Essen. Zwei Frauen, zwei Ehrenämter, ein gemeinsames Ziel: Anja Holzapfel und Sandra Wüst unterstützen an Brustkrebs erkrankte Frauen
Brustkrebs ist in Deutschland bei Frauen die häufigste Krebserkrankung. Jährlich werden laut Deutscher Krebshilfe etwa 69.000 Diagnosen gestellt. Für die Betroffenen ist der Befund niederschmetternd, die Therapie körperlich und seelisch stark belastend. Da ist es ein Segen, dass es Frauen wie Anja Holzapfel und Sandra Wüst gibt. Sie unterstützen an Krebs erkrankte Frauen ehrenamtlich auf unterschiedliche Weise. Während Anja Holzapfel als Trainerin und Steuerfrau das Pink Paddling, Paddeln gegen Brustkrebs, in Essen etabliert hat, bietet Sandra Wüst, selbst ehemalige Brustkrebspatientin, als zertifizierte Mentorin psychosoziale Unterstützung und begleitet Frauen während der Krebstherapie. Dies sind ihre Geschichten.
„Ich bin einfach immer in Bewegung und helfe gern.“
Energiebündel, Kümmerin, Mentorin – so wurde uns Anja Holzapfel im Bewerbungsschreiben für die Serie „Alltagshelden“ vorgestellt. Als ein Mensch, der vor Ideen sprüht, tatkräftig anpackt, vor allem aber auch mitfühlend zuhören kann. Darauf angesprochen, lacht die 54-Jährige herzlich: „Ich bin einfach immer in Bewegung und helfe gern.“
Anja Holzapfels Leidenschaft ist seit jeher der Wassersport. Schwimmen, Paddeln, Tauchen – im kühlen Nass ist die Essenerin in ihrem Element und seit Jahren in der Drachenbootabteilung des Turnvereins 1877 Essen-Kupferdreh (TVK) als Trainerin aktiv. Es waren persönliche Erlebnisse, die sie dazu veranlassten, ihr Hobby mit dem Engagement für an Brustkrebs erkrankte Frauen zu verbinden: „Ich habe viele liebe Menschen in meinem nahen Umfeld durch diese Krankheit verloren und mich daher sehr intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt.“ Dadurch wurde sie auf die vom kanadischen Sportmediziner Dr. Don McKenzie begründete Pink-Paddling-Initiative aufmerksam. Er hatte festgestellt, dass Frauen nach Brustkrebs durchs Paddeln wieder mobil werden und bleiben.
In den USA und Kanada ist dieser Rehabilitationssport schon lange etabliert, in Deutschland wächst die Zahl der Pink Paddler stetig. Dass es sie seit 2021 auch in Essen gibt, ist Anja Holzapfel und Antje Hauptmann zu verdanken. Nachdem zwei Brustkrebspatientinnen die Anregung gaben, ein solches Pink-Paddling-Team auch in Kupferdreh zusammenzustellen, war das Trainerduo gleich Feuer und Flamme – die TVK Pink Dragons waren geboren. Mittlerweile ist das Team auf 24 Teilnehmerinnen angewachsen. Einmal pro Woche sind die Frauen im Drachenboot eine Stunde lang auf dem Wasser unterwegs. Eine starke Gemeinschaft, betont Anja Holzapfel: „Frauen, die Brustkrebs hatten, haben oft das Vertrauen in den eigenen Körper verloren. Hier gewinnen sie es wieder. Sie spüren, wie gut ihnen die Bewegung und der Austausch mit Gleichgesinnten tut. Neben der körperlichen Kraft erlangen sie auch mentale Stärke. Wenn eine unserer Teilnehmerinnen sich schwach fühlt und dennoch dabei sein möchte, übernehmen die fitteren und fangen sie auf. Um im Bild zu bleiben: Wir sitzen alle in einem Boot.“
Der gemeinsame Sport sei nur ein Aspekt. Die Gespräche, der Austausch und der Zusammenhalt seien mindestens so wichtig, denn: „Krebs braucht Kommunikation“, so Anja Holzapfel. Ihr Ehrenamt sei eine wahre Bereicherung und aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. Ob das neben Beruf und Alltagsstress manchmal auch kräftezehrend sei? „Klar stoße auch ich an meine Grenzen. Aber dann besinne ich mich auf das, was wirklich wichtig ist – und dazu gehören meine Pink Dragons“, sagt die Sozialarbeiterin, die bei der Stadt Essen im Team des städtischen Pflegekinderdienstes arbeitet. Dankbar ist sie für ihr gutes Netzwerk und die daraus resultierende finanzielle und ideelle Unterstützung, die den Pink Dragons von Seiten ihres Vereins widerfährt. „Unsere Arbeit wird wertgeschätzt“, freut sich Anja Holzapfel – und fiebert schon dem 8. September entgegen. Dann tauft OB Thomas Kufen das neue Boot der Pink Dragons.
