Essen. Sie studierte erst Jura, ehe sie ihr Glück fand und Konditorin wurde. An einem Info-Tag für Studienabbrecher sollen Ängste genommen werden.

Was ist, wenn man während des Studiums oder der Ausbildung bemerkt, dass der Weg, den man eingeschlagen hat, nicht das Richtige ist? Olesia Kazakova hat zwölf Semester Jura studiert, bis sich die 40-Jährige kurz vor dem Staatsexamen eingestehen musste, dass dieser Berufszweig sie in Zukunft nicht glücklich machen wird.

„Ich habe in meiner Heimat Russland mein Abitur gemacht und begonnen, Rechtswissenschaften zu studieren. Als ich mit 19 Jahren mit meiner Familie nach Deutschland kam, wurde mein Abitur hier nur als Fachabitur anerkannt, wodurch meine Möglichkeiten eingeschränkt waren. Ich hatte an der Ruhr-Universität Bochum die Möglichkeit, weiter Rechtswissenschaften zu studieren, was ich dann auch, mit Unterbrechungen, zwölf Semester lang getan habe“, erzählt Kazakova.

Essener psychisch belastet: Entschluss, das Studium zu schmeißen, kam in der Nacht

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Dann sollte das Staatsexamen folgen: „Ich war zu diesem Zeitpunkt schon sehr stark psychisch belastet, weil ich gemerkt habe, dass mich Rechtswissenschaften überhaupt nicht glücklich machen.“ Trotzdem, so sagt sie, habe sie lange gebraucht, um sich diese Tatsache einzugestehen und sich von dem Studium zu lösen: „Ich habe es immer geliebt zu backen. Zu sämtlichen Geburtstagen habe ich kreative Torten gebacken, dafür war ich im Familien- und Freundeskreis bekannt. Eines nachts bin ich aufgewacht und habe endlich den erlösenden Entschluss gefasst, dass ich Konditorin werden möchte. Ich habe mich dann sofort hingesetzt und drei Bewerbungen geschrieben. Obwohl das Ausbildungsjahr bereits im August begonnen hatte, bekam ich im Januar von der Konditorei Werntges in Essen die Chance, meine Ausbildung zu machen.“

Essenerin nach Studiums-Abbruch: „Man muss nicht studieren, um glücklich zu sein“

Nachdem sie die Ausbildung wegen ihrer guten Leistungen in verkürzter Form abgeschlossen habe, sei für sie der nächste Schritt gewesen, ihren Meister zu machen. „Ich hatte Glück, dass in der Meisterschule in Köln ein Platz frei geworden ist. Nach 12 Monaten hatte ich den Meisterbrief in der Tasche und habe im Anschluss sofort mit dem Betriebswirt angefangen, den ich nach neun Monaten erfolgreich abschließen konnte“, fasst Kazakova ihre berufliche Laufbahn zusammen. Als das Jobangebot der Ausbilderin bei der Kreishandwerkerschaft Essen kam, sei sich die Konditormeisterin erst nicht sicher gewesen, ob diese Art von Job der Richtige für sie sei: „Ich war grundsätzlich interessiert an dem Job, habe aber am Anfang dazu gesagt, dass ich erst ausprobieren muss, ob es etwas für mich ist, als Ausbilderin zu arbeiten.“ Direkt nach dem ersten Tag habe sie aber gewusst, dass sie bleiben werde: „Ich liebe es, anderen Menschen etwas von dem, was ich liebe, weiterzugeben. Es ist ein wunderschöner Job, der mir riesigen Spaß macht. Man muss nicht studieren, um glücklich im Berufsleben zu sein. Oft ist es eher der gesellschaftliche Druck oder Erwartungen aus der Familie, die junge Menschen in ein Studium treiben.“

Bundesweit bricht mehr als ein Drittel der Studierenden die Uni ab

Mit der Entscheidung gegen das Studium, ist Olesia Kazakova nicht alleine: Laut Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung aus dem Jahr 2022, liegt die Abbruchquote bei den Universitäten bei 35 Prozent. Dabei sei Scheitern überhaupt kein Problem und dürfe nicht negativ betrachtet werden, betont Susanne Büchner, Berufs- und Studienberaterin bei der Agentur für Arbeit in Essen: „Viele Studentinnen und Studenten merken im Laufe ihres Studiums, dass sie, mit dem was sie tun, gar nicht glücklich sind. An dieser Stelle beraten wir, denn es muss nicht immer das Studium sein. Auch im Handwerk gibt es sehr gute Berufschancen und erfüllende Karrieren, denn man kann sich in jedem Beruf weiterbilden.“

„Studienabbrecher sind in vielen Unternehmen erwünscht“

Mit der Veranstaltung „Listen to their stories. Erfolgreich zweifeln – Studienaussteiger*innen erzählen“ am Donnerstag, 4. Juli, möchte die Agentur für Arbeit Essen, „Studienzweifler“ unterstützen, den richtigen Berufsweg einzuschlagen und „Erfolgreiches Scheitern“ aufzeigen. Dazu erzählen fünf Gäste, darunter auch Olesia Kazakova, von ihren eigenen Erfahrungen, um Mut zu machen. Susanne Büchner verspricht vielfältige Geschichten der Gäste: vom Studienfachwechsel über einen Quereinstieg als Verwaltungsfachwirtin nach einem siebenjährigen Jurastudium, bis hin zu einem Wechsel vom Wirtschaftspsychologiestudium zum Metallbauer: „Wir möchten mit den Geschichten der Gäste Mut machen und die Leute ins Handeln bringen.“ Darüber hinaus sei es Büchner wichtig zu betonen, dass Studienabbrecher bei Unternehmen enorm gefragt seien: „Uns liegen viele Stellenangebote vor, die den Hinweis enthalten, dass Studienaussteiger erwünscht sind. Studenten, die ihr Studium abgebrochen haben, bringen beispielsweise oft Sprach- und Analysefähigkeit oder Textverständnis mit.“ Auch Olesia Kazakova sieht ihr abgebrochenes Studium nicht als verschwendete Lebenszeit: „Ich profitiere in vielen Lebenslagen noch von dem Wissen, welches ich in meinem Studium erlangt habe und konnte dort wichtige Erfahrungen sammeln. Trotzdem sollte man immer einen Beruf wählen, der einem Spaß macht. Dafür muss man sich oft ausprobieren und erkunden, welche Möglichkeiten man hat. Ich kann nur jedem raten, sein Hobby zum Beruf zu machen, dann muss man nie wieder arbeiten.“
 
 „Listen to their stories. Erfolgreich zweifeln- Studienaussteiger*innen erzählen“ findet am Donnerstag, 4. Juli ab 14 Uhr bei der Agentur für Arbeit Essen, im Raum 0900, Berliner Platz 10, 45127 Essen statt.

Die Veranstaltung ist kostenlos. Um Anmeldung wird gebeten.

Bei der Veranstaltung informieren Kooperationspartner der Agentur für Arbeit in Essen wie das Akademische Beratungszentrum der Universität Duisburg Essen, die Hochschule Ruhr-West, die Kammern und die Stadt Essen über ihre Unterstützungsangebote. Außerdem gibt es ein Austausch-Café, eine „Job-Wall“ und einen Bewerbungsmappen-Check.

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