Essen. Ein altes Fachwerkhaus, das eins zu einem großen Hof wurde, wird jetzt in Essen-Heisingen verkauft. Der Preis überrascht einige.
Ein historisches Fachwerkhaus wird in Heisingen weiterhin zum Verkauf angeboten. Während der Makler Immobilie und Lage anpreist, musste Ortshistoriker Henner Höcker von der Bürgerschaft erstmal einen Schrecken verarbeiten. Ist doch jüngst manches Gebäude mit Geschichte im Stadtteil verschwunden, da half auch der Denkmalschutz nicht immer. Nun hofft Höcker darauf, dass sich jemand mit Herz für das Haus findet, das einst zu einer großen Hofanlage gehörte. Der aktuelle Preis indes erscheint nicht so hoch.
Heisinger Historie
Die Ereignisse und Daten auch zu historischen Bauten wie Fachwerkhäusern und Bauernhöfen haben auch die Ortshistorikerinnen Ilse Cram und Margret Oldenburg niedergeschrieben („Heisingen im Jahr 1803 - Zur Zeit der Säkularisation“). Dabei geht es auch um den Bereich „Tannenberg“ (an der Nottekampsbank).
Die Autorinnen berichten vom großen Butenbergshof dort, der einst gegenüber der Nottekampsbank 100 stand (das Fachwerkhaus, das jetzt zum Verkauf steht). Auf dem Areal gab es auf dem Hof der Familie Vatter nicht nur die Gaststätte „Zum Nussbaum“, in der Nähe ist auch im Ersten Weltkrieg 1918 ein Flugzeug auf dem Weg zur Front abgestürzt. Ein Denkmal erinnert an dieses Unglück, während Denkmaltafeln an der Nottekampsbank auch den Turnverein und seinen Sportplatz sowie die ehemalige Bergbauleitstelle im Gedächtnis halten. Von hier wurden die Kumpel auf die Zechen verteilt. All dem folgte längst eine Siedlung mit Neubauten.
110 Quadratmeter ist das Fachwerkhaus groß, das auf einem 107 Quadratmeter großen Grundstück samt zwei Stellflächen für Pkw an der Nottekampsbank 100 steht. Das bedeutet auch, dass es keinen Garten, sondern lediglich einen kleinen Grünstreifen mit Rasen und Pflanzen ums Haus gibt. Hinter der Fachwerkfassade gibt es je zwei Schlaf- und zwei Badezimmer. Derzeit allerdings wird das Gebäude als Gewerbeimmobilie genutzt.
Der Mietvertrag laufe noch bis Ende Juli, heißt es auf dem Internetportal Immobilienscout. Und auch: „Der Antrag zur Umnutzung in ein Einfamilienhaus wurde Anfang 2024 genehmigt.“ Der Anbieter weist zudem darauf hin, dass der Holzboden „revitalisiert“ werden müsste und dass es zusätzliche Fläche im Spitzboden gibt (43 qm). Der Preis: 315.000 Euro.
Nicht nur Henner Höcker wundert sich, dass da noch niemand zugeschlagen hat. Sind doch Einfamilienhäuser in seinem Dorf äußerst begehrt und oftmals auch deutlich weniger erschwinglich. Ob es an der Nottekampsbank nun am Denkmalschutz oder am fehlenden Garten liegt, das könne er nicht sagen. Fest steht aber, dass dieses Fachwerkhaus eine lange Geschichte mit sich bringt. So sei die Angabe „Baujahr 1994“ im Internet nicht ganz richtig, sei das Haus damals nicht errichtet, sondern von Grund auf renoviert worden, wie auf der Denkmaltafel am Gebäude nachzulesen ist. Das ursprüngliche Baujahr reicht deutlich weiter zurück.