Infos: tvk-essen.de/drachenboot/
„Es sind doch nur Haare“
Sandra Wüst war 32 Jahre alt, als sie 2022 die Diagnose Brustkrebs bekam. „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“ Von jetzt auf gleich wurde die alleinlebende Erzieherin aus ihrem Alltag gerissen, musste sich einer Chemotherapie und diversen Operationen unterziehen. Es gab so viele Fragen, auf die sie im hektischen Klinikalltag nur unzureichende Antworten bekam. Hinzu kam der Wust an Formularen und Anträgen, die ausgefüllt werden mussten. „Ich habe dann in den Überlebensmodus geschaltet, über die sozialen Netzwerke Informationen eingeholt und mich mit Gleichgesinnten zusammengeschlossen. Doch hätte ich die Unterstützung meiner Familie nicht gehabt, hätte ich das alles nicht geschafft“, erinnert sie sich. „Ich habe mich immer gefragt – wie machen das Frauen, die diesen sozialen Background nicht haben?“
Seit Januar 2023 ist Sandra Wüst krebsfrei, arbeitet bereits wieder, doch das Leben nach Krebs ist ein anderes – in körperlicher und seelischer Hinsicht. „Als ich dann den Aufruf las, dass die Evang. Kliniken Essen-Mitte (KEM) ein bislang einzigartiges Mentorinnen-Programm starten, das ehemalige Brustkrebspatientinnen schult, um akut Erkrankte zu unterstützen, wusste ich – da möchte ich mich engagieren. Das ist genau das, was mir während meiner Krankheit gefehlt hat.“ Im Rahmen des vom Verein Menschenmögliches initiierten und von der Brost-Stiftung finanzierten Programms absolvierte sie 80 Unterrichtseinheiten neben ihrem Beruf, um später ehrenamtlich als zertifizierte Brustkrebsmentorin Leidensgenossinnen zu unterstützen. Um Patientinnen als Wegweiser durch den Klinikalltag zu leiten. Um zu erklären, welche Aufgaben die Psychoonkologie, die Brustschwestern oder der Soziale Dienst haben. Um zuzuhören, mitzufühlen und zu zeigen: Ich habe es geschafft – und du kannst es auch schaffen. Und um zu erkennen: Bis hierher kann ich helfen, danach muss ich an die Fachabteilungen verweisen. „Wir sind ja nicht medizinisch oder psychoonkologisch geschult, aber wir können vermitteln“, erklärt Sandra Wüst.
Die Zeit der Fortbildung – eine Zeit, in der Freunde und Familie oft besorgt nachfragten, ob ihr das nicht zu viel würde. „Das Gegenteil war der Fall. Kaum saß ich im Schulungsraum, war alle Erschöpfung wie weggeblasen. Der Austausch und die Arbeit in der Gruppe haben mich getragen.“ Die Fortbildung habe für sie geradezu therapeutische Wirkung gehabt. Hier habe sie noch einmal in Ruhe verarbeiten können, was zuvor wie im Zeitraffer an ihr vorbeigezogen sei. Ihre erste Patientin und sie fanden per Zufall zueinander. „Wir warteten beide auf eine Untersuchung und kamen ins Gespräch. Dabei erfuhr ich, dass sie eben erst ihre Diagnose erhalten hatte und genau wie ich damals voller Fragen und Ängste steckte“, so Sandra Wüst. Deswegen erzählte sie ihrer Gesprächspartnerin vom Mentorinnen-Programm und riet ihr, sich dort Unterstützung zu holen. „Das fand sie prima, und da wir uns so lange unterhalten hatten, wollte sie unbedingt mich als Mentorin.“
„Wie machen das Frauen, die diesen sozialen Background nicht haben?“
Eine Konstellation, die eigentlich nicht vorgesehen war. Denn Patientin und Mentorin sollen, so sieht es das Programm vor, idealerweise im selben Alter sein, ähnliche Lebensumstände und außerdem ein möglichst identisches Tumorboard – also einen vergleichbaren Krankheitsverlauf – haben. „Nichts davon ist bei uns der Fall“, sagt Sandra Wüst und lacht. Konzeptentwicklerin und Programmkoordinatorin Susanne du Bois gab dem ungleichen Paar dennoch ihre Zustimmung, weil die Chemie einfach stimmte. „Oft sind es ja auch gar nicht die fachlichen Fragen, die Krebspatientinnen umtreiben. Vielmehr ist es das: ,Wie hast du dich in dieser Situation gefühlt?’ Beantworten kann das nur, wer es auch erlebt hat.“ Da ist zum Beispiel die Sache mit den Haaren, die viele während der Chemotherapie verlieren. „Für die meisten Frauen ist das die größte Katastrophe im Verlauf ihrer Krebserkrankung. Viele Angehörige verstehen das nicht und sagen dann: ,Das sind doch nur Haare.’“ Doch Sandra Wüst weiß: „Es ist viel mehr als das: Es ist die Angst vor dem Verlust der Weiblichkeit.“
Zuhören und da sein, wenn die Angst Gedanken und Gefühle explodieren lasse, darauf komme es an, erzählt Sandra Wüst. Auch bei ihr ist die Angst noch vor jeder Nachsorgeuntersuchung präsent. Das Sicherheitsnetz des Mentorinnen-Programms fängt sie dann auf. „In Supervisionen wird sichergestellt, dass wir unsere persönlichen Grenzen nicht überschreiten.“ Der Austausch mit „ihrer Patientin“ tut Sandra Wüst gut. „Ich freue mich sehr, wenn sie mir sagt: ,Schön, dass es dich gibt!’“
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Infos bei Susanne du Bois
Tel.: 0201/174 390 72
Mail: s.dubois@kem-med.com