Essen. Lange hat der Essener Hausarzt Stephan Müller einen Nachfolger gesucht. Nun schließt er die Praxis, die sein Vater einst eröffnet hat, für immer.

Es ist ein trauriger Abschied von einem Arbeitsplatz, den er geliebt hat: „Ich war immer mit Leib und Seele Hausarzt“, sagt Stephan Müller. Und so trifft es den 68-Jährigen, dass er für seine Praxis in Essen-Stoppenberg trotz langer Suche keinen Nachfolger gefunden hat. Wenn Müller Ende Juni die Praxistür für immer schließt, bricht im Essener Norden erneut ein Stück Gesundheitsversorgung weg.

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Das Schicksal von Müllers Praxis steht beispielhaft für eine Entwicklung, die sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird: „Mehr als ein Drittel der in Nordrhein-Westfalen tätigen Hausärztinnen und Hausärzte hat das 60. Lebensjahr überschritten und wird aus Altersgründen in absehbarer Zeit ihre Praxis aufgeben“, heißt es beim Landesgesundheitsministerium. Fast zwei Drittel von ihnen werden wohl keinen Nachfolger finden.

Essener Arzt gibt Praxis ab: 1000 Hausarztsitze in NRW sind unbesetzt

Schon jetzt sind rund 1000 Hausarztsitze in NRW nicht besetzt. Und noch sind davon vor allem dörfliche Gebiete betroffen, weswegen die Politik die Landarztquote ersonnen hat: Sie ermöglicht jungen Menschen einen leichteren Zugang zum Medizinstudium, wenn sie sich verpflichten, nach der Facharztausbildung „für zehn Jahre in einer unterversorgten Region als Hausarzt zu arbeiten“. Gemeint sind damit ländliche Regionen, Großstädte wie Essen leiden im Ganzen betrachtet nicht an einer Unterversorgung. Doch Experten weisen darauf hin, dass einzelne Stadtteile nördlich der A40 bereits unterversorgt ist.

Auch Stephan Müller vermutet, dass es leichter wäre, einen Nachfolger zu finden, wenn seine Praxis in Bredeney läge. „Ich weiß nicht, ob es die jüngeren Kollegen vielleicht eher in den Süden der Stadt zieht, dorthin, wo es mehr Privatpatienten gibt.“ Dabei würden sie im Norden doch so dringend gebraucht – und fänden eine erfüllende Aufgabe. 35 Jahre lang hat Müller in Stoppenberg praktiziert, als Nachfolger seines Vaters, der die Praxis 1952 gegründet hat. „Ich habe hier alle Generationen betreut: vom Kind bis zur Urgroßmutter. Ich habe sogar noch Patienten, die schon bei meinem Vater waren.“

Die meisten Ärzte können nicht um 16 Uhr das Stethoskop fallen lassen

Menschlich wie medizinisch sei die Arbeit des Allgemeinmediziners hoch spannend, allerdings auch herausfordernd, räumt Müller ein. Wenn das Wartezimmer voll ist, verschiebt sich der geplante Feierabend schnell nach hinten. Junge Ärzte und Ärztinnen strebten daher vermehrt in die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), wo sie angestellt in größeren Teams arbeiten. „Als Angestellte können sie um 16 Uhr das Stethoskop fallen lassen.“ Auch der wirtschaftlichen und fachlichen Verantwortung, die ein einzelner Hausarzt allein trägt, seien die Kollegen in den MVZ enthoben. Dass das für manchen verlockend ist, kann Müller sogar verstehen.

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Ganz unabhängig von der Praxisform wollen überhaupt nur fünf bis zehn Prozent der Medizinstudenten Hausärzte werden. Andere Facharztdisziplinen dürften auch lukrativer sein. 24 Euro bekomme er zum Beispiel für einen Hausbesuch, „für den ich notfalls eine halbe Stunde unterwegs bin“, sagt Müller.

Demnächst werden wohl seine Patienten lange Wege zum neuen Hausarzt haben. Denn die verbliebenen Praxen in der Umgebung haben oft einen Aufnahmestopp: „Die meisten wollen keine neuen Patienten aufnehmen, weil sie schon überlaufen sind“, bedauert Müller, der angefangen hat, seine Patienten zu verteilen, als er merkte, dass es mit dem geplanten Verkauf der Praxis nichts wird.

„Oha, da sind viele Tränen geflossen bei den Patienten – und bei mir.““

Dr. Stephan Müller, Hausarzt aus Essen-Stoppenberg, schließt seine Praxis Ende Juni

Seit knapp vier Jahren habe er es über die Praxisbörse der Ärztekammer versucht, über die Deutsche Apotheker- und Ärztebank, habe Praxisbörsentage besucht und Anzeigen geschaltet. Auf einen Arzt, der eine Praxis suche, kämen heute vier oder fünf Praxen. Er erinnere sich an die verzweifelte Annonce eines Gynäkologen: „Ich kann nicht mehr, ich verschenke meine Praxis.“

Müller macht seine Praxis schweren Herzens dicht, die Räume will er vermieten, einen Interessenten gebe es schon. Um seine beiden „wunderbaren“ Angestellten, die 20 Jahre für ihn gearbeitet haben, muss er sich keine Sorgen machen – Fachpersonal wird überall händeringend gesucht.

Hausarzt in Essen-Stoppenberg bekommt nun viele Flaschen Wein geschenkt

Kummer bereitet dem Arzt die Versorgung seiner Patienten: „Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach rät den Leuten jetzt, zur Behandlung ins Krankenhaus zu gehen. Das macht mich stinksauer: Im Essener Norden sind mit Marienhospital und St. Vincenz ja gerade zwei Krankenhäuser geschlossen worden.“ Tatsächlich will Lauterbach Klinikärzten ermöglichen, Versorgungsangebote zu machen, die bisher bei niedergelassenen Ärzten angesiedelt sind. Doch wie soll das gehen?, fragt Müller. Rund 2400 Patienten sieht er im Jahr, sein gesamter Patientenstamm dürfte noch größer sein.

Patienten sollten Karteikarten abholen

Auch wenn sie gesund sind, sollten Patienten und Patientinnen von Dr. Stephan Müller bis Ende Juni noch einmal in seine Praxis kommen: Sie können sich dort ihre persönliche Karteikarte abholen.

Die Praxis liegt am Distelkamp 11 in Essen-Stoppenberg. Telefonnummer: 0201-21 12 33

Den Jungen dürfte es leichter fallen, einen neuen Arzt zu finden: „Alte Menschen tun sich schwer, lange Wege in Kauf zu nehmen“, weiß der Essener Hausarzt. Erst auf Nachfrage sagt Stephan Müller, dass ihnen wohl auch der Abschied vom Arzt ihres Vertrauens schwerfalle. Nicht nur, dass er derzeit so viel Wein geschenkt bekomme, wie nie zuvor. „Da sind auch viele Tränen geflossen bei den Patienten – und bei mir.“

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