Essen. Peter Gorschlüter bleibt Direktor im Museum Folkwang. Stadt Essen verlängert Vertrag unbefristet. Innovative Projekte bescheren dem Haus Erfolge.
Als Peter Gorschlüter 2018 zum neuen Direktor des Museum Folkwang berufen wurde, hatte das Museum in kurzer Zeit mehrere Leitungswechsel hinter sich. Der Wunsch nach mehr Kontinuität war groß und ein Acht-Jahres-Vertrag für den Mann aus Frankfurt ein guter Anfang. Nun steht fest: Der Nachfolger von Tobia Bezzola wird das renommierte Essener Museum auch über 2026 hinaus leiten.
Unter dem Schweizer Bezzola galt das Betriebsklima als schwierig. Mit dem Amtsantritt von Gorschlüter hat sich das Blatt komplett gewandelt. Der engagierte und offene Führungsstil des 49-Jährigen kommt nicht nur bei den Mitarbeitern im Museum an. Bei Politik, Verwaltung und zahlreichen Essener Institutionen gilt Gorschlüter als zugänglicher und kooperationsfreudiger Verhandlungspartner, der den Dialog der Künste nicht nur als Schlagwort versteht. Der Tanz, Musik, Literatur und Performance ins Haus geholt hat und mit innovativen Projekten neue Besucherschichten gewinnt. Entsprechend einstimmig war am Mittwochabend in nicht öffentlicher Sitzung das Rats-Votum, den zunächst auf acht Jahre festgeschriebenen Vertrag nun unbefristet fortzusetzen: Seit der Zeit von Karl Ernst Osthaus (1874 – 1921) habe das Museum Folkwang seinen Gründungsgedanken kaum mehr gelebt als unter der Leitung von Peter Gorschlüter, heißt es unisono.
Im Gespräch mit Martina Schürmann erklärt der Folkwang-Direktor, warum er seine Arbeit in Essen gerne fortführen möchte.
Was hat den Ausschlag für die Entscheidung gegeben, länger am Museum Folkwang in Essen zu bleiben?
Ich habe in den vergangenen Jahren unglaublich viel Rückhalt aus der Politik, Verwaltung und der Stadtgesellschaft erfahren. Mein Eindruck ist: Hier stehen alle Türen offen, und es bieten sich Möglichkeiten, die ich auch weiterhin nutzen möchte. Meiner Ansicht nach ist es uns gelungen, schon vieles anzustoßen, für das Museum, aber auch für die Kulturlandschaft im Ruhrgebiet. Das Potenzial in der Stadt und in der Region ist groß. Es wäre tumb, das aufzugeben. Die Menschen und vor allem das wunderbare Team des Museums machen es zu einer Freude, hier zu wirken.
2018 sind Sie mit ehrgeizigen Plänen in Essen angetreten. Welche haben sich eingelöst, welche noch nicht?
Ganz oben auf der Liste stand, die öffentlichen Wahrnehmung des Museums wieder zu stärken. Ich denke, das ist uns gelungen. Ereignisse wie die Auszeichnung als „Museums des Jahres“ und die zahlreichen Aktivitäten zum 100-jährigen Bestehen des Museum Folkwang mit dem Besuch des Bundespräsidenten beim Festakt und rund 450.000 Besuchern haben dazu sicher beigetragen. Das Museum ist nicht nur in der Region, sondern national und international noch stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt.
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Ein Wunsch zum Amtsantritt war auch, das Museum stärker in die Stadt zu verankern. Im Jubiläumsjahr gab es „Folkwang und die Stadt“. Wird es weitere Projekte geben?
„Folkwang und die Stadt“ war von vornherein als Langzeitprojekt gedacht. Im Grunde geht es bei allen unseren Aktivitäten um die Frage, wie wir eine Brücke in die Stadtgesellschaft schlagen können. Es reicht nicht, Zugänglichkeit in geschlossenen Mauern zu behaupten. Man muss auch auf die Menschen zugehen. Mit dem Bäcker Peter haben wir gerade ein vom Künstler Andreas Slominski entworfenes EM-Brot herausgebracht, und für unsere Haar-Ausstellung im September sind wir momentan mit der Kreishandwerkerschaft im Gespräch. Durch die Klimaticket-Kooperation mit der Katernberger Bonnekamp Stiftung schaffen wir zudem eine Verbindung in den Essener Norden. Und mit dem Jungen Kunstring haben wir einen sehr aktiven Kreis junger Menschen, die eigene Programme in und außerhalb des Museums gestalten.
