Essen. Das Publikum liebt sie, die Kritik schwärmt: Warum es für Opernsängerin Jessica Muirhead trotzdem keine Zukunft am Essener Aalto-Theater gibt.

Der letzte Opernabend, den Jessica Muirhead als Sängerin des Essener Aalto-Ensembles an diesem Donnerstag, 20. Juni, bestreitet, soll noch einmal ein großer Moment werden. Muirheads bewegender Auftritt in Puccinis Dreiakter „Il Trittico“ als verzweifelte Nonne Angelica, die im alten Leben Mutter war und nun den Freitod sucht, gilt als einer der Glanzstücke ihrer neunjährigen Zeit am Opernhaus. „Überragend der zutiefst beseelte Sopran, mit dem Jessica Muirhead die „Angelica“ verkörpert.“, urteilte nach der Premiere der Kritiker dieser Zeitung. „Das sind sie. Die Momente, in denen der Opernfan weiß, weshalb er diese Kunst so liebt. Bravo für Jessica Muirhead!“, befand auch das Fachblatt Opernwelt.

Lobgesänge wie diese finden sich viele auf die britisch-kanadische Künstlerin, die in den vergangenen neun Jahren mehr als zwei Dutzend große Partien von „Arabella“ bis „Mimi“, von „Luisa Miller“ bis „Lucrecia Borgia“ mit ihrer Stimme beseelt hat. Ihre Fangemeinschaft geht weit über Essen hinaus. Doch das Aalto-Theater wird sie in der kommenden Spielzeit nicht mehr beschäftigen.

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Die Nachricht, dass ausgerechnet dieser Publikumsliebling zum Ende der Spielzeit 2023/24 das Haus verlassen muss, sorgte schon vor Monaten für harsche Reaktionen vieler Musikfans. Die Erschütterung über die für viele unverständliche Nichtverlängerung des Vertrages hält bis heute an. Man fühle sich geradezu „amputiert“, heißt es aus dem Kollegenkreis, es herrsche „Trauer und Entsetzen“.

Gleichwohl hat sich die Spitze des Aalto-Musiktheaters mit Intendantin Merle Fahrholz und dem in dieser Spielzeit neu verpflichteten Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti in ihrer Entscheidung nicht beirren lassen. Mit dem Puccini-Abend ist in Essen Schluss für die 43-Jährige, die 2018 mit dem Aalto-Bühnenpreis ausgezeichnet wurde.

Auch ein besonderer Karrieremoment: Jessica Muirhead als schwindsuchtkranke Näherin Mimì in Puccinis „La Bohème“ .
Auch ein besonderer Karrieremoment: Jessica Muirhead als schwindsuchtkranke Näherin Mimì in Puccinis „La Bohème“ .

Argumente für die Nichtverlängerung müssen nicht explizit benannt werden und dürfen schon aus juristischen Gründen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Entsprechend zugeknöpft hat sich die Leitung der Theater und Philharmonie bislang gezeigt. Personelle Veränderungen wie diese seien im Theaterbetrieb nicht ungewöhnlich, es gehe um die Entwicklung einer langfristigen künstlerischen Linie, lauteten die eher allgemeinen Auskünfte. Doch das Rumoren hinter den Kulissen ist unüberhörbar, zumal es künstlerisch derzeit nicht allzu gut läuft am Haus.

Die auslaufende Spielzeit war deshalb auch für Jessica Muirhead eine besondere Herausforderung. Von der Nichtverlängerung hat die Künstlerin schließlich schon vor gut einem Jahr erfahren. Entsprechende Fristen müssen beim sogenannten Normalvertrag Bühne eingehalten werden, damit der Vorgang rechtmäßig ist. Prinzipiell ist die Nichtverlängerung des künstlerischen Personals an Theatern am Ende jeder Spielzeit möglich. Für die Betroffenen ist es oft gleichwohl ein harter Schlag. Die Nachricht, zumindest das verrät Muirhead, habe auch sie völlig unvorbereitet getroffen: „Mein Herz war gebrochen.“

„Mein Herz war gebrochen“, sagt Jessica Muirhead

Mittlerweile hat die Frau mit der schönen Stimme und dem großen Herzen das Lachen aber zurückgewonnen. Mehrere große Wiederaufnahmen und auch eine ganz neue Rolle als Margarita in der Opern-Wiederentdeckung „Fausto“ hat sie in ihrem letzten Aalto-Jahr noch gestemmt. „Jetzt weiß ich, dass ich stark bin.“ Geholfen hätten ihr die vielen Kollegen, aber vor allem auch das Publikum. Ganz junge Opernfans sogar, darunter eine musikbegeisterte Jugendliche, die von Muirheads „Angelica“ schon als Zwölfjährige so begeistert war, dass das Mädchen nun selber eine Gesangskarriere anstrebt. Muirhead wird den Weg auch in Zukunft verfolgen.

Denn die Stadt Essen, von der die Sängerin bis 2015 noch nie gehört hatte, ist längst ihre Heimat geworden. „Ich fühle mich wirklich wohl hier.“ Zusammen mit ihrem Mann, dem international erfolgreichen Bariton Daniel Luis de Vicente, hat sie sich im Südviertel eingerichtet und will auch dort bleiben. Die Geschicke des Opernhauses wird sie nun nur noch aus der Distanz verfolgen. Und sich Zeit nehmen, um über ihre eigene Zukunft als Sängerin nachzudenken.

Aalto-Sopranistin Jessica Muirhead und ihr Mann Daniel Luis de Vicente haben in Essen ein gemeinsames Zuhause gefunden.
Aalto-Sopranistin Jessica Muirhead und ihr Mann Daniel Luis de Vicente haben in Essen ein gemeinsames Zuhause gefunden. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Für den letzten, vermutlich nicht ganz tränenfreien Aalto-Auftritt bekommt sie noch einmal viel Unterstützung. Ein Bruder und enge Freundinnen sind dabei, ihre Eltern sind sogar eigens aus Kanada nach Essen angereist.

Der Stadt bleibt sie treu, das Publikum wird sie vermissen. Ihr Anspruch gilt bis zuletzt: „Ich will dem Publikum meine Seele öffnen“.

Tickets für die Abschiedsvorstellung gibt es unter Tel. 0201-8122-200 und www.Theater-Essen.de

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