An Rhein und Ruhr. Bei einer Pro-Palästina-Demo in Essen waren vermehrt islamistische Symbole zu sehen. Ein Islam-Experte erklärt, welche Gruppen dahinter stecken.
Es war für viele Menschen ein Schock, als am 3. November auf einer Demonstration in Essen schwarze Fahnen mit arabischen Schriftzeichen gezeigt wurden. Frauen und Männer marschierten getrennt, riefen „Allahu akbar“ (Gott ist der Größte), auf einigen Plakaten wurde ein Kalifat gefordert. Auch die Politik reagierte empört. Anmelder der sogenannten pro-palästinensischen Demonstration war in Essen eine Privatperson. Welche Gruppierungen hier am Werk sind, wollte die Redaktion von Mouhanad Khorchide erfahren, er ist Professor für Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelm-Universität in Münster.
Islamexperte: Islamisten wollen in die reale Welt auftauchen
Der Islamexperte warnt davor, dass Islamisten aktuell die Gelegenheit nutzen wollen, um sich den Menschen auf der Straße anzuschließen. „Man kann von einer Instrumentalisierung der Demonstrationen sprechen. Hinzu kommt, dass sie versuchen, den Nahost-Konflikt als einen religiösen Konflikt darzustellen, in dem es um die Errichtung eines Kalifats für Muslime geht“, erklärt der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster.
Dass Islamisten auf den Straßen Antisemitismus verbreiten und das Existenzrechts Israel verneinen, macht natürlich vielen Menschen Angst. „Viele assoziieren diese Demos pauschal mit dem Islam und mit Muslimen - und genau dies spaltet unsere Gesellschaft. Viele Muslime fühlen sich als Antisemiten verdächtigt, und zugleich haben immer mehr Menschen Furcht vor dem Islam“, sagt Khorchide. Deshalb fordert er, dass gemäßigte islamische Stimmen laut werden und „sich ohne Wenn und Aber vom Terror der Hamas und von jeder Form des Antisemitismus distanzieren“.
Schon seit geraumer Zeit verbreiten Islamisten und ihre Gruppierungen in den sozialen Medien verstärkt ihre Ideologie, sagt Mouhanad Khorchide. Er beobachtet, dass mehrere Gruppierungen rund um die verbotene Organisation „Hizb ut-Tahrir“ gerade im Internet sehr aktiv sind. Sie treten meist unter drei Profilen auf: „Realität Islam“, „Muslim interaktiv“ und „Generation Islam“, etwa bei Facebook. „Sie wollen die Gelegenheit nutzen, sich den Menschen auf der Straße anzuschließen, „um aus ihren virtuellen Räumen in der realen Welt aufzutauchen und ihr eigenes Anliegen zu verbreiten“, erklärt Khorchide.
Veranstalter der Essener Demo gehört zu Umfeld einer Verbotenen Organisation
Nach der Demo hat die Gruppe „Generation Islam“ (GI) in den sozialen Netzwerken Videos veröffentlicht, in denen die Demonstration propagandistisch ausgeschlachtet wurde. In diesen Propagandavideos wird betont, dass ein Kalifat die Lösung für den Nahostkonflikt sei.
GI ist eine Gruppierung im Umfeld der radikalislamischen Hizb ut-Tahrir (HuT). Im Jahr 2003 wurde in Deutschland durch das Bundesinnenministerium ein Betätigungsverbot der Organisation verfügt. „Aufgrund der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ideologie sowie des Antisemitismus der HuT unterliegt diese Partei der Beobachtung durch den Verfassungsschutz“, steht auf der Homepage des NRW-Innenministeriums.
NRW-Innenministerium: Keine Vertreter der islamistischen Gruppierung wohnen im Land
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Vor der Demo kursierten auch in den sozialen Netzwerken, unter anderem auf Instagram und TikTok, Videos von der Einladung zur Essener Demo, mit dem Hinweis, dass der Aktivist Ahmad Tamim als Hauptredner erwartet wird. Tamim ist nach eigenen Angaben Palästinenser und Sprecher der Organisation „Generation Islam“, die auf den sozialen Netzwerken aktiv ist.