In der Debatte um die Handelshof-Leuchtschrift konnte der Folkwang-Begriff gleichwohl keine Mehrheiten hinter sich versammeln. Hat Sie die Diskussion um das vermeintlich elitäre Label überrascht?
Ich finde, dass die Stadt stolz sein kann auf die lange Folkwang-Tradition, und die ist zwar anspruchsvoll, aber alles andere als elitär. Trotzdem ist so eine Umfrage auch als Reality-Check zu sehen: Wo sind wir angekommen? Wo haben sich Klischees festgesetzt. Das Ergebnis ist eine Herausforderung und ein Ansporn, dass wir noch ein bisschen was zu tun haben in den nächsten Jahren. Wahrnehmung ändert man nicht von heute auf morgen.
Dabei zeigt sich Folkwang bürgernah wie nie. Vor ein paar Jahren wäre ein Museumschef noch nicht in die Backstube gegangen. Was hat sich geändert?
Die Idee der Kooperation nimmt einen viel größeren Stellenwert ein als vor einigen Jahren. Dabei geht nicht nur darum, neues Publikum zu generieren, sondern den Partnern auch etwas zurückzugeben. Das ist zeitaufwendig. Aber es hilft, die Identifikation mit dem Museum zu steigern. Ich bereife das Museum als einen Ort der Gemeinschaft. Gerade in Zeiten einer zunehmend polarisierten Gesellschaft wird es wichtiger, den Austausch mit vielen zu suchen, seien es nun die Tätowierer oder die Klimaaktivisten, die wir ins Haus eingeladen haben. Die Fülle der Themen, die die Kunst spiegelt, ist fast unerschöpflich. Deshalb sind wir in vielen Bereichen anschlussfähig.
Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie mit Ihrem Team 50 Fragen an die Zukunft des Museums gestellt. Mittlerweile sind neue dazugekommen. Beispielsweise, wie man ein Museum klimaneutral machen kann. Wie kommt das Projekt voran?
Wir haben in den vergangenen fünf Jahren in Sachen Nachhaltigkeit bundesweit eine gewisse Vorreiterrolle eingenommen. Wir haben schon 2019 begonnen, eine Klimabilanz zu erstellen. Die Kälteanlagen sind mittlerweile umgerüstet, eine eigene Photovoltaik-Anlage ist in Betrieb, nun steht noch an, die Heizung auf erneuerbare Energien umzustellen. Mit dem Angebot eines Klimatickets kümmern wir uns ab Juli auch um die Besuchermobilität, neben der Energieversorgung die größte Verursacherin von CO₂-Emissionen am Museum Folkwang. Immerhin nimmt unser Durchschnittsbesucher fast 150 Kilometer An- und Abreise auf sich. Wir gehen sehr konsequent, aber pragmatisch daran, Nachhaltigkeit und Kultur zu vereinen.
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Weniger CO₂-Ausstoß, heißt das auch: weniger Kunst-Transporte? Wie sieht es um die Zukunft der großen Publikumsausstellungen im Museum Folkwang aus?
Der Anteil des CO2-Ausstoßes durch Kunst-Transporte beträgt nur 2,7 Prozent. Die großen Stellschrauben liegen woanders. Will sagen: Es wird auch künftig große, publikumswirksame Ausstellungen mit internationalen Leihgaben geben. Wie das funktioniert, haben ja vergangene Ausstellungen wie die „Expressionisten am Folkwang“ oder „Chagall, Matisse, Miró“ gezeigt. Diese sammlungsbasierten Ausstellungen haben Besucher von auswärts gelockt, aber auch viele, die das Haus schon kennen. Es hat dem Publikumszuspruch keinen Abbruch getan, im Gegenteil. Wir haben im Vergleich zu anderen Museen das große Glück, dass die Sammlung so eine Qualität und Vielfalt an Themen bietet, dass wir mit ergänzenden Leihgaben wunderbare Ausstellungen gestalten können. Und die Sammlung bauen wir Hand in Hand weiter aus.
