Essen. Erinnerungen an Kindheit und Stallgeruch: Nah am Baldeneysee liegt das kleine Fachwerkhaus, in dem die Familie von Hans-Wilhelm Körzel lebte.

Das Bild aus den 1940er Jahren zeigt seinen Großvater mütterlicherseits: Wilhelm Kreutz steht darauf in Heisingen
vor dem kleinen Fachwerkhaus, das jetzt zu verkaufen ist. Sein Enkel Hans-Wilhelm Körzel hat es in unserem Bericht gleich wiedererkannt. Immerhin war das historische Gebäude viele Jahre auch sein Zuhause, an dem so viele Erinnerungen hängen - und ein Wunsch.

Als Hans-Wilhelm Körzel geboren wurde, da lebten seine Großeltern und Eltern bereits in dem Häuschen an der Nottekampsbank 100. Der heute 80-Jährige wuchs hier mit seinen beiden Geschwistern auf, berichtet davon, wie er mit seinem Bruder über die Treppen tobte („die eine hinauf, die andere herunter“), wie er das Tapezieren von seiner Mutter gelernt hat und wie er es besenrein hinterließ, als sie auszog. „Die Gardinen habe ich hängen lassen, da es wohnlich aussehen sollte“, erzählt Hans-Wilhelm Körzel von der Bitte des Verwalters, als sie das Haus 1984 endgültig verließen.

Sie leben heute in Essen-Altenessen: Hans-Wilhelm Körzel und seine Ehefrau Elisabeth.
Sie leben heute in Essen-Altenessen: Hans-Wilhelm Körzel und seine Ehefrau Elisabeth. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Das Gebäude steht nun längst unter Denkmalschutz und nun auch zum Verkauf (315.000 Euro). Einst soll es die „Leibzucht“ (der Hofteil, den einst ältere Generationen der Familie bewohnten) des früheren Butenberghofes gewesen sein. Dieser ist inzwischen einer Neubausiedlung gewichen, während eine Denkmaltafel vor dem kleinen Haus von der Historie und auch den Arbeiten im Jahr 1994 erzählt, als das Gebäude von Grund auf renoviert worden ist.

Derzeit dient es als Gewerbeimmobilie, könne aber zum Einfamilienhaus umgenutzt werden, heißt es in der Internet-Annonce. Ein entsprechender Antrag sei bereits Anfang des Jahres genehmigt worden. Angeboten wird das Haus mit zwei Schlaf- und zwei Badezimmern, mit seinen insgesamt 110 Quadratmetern auf dem 107 Quadratmeter großen Grundstück. Darauf befinden sich auch zwei Parkplätze, einen Garten gibt es nicht. Ein schmaler Grünstreifen mit Blumen und Bäumen liegt vor der gepflegten Fassade.

Das historische Fachwerkhaus steht an der Straße Nottekampsbank 100 in Essen-Heisingen.
Das historische Fachwerkhaus steht an der Straße Nottekampsbank 100 in Essen-Heisingen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

„Auf einer Leiter habe ich früher die Felder zwischen den Holzbalken weiß gestrichen“, blickt Hans-Wilhelm Körzel zurück. Sie hätten das Haus stets selbst in Schuss gehalten und als die Miete verdoppelt werden sollte, hätten sie genau darauf hingewiesen. Damals gehörte das Haus zur Vittinghoff-Schelschen-Rentei. „Unsere Arbeit wurde dann berücksichtigt“, berichtet er, dessen Kinderzimmer im oberen Geschoss lag. „Meine Eltern waren zum Glück nicht so groß“, sagt er schmunzelnd, da er selbst in der oberen Etage wegen der geringen Höhe etwa bei den Durchgängen zu den Zimmern den Kopf hat einziehen müssen.

Hans-Wilhelm Körzel hat nach Fotos aus dieser Zeit gesucht und eben das gefunden, das seinen Opa vor dem Fachwerkhaus zeigt. Ein weiteres Bild stammt aus der ersten Hälfte der 1940er Jahre, darauf zu sehen ist der Großvater mit einem uniformierten Soldaten am Haus. „Das war ein Onkel von mir, er war wohl auf Heimaturlaub und wurde dann später als vermisst gemeldet“, erzählt sein Neffe. Daher habe er seinen Onkel nie persönlich kennengelernt. „Aber von meiner Mutter weiß ich, dass er noch mit im Haus wohnte.“ So wie manch Geflüchteter und Vertriebener, mit denen die Familie das Haus zeitweilig geteilt hat.