Dort folgen ihr mehr als 70.000 Menschen. „Mit ihrer islamistischen Ideologie versuchen die Aktivisten von GI insbesondere bei jungen, in Deutschland sozialisierten Muslimen mit Zuwanderungsgeschichte zu punkten, die das hiesige Institutionalisierungs- und Repräsentationsdefizit des Islam mindestens als Ungerechtigkeit oder sogar als Diskriminierung und persönliche Zurücksetzung empfinden“, so das NRW-Innenministerium auf Anfrage der NRZ. Laut Verfassungsschutz wohnen in NRW jedoch keine Vertreter der Gruppierung GI. „Mit der pro-palästinensischen Demonstration in Essen am 3. November sind erstmals realweltliche Aktivitäten von GI in NRW bekannt geworden“, erklärt das Innenministerium. Mit „realweltlich“ meint das Reul-Ministerium wohl, dass aus den Ankündigungen im Netz nun Taten geworden sind.
Düsseldorf: Umstrittener Influencer ruft zu einer pro-palästinensische-Demo auf
Nur einen Tag später fand am 4. November ein sogenannter pro-palästinensischer Schweigemarsch in Düsseldorf statt, an dem mehr als 17.000 Menschen teilnahmen. Neben der Partei des ehemaligen CDU-Politikers Jürgen Todenhöfer hatte der umstrittene Influencer Serhat S. zu dieser Demo eingeladen. Mit seiner Reichweite auf TikTok und Instagram spricht er zahlreiche Menschen an. Dieser Influencer war neben Jürgen Todenhöfer selbst als Redner vor Ort.
Todenhöfer (der sich als Publizist bezeichnet) wird von Kritikern vorgeworfen, dass er vor allem mit und für die Falschen redet: unter anderem mit Syriens Diktator Assad und dem türkischen Präsidenten Erdoğan. Serhat S. präsentiert sich in den sozialen Netzwerken als Journalist, der offenbar mit Islamisten verbunden ist. Auf X, vormals Twitter, tauchten von dem Influencer Fotos mit bekannten Gesichtern der Islamistischen Szene in Deutschland auf - unter anderem mit dem Salafisten Marcel Krass, einer der bekannten Salafisten Deutschlands.
NRW-Innenministerium warnt vor Spaltung der Gesellschaft
532 Straftaten
Seit dem 7. Oktober bis zum 15. November haben laut NRW-Innenministerium 128 pro-israelische sowie 127 pro-palästinensische Versammlungen stattgefunden.In diesem Zusammenanhang wurden demnach seit dem Hamas-Terrorangriff und der Reaktion Israels darauf insgesamt 532 Straftaten in NRW erfasst. Nach Angaben des Innenministeriums handelt sich beim Großteil der Straftaten um Volksverhetzung und Sachbeschädigung.
Mit anderen islamistischen Influencern war S. Teil vom Livestream der Krass- „DEEN (Glaube)-Akademie“, wo S. mit anderen Influencern Spenden für die Erdbebenopfer in der Türkei gesammelt hatte. Demnach ist er in Werbe-Videos für die Seminare von Krass aufgetreten. Ob S. auf der Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes steht, teilte das NRW-Innenministerium aus Datenschutzgründen allerdings nicht mit.
Mittlerweile wirft der Influencer in mehreren Videos den deutschen Medien vor, unter anderem Tatsachen zu verdrehen. Daher warnt das NRW-Innenministerium davor, dass „das Bestreben, Muslime gegen Staat und Gesellschaft aufzubringen, langfristig zu einer gesellschaftlichen Spaltung beitragen kann“. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) macht sich dafür stark, schärfere Auflagen für Demonstrationen durchzusetzen, will unter anderem prüfen, ob Deutsch als Versammlungssprache vorgeschrieben werden könnte.