Essen/Duisburg. Er stand in Diensten der Uni Duisburg-Essen, schmückte sich als „Dr.“ und „Prof.“, stieg auf zum Regierungsberater. Jetzt steht er vor Gericht.

Die Liste der Anklagepunkte und die vielen Tatvorwürfe haben es in sich: Dem 47 Jahre alten Angeklagten werden Urkundenfälschung, der unbefugte Gebrauch akademischer Titel sowie Betrug in insgesamt 28 Fällen zur Last gelegt. Seit Freitag (12. Juli) muss sich der längst aus dem Staatsdienst entlassene Beschäftige in Diensten der Universität Duisburg-Essen vor dem Amtsgericht Duisburg verantworten.

Die Vorwürfe wiegen derart schwer, dass der langjährige Berater der NRW-Landesregierung in Islam- und Integrationsfragen bereits am ersten Tag der Hauptverhandlung ein weitgehendes Geständnis ablegt. Sowohl das erste und zweite Staatsexamen als auch die Titel „Dr.“ und „Prof.“ seien durch simple Fälschungen und Titelmissbrauch möglich geworden. „Ich bereue es“, sagt der Angeklagte heute.

Amtsgericht Duisburg: Angeklagter berichtet detailliert über seine Laufbahn

Gut eine Stunde wird die ausführliche Einlassung des eloquenten und geschliffen formulierenden Angeklagten dauern, der detailreich über seine berufliche und akademische Laufbahn berichtet. Eine Karriere, die nach einem fulminanten Höhenflug mit Beförderungen, Belobigungen und Auszeichnungen in dem krachenden Absturz vor drei Jahren endet.

Leicht fällt es dem Mann – dunkelblauer Businessanzug, dunkelblaue Krawatte, hellblaues Hemd – nicht, die Hochstapelei einzuräumen. Schon nach wenigen Minuten stockt seine Stimme und Tränen schießen ihm in die Augen. Er wirkt angezählt und bittet um einen Schluck Wasser, den ihm die resolute Vorsitzende Richterin mit der Bemerkung zugesteht: „Hier soll keiner umkippen.“

Gefälschte Urkunden über Staatsexamen und Dissertation - „das war mein Türöffner“

Die Dissertationsurkunde der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt: gefälscht. Eine weitere Promotionsurkunde der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn: ebenfalls gefälscht. Der Professorentitel: erschummelt. Das erste und zweite Staatsexamen, das dem bis dahin angestellten Lehrer ermöglicht, die Beamtenlaufbahn einzuschlagen: Auch das ist das Werk einer einfachen Fälschung.

Wie so etwas handwerklich funktioniert? Offenbar ganz einfach: Der Angeklagte berichtet, dass er die Urkunde seiner Frau („sie wusste nichts davon“) als Vorlage nahm, einfach ihren Vornamen überklebte und eine Schwarz-Weiß-Kopie anfertigte. Diese habe er dem Schulministerium in Düsseldorf vorgelegt, das die Fälschung abstempelt und offenbar unzulässigerweise obendrein sogar als Kopie eines Originals beglaubigt. „Das war mein Türöffner.“

Der Angeklagte hatte seinen Arbeitsplatz zuletzt auf dem Essener Campus der Universität Duisburg-Essen. 2021 flog sein Schwindel auf.
Der Angeklagte hatte seinen Arbeitsplatz zuletzt auf dem Essener Campus der Universität Duisburg-Essen. 2021 flog sein Schwindel auf. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Die Bekenntnisse des Hochstaplers beginnen mit seiner Kindheit. Der 47-Jährige ist der Spross türkischer Einwanderer, die 1973 nach Deutschland gekommen sind. Er sei das erste in Deutschland geborene Kind. Der Vater ist Lehrer, seine beiden Schwestern schlagen ebenfalls die akademische Laufbahn ein. Er erwähnt seine Einser-Zeugnisse, sein gutes Abitur und seine mutmaßliche „Überbegabung“. Neben dem Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen studiert er zusätzlich auf Lehramt. Während der Staatsanwalt unter Hinweis auf ein Schreiben der Fakultät auch den Diplom-Titel anzweifelt, beteuert der Angeklagte, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei.

Der mutmaßliche Doktor kommt gut an: „Ich war trotz des jungen Alters der Experte des Hauses“

Was unbestreitbar ist: Der mutmaßliche Hochstapler legt eine erstaunliche Karriere hin und kommt offenbar sehr gut an. Als er Vorträge hält, etwa zu den Terroranschlägen des 11. September 2001 in New York oder zum islamischen Religionsunterricht, wird das NRW-Schulministerium auf ihn aufmerksam. Er gewinnt zusehends an Ansehen und ist fortan landesweit unterwegs. „Ich war trotz des jungen Alters der Experte des Hauses.“ Im Ministerium geben sie ihm zu verstehen, er sei überqualifiziert und unterbezahlt.

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Mit den gefälschten Staatsexamen wird er 2009 Studienrat im Beamtenverhältnis, dann Oberstudienrat und Studiendirektor. Später folgt der Wechsel in die Wissenschaft. Um sich zu qualifizieren bewirbt er sich 2017 bei der Universität in Essen als abgeordnete Lehrkraft. Er legt die gefälschte Promotionsbescheinigung vor und wird genommen.

Der Staatsanwalt zählt mehr als zwei Dutzend Fälle auf, in denen sich der mutmaßliche Hochstapler als Doktor und später sogar als Professor ausgibt. Er soll selbst dafür gesorgt haben, dass die Signatur seiner Uni-E-Mails wie auch die Mailadresse den Doktor- und später den Professorentitel enthielten. Auch beim Einwohnermeldeamt habe er dafür gesorgt, dass der „Dr.“ Bestandteil seines Namens wurde.

Podiumsdiskussion mit Bundespräsident a. D. Christian Wulff: Der Schummel-Doktor ist dabei

Wenn zu hochkarätig besetzten Podiumsdiskussionen im Land eingeladen wird, etwa mit Bundespräsident a. D. Christian Wulff („der Islam gehört zu Deutschland“), ist der Schummel-Doktor der Uni Duisburg-Essen mit von der Partie. Auch das NRW-Schulministerium vertraut seiner Expertise in allen Fragen rund die Themen Islam, Türkei, Integration. „Ich war als Lehrer und als Experte gut und anerkannt“, sagte er dem Gericht.

Im Frühjahr 2021 kommen massive und begründete Zweifel an seiner akademischen Laufbahn auf, der Schwindel fliegt auf. Das Land NRW beendet daraufhin die Zusammenarbeit und zeigt ihn an. Der Staatsanwalt hält ihm am Freitag auf Euro und Cent genau die Höhe der Beamtenbezüge vor, die der Angeklagte im Laufe von zwölf Jahren auf mutmaßlich betrügerische Weise verdient haben soll. Es sollen exakt 711.090,34 Euro brutto gewesen sein. Muss er diesen Betrag oder einen Teil davon zurückzahlen? Offenbar nicht. Denn der Verteidiger des Angeklagten behauptet, dass die Bezirksregierung Düsseldorf als Geschädigte anscheinend auf eine Rückzahlung verzichte.

Es sind noch drei Fortsetzungstermine angesetzt, aber schon in zwei Wochen könnte das Urteil verkündet werden. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Gerichtsverfahrens gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.

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