbewahrt. 1939 habe der Chor durch „politische Einwirkungen“ seine Arbeit aufgegeben, heißt es darin.

Erst 1945 formierte Pfarrer Kupfernagel mit Carl Ebener, dem damaligen Organisten, den evangelischen Kirchenchor neu. Ab 1951 übernahm wieder Wilhelm Au dessen Leitung. Kupfernagel gründete einen Posaunenchor in Heisingen. „Darin habe ich einige Jahre Trompete gespielt, später in Kupferdreh“, erzählt Hartmut Au. Leider seien er und seine vier Geschwister (zwei Schwestern, zwei Brüder) nicht so musikalisch wie ihre Eltern. Als Kind spielte Hartmut gern Klavier. Geige wollte er nie lernen. „Mein Großvater besaß eine Zither. Die fand ich spannend, durfte sie aber nicht haben.“

Auf seinem Handy zeigt Hartmut Au, wie  Giuli Topuridze, die Geigespielen studiert hat, mit seinem Instrument musiziert.
Auf seinem Handy zeigt Hartmut Au, wie  Giuli Topuridze, die Geigespielen studiert hat, mit seinem Instrument musiziert. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Zurück in die jüngste Gegenwart: Mit der alten Geige im dunklen Holzkoffer ging Hartmut Au schließlich vor einigen Wochen zu einer Expertin. „Ich habe sie Giuli Topuridze gezeigt. Sie hat in Moskau Geigespielen studiert und ist eine begnadete Geigerin.“ Die Leiterin des evangelischen Kirchenchors schaute sich das Instrument eingehend an. „Sie hat es abgeklopft, aber keine Schäden entdeckt.“ Da wurde Au klar: Auch wenn es keine wertvolle Stradivari ist, das Familienstück sollte wieder erklingen dürfen.

Er brachte es zu einem Fachbetrieb in Rüttenscheid. Dort ließ er das Instrument überholen und vier neue Saiten aufziehen. Der Hersteller der Geige sei nicht mehr zu ermitteln, erfuhr er. Vermutlich handele es sich um eine Fertigung von 1874 aus dem Voigtländischen Musikwinkel mit Marktneukirchen als Zentrum. Diese Region, heute an der Grenze zu Tschechien, schrieb Geschichte im Instrumentenbau. 

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Jetzt geht Aus Geige in die Heisinger Chronik ein. Giuli Topuridze, seit 2018 leitende Kirchenmusikerin an der Heisinger Pauluskirche, war jedenfalls spontan vom Klang begeistert. Mit dem aufgefrischten Instrument spielte sie vor den Ferien beim Mittagsimpuls diverse Stücke. „Wunderschön“, schwärmt Hartmut Au, sei ihre Musik gewesen und ihm sehr zu Herzen gegangen. Diesen besonderen Moment hat er in einem Video auf seinem Smartphone festgehalten.

Im Herbst soll das alte Instrument bei einem Konzert im Rathaus zu weiteren Ehren kommen. „Henner Höcker, der Vorsitzende der Heisinger Bürgerschaft, ist schon mit der Planung beschäftigt“, verrät Au. Denn eine Geige will regelmäßig gespielt werden. „Vielleicht findet sich auf diesem Wege ja ein neuer Besitzer oder eine Besitzerin, die Freude an dem schönen Instrument hat“, hofft der Rentner.  

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