Viele historische Häuser sind in Essen-Heisingen bereits verschwunden
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Bei den Bauarbeiten in den 1990ern sei es möglich gewesen, die Architektur eines Fachwerk-Lehmbaus in allen Einzelheiten zu studieren. Eine Bauweise, die es im Stadtteil oftmals gegeben habe. „Leider ging im Laufe der Zeit eine ganze Reihe dieser Gebäude durch Brände verloren.“ Sie wurden dann nicht im Fachwerk wieder aufgebaut oder auch abgerissen und „durch moderne Konstruktion“ ersetzt.
Darunter ist das Gebäude in der Dorfmitte, das viele noch als das blaue Häuschen kennen, da die Fachwerk-Fassade angestrichen wurde. Einst lebte dort eine Bäckerfamilie, später Nachkommen etwa mit einem Steuerberaterbüro, bevor das Gebäude abgerissen und durch ein wesentlich größeres Mehrfamilienhaus ersetzt worden ist. Das kleine Fachwerkhaus an der Heisinger Straße nahe des Schellenberger Waldes wiederum schützte selbst der Denkmalschutz nicht. Es verfiel lange, wurde dann zum Kauf angeboten, schließlich abgerissen. Die Stadt bestätigte seinerzeit einen Bauantrag für ein Einfamilienhaus auf dem Grundstück. Das ist aber weiterhin leer.
Erhalten hingegen hat ein Privatmann das kleine Fachwerkhaus gleich neben der Zweigstelle der Georgschule. Der Käufer hat vieles selbst saniert und lebt darin. Dieses war einst die „Leibzucht“ (der Teil des Hofes, den früher die ältere Generation in der Familie bewohnte) eines größeren Bauernhauses, so wie wohl auch das Haus an der Nottekampsbank 100, das die „Leibzucht“ des früheren Butenberghofes gewesen sein soll. Dieser existiert nicht mehr, an seiner Stelle ist eine Neubausiedlung entstanden.
Hinter dem jetzt zum Kauf angebotenen Fachwerkhaus erreicht man über einen Garagenhof wiederum eine weitere, deutlich größere „Leibzucht“ des ehemaligen Bergmannshofes. Der ist 1865 samt Stallungen abgebrannt, als die Bauern auf der Kirmes feierten. Er wurde nie wieder aufgebaut, haben die Ortshistorikerinnen Ilse Cramm und Margret Oldenburg in ihrem Buch über Heisingen festgehalten. Die Familie zog seinerzeit in das Nebengebäude, das saniert und bis heute bewohnt ist.
Das kleinere Fachwerkhaus davor, gleich an der Straße, bietet bisher Arbeitsplatz und sucht nun nach neuen Bewohnern. Seit ein paar Wochen steht das Inserat online. Es müsse wohl jemand sein, der keine Angst vor dem Denkmalschutz habe und auch kompromissbereit sei, glaubt Henner Höcker und hält das nicht für sehr schwierig. „Ich bin frohen Mutes, dass sich ein Käufer mit Courage, Ambitionen und Emotionen findet“, sagt er, da doch selbst bei denkmalgeschützten Bauten vieles verhandelbar sei.
Gleichwohl gesteht Henner Höcker, dass gerade historisch Interessierte in Heisingen zunächst stets erschrocken seien, wenn sich beispielsweise Erben für einen Verkauf entschieden. Zu oft hätten die Heisinger mit ansehen müssen, wie geschichtsträchtige, sogar denkmalgeschützte und sehr individuelle Bauten einer kantigen Einheitsarchitektur weichen mussten. Eine Kritik an neuen Mehrfamilienhäusern, die viele in seinem Dorf teilen.
Müsste also Henner Höcker das Fachwerkhaus nun anbieten, es fiele ihm nicht schwer. Ein Kleinod und Schmuckstück, nennt er es, eine Idylle - und sieht über den fehlenden Garten hinweg. Auch über die Tatsache, dass der Denkmalschutz und ein nachträglich angebauter Balkon sich wohl widersprechen würden. „Innen kann man gut wohnen, von außen ist es hübsch anzuschauen.“ Und das könne man nicht von jedem Haus behaupten. In seinen Augen bleibt dieses Fachwerkhaus ein romantischer Ort, eine ruhige Oase zwischen Wald und See.
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