Mit dem freien Eintritt in die Sammlung setzt das Museum Folkwang schon seit Jahren ein bundesweit beachtetes Zeichen für mehr Zugänglichkeit. Was hat sich im Nutzerverhalten der Besucher verändert?
Den freien Eintritt, den in der Erprobungsphase die Krupp-Stiftung finanziert hat, nun dauerhaft anbieten zu können, ist einer der größten Erfolge, die wir in den letzten Jahren erzielen konnten. Das Interesse an der Sammlung ist weiter steigend. Allein im vergangene Jahr hatten wir über 150.000 Besucher in der Sammlung. Vor allem jüngere Besucher geben an, dass der freie Eintritt für sie wichtig oder ausschlaggebend ist. Das ist das Publikum der Zukunft und das Geld deshalb wahnsinnig gut investiert.
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Wie steht es generell um die Finanzen?
Uns war es ganz wichtig, das Museum auf finanziell breitere Beine zu stellen. Waren es in der Vergangenheit maßgeblich zwei, drei Großsponsoren, die das Folkwang neben der städtischen Grundfinanzierung gefördert haben, blicken wir heute auf ein sehr breites Spektrum von Unterstützern mit vielen unterschiedlichen Unternehmen, Förderern, Stiftungen, die uns nicht nur bei einzelnen Ausstellungen helfen. So fördert uns beispielsweise Eon strukturell in einer dreijährigen Partnerschaft, um neue Zielgruppen zu erreichen. Auch Evonik und vor allem die RAG-Stiftung zählen seit einigen Jahren zu den großen Förderern, die wir neu gewinnen konnten. Stand heute stehen wir finanziell sehr gut da. Dabei sind der Folkwang-Museumsverein und seine Mitglieder die große Stütze, nicht nur in finanzieller Hinsicht.
Ein Rückschlag der vergangenen Jahre war sicherlich die Entscheidung der Politik, das Bundesfotoinstitut entgegen der breiten Expertenempfehlung nicht in Essen, sondern in Düsseldorf anzusiedeln.
Die Standortentscheidung war das größte Ärgernis meiner vergangenen sechs Amtsjahre. Gleichwohl war das Engagement nicht umsonst. Wir stehen besser da als jemals zuvor. Wir haben Partnerschaften mit den Foto-Institutionen in Essen verstetigt, vier neue Stellen im Bereich Fotografie und Fotorestaurierung aufgebaut und die Sammlung erweitert. Wir haben von diesem Prozess durchaus profitiert. Der Fotostandort Essen ist aus der Debatte letztlich gestärkt hervorgegangen.
Welche neuen Projekte stehen an?
Wir freuen uns wahnsinnig auf die große William Kentridge-Ausstellung anlässlich seines 70. Geburtstag im kommenden Jahr. Auch da sind wir mit mehreren Partnern im Gespräch, schließlich ist Kentridge ein Paradebeispiel für einen gattungsübergreifenden Künstler. Ich freue mich aber auch auf unser Alma Mahler-Projekt, unsere erste große Kooperation mit der Theater und Philharmonie Essen, der Alten Synagoge und der Folkwang Universität der Künste. Die Ausstellung über Oskar Kokoschkas Liebesbeziehung zu Alma Mahler im Museum bietet auch Anknüpfungspunkte an unsere eigene Folkwang-Geschichte. Die erste Zeichnung, die Kokoschka von Alma Mahler gemacht hat, ist beispielsweise in unserem Bestand und auch Kokoschkas Verlobungsbild. Dazu haben wir internationale Leihanfragen gestellt. Die Zusammenstellung der Werke wird es danach meiner Ansicht nach so nicht mehr geben, weil die Bilder so empfindlich sind, dass sie nur noch höchst selten ausgeliehen werden. Unsere Idee, diese Werke noch einmal zusammenbringen, hat die Leihgeber aber doch überzeugt. Erweitert wird das Kooperationsprojekt durch hochkarätige musikalische und performative Aufführungen an den Partnerinstituten, von den Berliner Philharmonikern bis hin zu jungen Talenten. Der Folkwang-Gedanke lebt.
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