Das historische Foto aus den 1940er Jahren zeigt das Fachwerkhaus in Essen- Heisingen mit dem damaligen Bewohner Wilhelm Kreutz, dem Opa von Hans-Wilhelm Körzel.
Das historische Foto aus den 1940er Jahren zeigt das Fachwerkhaus in Essen- Heisingen mit dem damaligen Bewohner Wilhelm Kreutz, dem Opa von Hans-Wilhelm Körzel. © FUNKE Foto Services | Repro: Kerstin Kokoska

Bis zu drei Familien lebten darin, als sich gegenüber auch noch die Gaststätte Nussbaum befand. „In dem großen Saal wurden Trennwände aufgestellt, um die Menschen darin unterbringen zu können“, erinnert sich Hans-Wilhelm Körzel. Ihr Haus habe damals zwar zwei Eingangstüren gehabt, aber nur eine Toilette. „Da haben wir durchaus mal Schlange gestanden“, sagt der 80-Jährige heute augenzwinkernd. Später hat er die zweite Tür zugemauert und die Wand verputzt. „Es war ein wahrer Segen, als wir das Haus wieder allein bewohnen konnten“, gesteht er.

Sie sind dann auch nach dem Tod des Großvaters Ende der 1940er Jahre im Fachwerkhäuschen „hängengeblieben“, obwohl seine Mutter doch gern in eine moderne Wohnung gezogen wäre. Stattdessen lebten sie zunächst weiterhin mit der Toilette samt „Aalskuhle“ (Jauchegrube).

„Da schaute einem ein Schwein bei dem Entsorgungsvorgang zu“, schmunzelt Hans-Wilhelm Körzel. Je nach Jahreszeit gab es zudem noch zwei Schafe in diesem Stall sowie Kaninchen. „Der Duft aus diesem Stallbereich, für den es übrigens noch eine dritte Türe gab, zog natürlich durchs ganze Haus, war stets da“, berichtet er von diesem Geruch, den er mit seiner Kindheit verbindet. „So bin ich groß geworden.“

Auf dem alten Bild sind noch die früheren angrenzenden Ställe zu sehen, die sich hinter dem Fachwerkhaus in Essen-Heisingen befanden.
Auf dem alten Bild sind noch die früheren angrenzenden Ställe zu sehen, die sich hinter dem Fachwerkhaus in Essen-Heisingen befanden. © HWK

Die Tierhaltung innerhalb des Hauses sei Anfang der 1950-er Jahre beendet worden, das Plumps-Klo sei 1956 durch eine „moderne“ Toilette mit Wasserspülung ersetzt worden. Da die Familie auch damals schon keinen Garten gehabt hätten, pachteten sie Grabeland im Bereich des heutigen neuen Friedhofs und waren damit weitgehend Selbstversorger, „wie so viele Menschen in dieser damaligen Zeit.“

1967 ist Hans-Wilhelm Körzel schließlich aus dem Fachwerkhaus ausgezogen - wegen Elisabeth. Sie ist seine große Liebe, für die der junge Mann aus Heisingen nach Altenessen zog. In Rüttenscheid bei Girardet machte er seine Ausbildung zum Buchbinder, später eine weitere zum Industriekaufmann, wurde Verlagsleiter und Prokurist. Seine Mutter lebte anfangs noch mit seinem Bruder an der Nottekampsbank, bis auch dieser „nach Süddeutschland heiratete“.

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1984 holte Hans-Wilhelm Körzel seine Mutter in seine Nähe nach Altenessen, um bei seinen täglichen Besuchen nicht zwischen den Stadtteilen pendeln zu müssen. Dabei kommt er immer wieder gern nach Heisingen, kehrte auch in den 1990ern an den Ort seiner Kindheit und Jugend zurück, als „ihr“ Fachwerkhaus grundsaniert worden ist. Nun, da es zum Verkauf angeboten wird, hat er im Internet auch die Bilder der Räume gesehen. „Alles sieht ganz anders aus“, sagt der 80-Jährige und würde gern fragen, ob er wohl noch einmal hinein darf. Für ihn wäre das eine kleine Reise zurück in die Kindheit - und sein großer Wunsch.

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