Essen-Rüttenscheid. Zum Tag der Trinkhallen wird der Kiosk an der Hedwigstraße mit Techno beschallt. Dann ist ein Urgestein der Trinkhallen-Kultur dabei.
Die Veranstaltung ist mittlerweile ebenso Kult wie die eigentlichen Protagonisten: Am Samstag, 17. August, bittet die Ruhr Tourismus GmbH (RTG) im gesamten Ruhrgebiet wieder zum „Tag der Trinkhallen“. Mit dabei ist auch der Kiosk an der Hedwigstraße, der für sieben Stunden vom „Kult-Büdchen“ zur „Techno-Bude“ mutiert.
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Die „Verkaufshalle Sven Lauer“ ist genauso, wie man sich ein Büdchen vorstellt: Ein kleiner Gang, rechts und links vollgestopft mit allem, was der regionale Blätterwald zu bieten hat, und am Ende ein Fenster mit einem freundlichen Gesicht. Heute ist es das von Dietmar Wirtgen, Vater von Sven Lauer und ein Urgestein der Trinkhallen-Kultur. 1982 hat er seinen ersten Kiosk in Essen eröffnet, der stand seinerzeit in Überruhr. „35 Jahre lang habe ich das gemacht“, erzählt er.
Wirtgen ist eigentlich schon „in Rente“. Ganz offensichtlich hat er einst seinen Sohn mit dem Büdchen-Virus infiziert, denn der betreibt die Rüttenscheider Verkaufshalle seit 2002. Und Wirtgen lässt es sich nicht nehmen, täglich für zwei, drei Stunden zu helfen. „Alle paar Minuten kommt mal einer und kauft was. Dann plaudert man ein bisschen. Das ist ja keine Arbeit in dem Sinne. Zu Hause würde ich jetzt vor dem Fernseher sitzen.“ Spricht’s, läuft vor zum Fenster und nimmt die nächste Bestellung entgegen: „Eine Tüte Chips, bitte.“ – „Ungarisch, gesalzen oder cheezy-freeze?“ Da fällt die Wahl schwer. „Gib‘ mal ungarisch. Und noch einen von den Riegeln da.“
Gemischte Tüte aus Essen-Rüttenscheid
Tabakwaren werden viel genommen, sagt Wirtgen, auch Zeitungen und Zeitschriften laufen gut. Und natürlich Getränke. Süßwaren eher weniger, weil nicht so viele Kinder kommen. „Aber auch die Erwachsenen nehmen gerne eine gemischte Tüte.“ Wirtgen zeigt auf die kleinen Päckchen gleich neben dem Fenster. Die legendäre Tüte gibt es für einen Euro – da werden wahrscheinlich bei vielen Kindheitserinnerungen wach. „Das ist eines der ersten Dinge, die mein Sohn morgens macht“, erklärt Wirtgen. „Der stellt sich hier zwölf Dosen zurecht und dann mischt er erstmal. Bis abends sind die alle verkauft.“
Es sind Stammkunden, mit denen es Vater und Sohn hier meist zu tun haben. Schließlich sei die Hedwigstraße keine Durchgangsstraße, da gebe es nur wenig Laufkundschaft, auch wenn der Rüttenscheider Markt in direkter Linie liegt. Für den Tag der Trinkhallen wird die Hedwigstraße übrigens gesperrt. „Das ist ja eine Riesen-Veranstaltung“, so Wirtgen. „Da werden Tische und Bänke hingestellt und ein großes Soundsystem.“
Denn bei ihrer vierten Teilnahme an der ruhrgebietsweiten Veranstaltung, die mit den Büdchen eine Ikone der Ruhrgebietsgeschichte feiert, präsentieren sich Lauer und Wirtgen erneut musikalisch: mit DJ Ehrenlos aus Bochum, Gidde aus Gelsenkirchen und dem LOL Soundsystem. Wem das nichts sagt, sei hier die Übersetzung empfohlen: Am 17. August bestimmen von 15 bis 22 Uhr Techno, Post-Punk und Dark Wave das Hintergrundrauschen in Rüttenscheid. Nicht unbedingt der Musikgeschmack des 75-Jährigen. Doch Wirtgen weiß, was der Kundschaft Spaß machen könnte. „Vor vier Jahren hatten wir eine Hiphop-Tanzgruppe, die ist super angekommen“, erinnert er sich. „Das ist hier eine reine Wohngegend, und wir haben ziemlich junges Publikum, denen hat das gut gefallen. Ich weiß aber auch noch genau, wie hier die 70- und 80-jährigen Frauen auf der Straße zu Hiphop getanzt haben.“
Bratwurst vom Rüttenscheider Schwenkgrill
Die Vorbereitungen für den großen Tag laufen bereits. Vom Lieferanten aus Kupferdreh kommen nicht nur die Getränke, sondern auch zwei zusätzliche Kühlgeräte und für draußen ein gekühlter Getränkeanhänger. Auch eine Cateringfirma ist engagiert. „Beim letzten Mal kamen die mit einem großen Schwenkgrill“, erinnert sich die Büdchen-Legende mit einem Lächeln. „Da gab es Currywurst, Bratwurst, Thüringer – das war schön.“
Die Bude selbst wird an diesem Tag dreifach besetzt sein: Lauer am Fenster, eine Aushilfe im Service und Wirtgen überall. „Ich habe schon im Februar unsere Brauereien angesprochen. Die liefern nicht nur Bier, sondern auch Merchandise: Flaschenöffner und sowas. Wenn ich dann draußen auf der Straße unterwegs bin, kann ich den Leuten auch mal eine Kleinigkeit schenken. Sowas freut die immer.“
Wer jeweils auftritt und welche Art von Musik erklingt, darauf haben die Kiosk-Betreiber keinen Einfluss. Das entscheidet die RTG als Veranstalter. „Beim letzten Mal hatten wir hier Weltmusik, das hat nicht so eingeschlagen“, erinnert sich Wirtgen. Sieben Stunden lang Blockflöte aus Nicaragua, gepaart mit einer Kombination aus westlichen und anatolischen Musiktraditionen – sowas muss man mögen. „Die Musik war nicht schlecht, sie hat nur einfach nicht nach Rüttenscheid gepasst.“
Techno passt da eher, findet er. Das habe er auch den Veranstaltern gesagt. Und die haben entsprechend reagiert. Außerdem: Mit den DJs könne man ja auch sprechen, sagt Wirtgen, der die Protagonisten von diesem Jahr deshalb bereits gegoogelt hat: „Die werden natürlich keinen Schlager im Programm haben. Wenn die hier sieben Stunden lang 180 Beats pro Minute spielen, dann fliegen den Leuten ja die Ohren weg. Aber ich denke, die werden auch ein bisschen Abwechslung ins Programm bringen.“ Und weil es zwischendurch auch mal Pausen gibt, hat Wirtgen eigene Lautsprecher organisiert. Für die Abwechslung von der Abwechslung.
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