Essen. Mehr Kandidaten-Show als Parteitag: Bei ihrem Empfehlungs-Votum für die Konkurrentin des OB überlassen die Genossen nichts dem Zufall.
Draußen vor den Saaltüren steht der Sekt bereits kalt, und drinnen ist auch lange vor der Abstimmung klar, für wen: So ist das halt, wenn die Essener Sozialdemokratie ihre OB-Kandidatin für die Kommunalwahl im kommenden Jahr kürt und der letzte verbliebene Gegenkandidat schon vor Wochen den Weg freigemacht hat: Julia Klewin, 40-jährige Gesamtschullehrerin und Ratsfrau aus Rüttenscheid, weiß nach dem einstimmigen Votum des Parteivorstands im März nun auch den SPD-Parteitag hinter sich – einstimmig, ohne Gegenstimme. Und zwei Enthaltungen unter 128 Delegierten, Jesses, die lassen sich locker verschmerzen.
Die Essener Genossen sind entschlossen, gute Laune zu verbreiten
Mögen die Umfragen im Bund auch deprimierend ausfallen – rund 16 Monate vor der OB-Wahl sind die Genossen in Essen an diesem Abend im Hotel Franz fest entschlossen, gute Laune zu verbreiten. Genörgelt haben ein paar Sozis allenfalls im Vorfeld in den sozialen Netzwerken, bei der Nominierungs-Empfehlung, die zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal formell abgesichert werden muss, herrscht Jubelstimmung. Und nichts überlässt man dem Zufall: Gleich drei Foto- und Film-Begleiter im Saal dokumentieren die Kür, es gibt Kinderbilder der Kandidatin auf der Leinwand und Testimonials von Weggefährten, moderiert vom Parteichef und Landtagsabgeordneten Frank Müller, der sein Talent zum Conferencier ausspielt.
Jetzt wissen die knapp 3000 Essener Sozialdemokraten, dass die Herausforderin von Oberbürgermeister Thomas Kufen eine Leidenschaft für spannende Arztserien hat und außerdem ein Tattoo, dass sie sich im Skiurlaub mal die Rippen brach, bei der Nachhilfe in Latein „immer sehr fleißig“ war und als ihre schlechteste Eigenschaft die pedantische Kontrolle einmal vereinbarter Termine gelten darf.
Klewin spottet über eine Stadtregierung, die „überhaupt nicht mehr vom Fleck kommt“
Und: Dass das teure Rhetorik-Seminar in New York damals kein rausgeschmissenes Geld war. Ihre Parteitagsrede ist kurz und knackig und bedient die Erwartungen der Gäste – mit dem Bekenntnis zu einer Stadt „zwischen Currywurst und Champagner“ genauso wie mit dem Spott über „eine Stadtregierung, die so viel Sand im Getriebe hat, dass sie überhaupt nicht mehr vom Fleck kommt“. Zu wenig Wohnungen, zu wenig Kita-Plätze, die Autobahn A 40 nach wie vor als „Wohlstandsmauer“ – und obenauf ein Oberbürgermeister, der mit einem schwarz-grünen Zweckbündnis im Rücken mittlerweile weniger Aufträge abwickle, „als die Mängelmelder-App der Stadtverwaltung“.
Das würde, klar, alles anders, wenn im Herbst 2025 erstmal das „Rathaus wieder rot“ wird, dafür wirbt sie: dass alle mithelfen, die SPD auf sämtlichen Ebenen wieder zu alter Stärke zu führen. Und sie verkneift sich am Ende nur den neulich noch erwähnten Spruch, Thomas Kufen habe sie irgendwann mal als die „gefährlichste Frau im Stadtrat“ bezeichnet. Der hat das intern nämlich längst dementiert.