Essen-Holsterhausen. Der Essener Gehörlosenseelsorger Volker Emler geht in den Ruhestand. „Sein“ Gemeindehaus wird aufgegeben. Rückblick auf einen besonderen Beruf.

Fast drei Jahrzehnte lang hat sich Pfarrer Volker Emler (65) engagiert um die Belange von Gehörlosen und Schwerhörigen in Essen gekümmert. Jetzt tritt der evangelische Gehörlosenseelsorger nach 29 Jahren in seiner Essener Gemeinde in den Ruhestand. Auf ihn folgt Pfarrerin Sabine Heinrich (55).

Gehörlosenseelsorger – kein alltäglicher Beruf. Wie wird man das? „Manchmal sind die Wege von unserem Chef da oben eigen“, sagt Emler mit einem Lachen. Er habe sein Studium an einer kirchlichen Hochschule in Bethel absolviert. In der Stadt sei er automatisch mit Menschen mit Behinderung in Kontakt gekommen. Irgendwann hätten seine Frau und er angefangen, gemeinsam Gebärdenkurse zu besuchen.

Essener Gehörlosenseelsorger über Gebärdensprache: „Man muss dranbleiben“

„Meine erste Pfarrstelle hatte ich in Mülheim“, berichtet Emler. Der damalige Superintendent habe ihn dann darum gebeten, die Gehörlosenarbeit zu übernehmen. Und schließlich sei sein Vorgänger in Essen auf ihn zugekommen und habe gefragt: „Willst du nicht hier anfangen?“ „Ich habe dann ganz klar gesagt: nur mit einer richtigen Ausbildung“, betont der Pfarrer. Also besuchte er Intensivgebärdenkurse und machte eine einjährige Blockausbildung, bei der unter anderem Psychologie und soziale Themen in der Gehörlosen-Gemeindearbeit auf dem Lehrplan standen.

Diensthandy-Übergabe in Essen: Volker Emler zeigt in Gebärdensprache das Wort „Bitte“ und seine Nachfolgerin Sabine Heinrich das Wort „Danke“.
Diensthandy-Übergabe in Essen: Volker Emler zeigt in Gebärdensprache das Wort „Bitte“ und seine Nachfolgerin Sabine Heinrich das Wort „Danke“. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

In Essen gibt es eine eigene Gehörlosengemeinde, Emler ist als Pfarrer aber auch Ansprechpartner für Menschen in Mülheim, Duisburg und Oberhausen. Gebärdensprache sei erst einmal eine Sprache wie jede andere, erklärt er: „Es dauert zwei bis drei Jahre, bis man einen Grundstock aufgebaut hat. Und dann muss man dranbleiben.“ Tägliches Learning by doing, immer wieder nachfragen, ob man sich verständlich ausgedrückt habe – das sei wichtig. „Das Tolle an meiner Gemeinde ist: Ich sehe an der Gestik und Mimik immer sofort, wenn ich mich zu kompliziert ausgedrückt habe.“

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Schriftsprache ist für viele Gehörlose schwierig

In Emlers Job zeigte sich, an welchen Stellen es in puncto Inklusion noch hapert. Denn zu ihm kamen die Gehörlosen oft, wenn sie Probleme hatten. Schriftsprache etwa ist für viele Gehörlose nicht einfach. „Ein komplizierter Brief von der Sparkasse ist für sie zum Beispiel schwierig zu verstehen“, schildert er. Wann handelt es sich um eine reine Information, wann muss man handeln? Das erschließe sich vielen nicht sofort.

Das Gemeindehaus an der Henckelstraße in Essen-Holsterhausen beherbergte die Treffen der Essener Gehörlosengemeinde. Jetzt wird es aufgegeben.
Das Gemeindehaus an der Henckelstraße in Essen-Holsterhausen beherbergte die Treffen der Essener Gehörlosengemeinde. Jetzt wird es aufgegeben. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Bei der Seelsorge habe sich außerdem gezeigt, dass Gehörlose immer noch oft Schwierigkeiten in ihrem täglichen Umfeld hätten. Beispielsweise, weil sie die Erfahrung machten, dass Arbeitskollegen oder Nachbarn sie nicht verstehen. Oft habe er auch dabei helfen müssen, zwischenmenschliche Missverständnisse auszuräumen, so Emler.

Essener Pfarrer über Gebärdendolmetschen bei Veranstaltungen: „Gelebte Inklusion“

Auch in der Kirche hapere es an einigen Stellen noch. „Gottesdienste sind in der Regel auf die hörende Gemeinde ausgelegt“, so Emler. In Essen habe er gute Erfahrungen gemacht. Sei er aber gebeten worden, in anderen Städten zu übersetzen, habe er sich vorher immer die Texte geben lassen. Häufig sei das nicht die Sprache gewesen, die Gehörlose sprechen – die Ausdrucksweise war zu kompliziert. Nachfolgerin Sabine Heinrich ergänzt: „Gebärdensprache ist sehr konkret, nicht abstrakt.“

Pfarrerin Sabine Heinrich ist die neue Gebärdenseelsorgerin in Essen. Sie sagt: „Gebärdensprache ist sehr konkret, nicht abstrakt.“
Pfarrerin Sabine Heinrich ist die neue Gebärdenseelsorgerin in Essen. Sie sagt: „Gebärdensprache ist sehr konkret, nicht abstrakt.“ © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Besonders schön seien für Emler hingegen Veranstaltungen gewesen, wo er dolmetschte, weil beispielsweise ein Teil der Familie hörend und der andere gehörlos war: Trauungen, Taufen, aber auch Beerdigungen. „Das ist gelebte Inklusion.“

Gemeindehaus in Essen-Holsterhausen wird aufgegeben

Das Gemeindehaus an der Henckelstraße 22 in Holsterhausen, wo Emler seine Gemeindemitglieder über die Jahre zu vielen Treffen eingeladen hat, wird nun aufgegeben. Zukünftig wird die Gemeindearbeit der Gehörlosen- und Schwerhörigengemeinde Essen im Gemeindezentrum an der Reformationskirche in Rüttenscheid stattfinden. Dort fanden bisher schon die Gottesdienste der Gehörlosengemeinde statt.

Pfarrerin Sabine Heinrich, die auf Volker Emler folgt, wird ihr Büro im Haus der evangelischen Kirche in der Stadtmitte haben. Sie hat Emler nach ihrem Vikariat schon einmal fünf Jahre lang bei seiner Arbeit unterstützt. Zuletzt war sie 16 Jahre lang in Dortmund im Bereich der beruflichen Eingliederung tätig, arbeitete aber weiterhin ehrenamtlich für die Kirche und hielt zum Beispiel Vertretungsgottesdienste.

Verabschiedung in der Reformationskirche in Essen-Rüttenscheid

Was künftig mit dem Gemeindehaus passiert, ist laut Stefan Koppelmann, Sprecher des evangelischen Kirchenkreises Essen, noch nicht klar. Das Gebäude müsse baulich ertüchtigt werden und befinde sich in einem Zustand, der eine hohe Investition nötig machen würde. Deshalb sei ein Verkauf eine „realistische Perspektive“, zumal man angesichts sinkender Gemeindemitgliederzahlen ohnehin künftig schauen müsse, welche Standorte man weiter bespielen könne.

Die Verabschiedung von Volker Emler findet am Sonntag, 7. Juli, um 15 Uhr in der Reformationskirche (Julienstraße 39) statt.

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