Essen. Die Kleinen in den Notaufnahmen des Kinderschutzbundes Essen brauchen erneut Unterstützung. 16. NRZ-Spendenaktion für die „Spatzennester“ läuft.
„Ich bin Sven und mich will keiner.“ Mehr sagt der Fünfjährige nicht, als er das erste Mal im Haus „Kleine Spatzen“ des Essener Kinderschutzbundes in Borbeck landet. Der Junge ist eingeschüchtert, misstrauisch. Die Erwachsenen machen ihm sichtbar Angst. Und es dauert, bis er sich ein Herz fasst. Erst nach und nach holt er vorsichtig ans Licht, was ihm und seinen beiden jüngeren Geschwistern daheim widerfahren ist.
Ihre Eltern behandeln die Kinder so wie ihre Hunden und Katzen auch. Sie treten nach ihnen und schlagen sie, prügeln sie durch die Wohnung, um sie am Ende ihrer Gewaltausbrüche einmal mehr wegzusperren - wieder und wieder, bis eine aufmerksame Nachbarin argwöhnisch wird. Die Frau alarmiert die Behörden, das Jugendamt und die Polizei kommen ins Haus, der Junge und zwei Mädchen in Obhut. Ermittlungen wegen Kinderpornografie und der Verbreitung pornografischer Bilder im Internet schließen sich an.
Es ist unvorstellbar, welches Leid Sven, seine Geschwister und zu viele andere Kinder in den Notaufnahmen in ihrem jungen Leben bereits erfahren mussten. Der Essener Kinderschutzbund hat in den ersten zehn Monaten dieses Jahres bereits 40 misshandelte, missbrauchte oder vernachlässigte Jungen und Mädchen in seinen beiden Schutzhäusern, dem „Spatzennest“ in Altenessen und der Einrichtung „Kleine Spatzen“ für die Jüngsten in Borbeck, neu aufgenommen.
26 der Kinder in den Notaufnahmen waren jünger als sechs Jahre
Insgesamt lebten damit in diesem Jahr 67 Kinder vorübergehend in den Notaufnahmen, 49 Jungen und 18 Mädchen, die dort zwischen einer Woche und acht Monaten betreut wurden. 26 waren jünger als sechs Jahre, 30 im Alter zwischen sechs und zehn Jahren, elf waren älter als zehn. Der Bedarf an Plätzen ist jedoch um ein Vielfaches höher: Im selben Zeitraum mussten 322 Anfragen für eine Aufnahme abgelehnt und die Kinder auf Einrichtungen in ganz NRW verteilt werden.
Dabei werden die Opfer der Eskalationen in den Elternhäusern wieder jünger: Waren die meisten Kinder, die in den vergangenen Jahren aus Krisen und vor Mutter oder Vater gerettet wurden, zwischen sechs und neun, sind sie aktuell zwischen drei und fünf Jahre alt. „Mit einem Mal hatten wir einfach nicht mehr genug Hochstühle“, erinnert sich Martina Heuer vom Kinderschutzbund
Vielen der Opfer wurde „extreme körperliche Gewalt angetan“, weiß Heuer: „Die sehr exzessiven Übergriffe sind mehr geworden.“ Wie für Sven und seine Geschwister waren Schläge, Tritte und das Wegsperren auch für die Allerjüngsten an der Tagesordnung. Arbeitslosigkeit, Existenzsorgen, große wirtschaftliche Belastungen in Zeiten der Inflation lassen die Nerven blank liegen, heißt es beim Kinderschutzbund.
Die Schützlinge bringen die Gewalt mit in die Einrichtungen
Vielfach kommen psychische Erkrankungen, Alkohol- und Drogenabhängigkeiten dazu, die die Situation in den Familien dann nahezu unbeherrschbar machen. Auch Elternteile gehen aufeinander los, prügeln sich vor den Augen ihrer Kinder.
Was sich in den Notaufnahmen fortsetzt: Die kleinen Schützlinge, „sie bringen diese Gewalt mit, haben enorme Ängste und entwickeln große Wut“, die sich in all ihrer Verzweiflung brutal entlädt - wie bei dem Siebenjährigen, der dermaßen ausrastete, dass er eine Türe im Spatzennest regelrecht aus dem Rahmen riss.
Umso mehr ist nun in den Notaufnahmen Zeit für besondere Nestwärme. Die Weihnacht steht alle Jahre wieder auch in den Schutzhäusern für Nächstenliebe und ist Anlass genug, jenen Gutes zu tun, denen das Leben, kaum dass es begonnen hat, auf das Übelste mitspielt.
Über 400 Geschenke und 30.000 Euro kamen im vergangenen Jahr zusammen
Viele der „Spatzen“ in den Notaufnahmen werden in diesem Jahr zum ersten Mal ein Fest ohne Frust, einen Heiligabend ohne Heulen, eine Weihnacht zum Wohlfühlen und mit Präsenten erleben, die Sie, liebe Leserinnen und Leser, den kleinen Bewohnern der Notaufnahmen einmal mehr schenken können.
Was wichtiger denn je ist: Nach Corona machen dem Kinderschutzbund wegbrechende Spenden als wichtigste Einnahmequelle bei gleichzeitig steigenden Preisen und Kosten schwer zu schaffen. Umso wichtiger ist in diesem Jahr die erneute Unterstützung der NRZ-Leserinnen und -Leser.
Der Kinderschutzbund ist noch heute begeistert von der Spendenbereitschaft bei der NRZ-Weihnachtsaktion des vergangenen Jahres: Über 400 liebevoll eingepackte Geschenke und nicht weniger als 30.000 Euro an Geldspenden sind für das „Spatzennest“ in Altenessen und das Borbecker Haus „Kleine Spatzen“, in dem die Jüngsten Zuflucht finden, zusammengekommen.
In jedem Präsent, das dort zum Fest ankommt, findet sich ein neues Selbstwertgefühl, schon die Kleinsten sind superstolz, wenn sie einfach mal etwas Neues zum Anziehen besitzen, ein eigenes Kuscheltier in den Arm nehmen können – und ihren Frieden finden.
So wie Sven, für den nach sechs Monaten im Haus „Kleine Spatzen“ eine „gute Erziehungsstelle gefunden“ wurde, sagt Martina Heuer. Auch wenn an eine Rückkehr zu seinen Eltern nicht zu denken war - gewollt wurde Sven dann doch noch.
Was die Spatzenkinder in diesem Jahr benötigen:
Zum mittlerweile 16. Mal unterstützt die NRZ-Stadtredaktion Essen mit ihrer alljährlichen Weihnachtsaktion das „Spatzennest“ und das Haus „Kleine Spatzen“, die Notaufnahmen des Kinderschutzbundes in Altenessen und Borbeck. Auch in diesem Jahr bitten wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, um Ihre Mithilfe für die Jüngsten in Not. Gemeinsam mit den Mitarbeitern des Kinderschutzbundes haben wir einen Wunschzettel mit den Dingen zusammengestellt, die in diesem Jahr dringend benötigt werden:
• Toniefiguren aller Art: Musik, Geschichten etc. für Kinder zwischen zwei und zwölf Jahren
• Bilderbücher für das Alter zwei bis fünf Jahre
• Kleidung Größe 98-140 (Oberteile, Hosen, Unterwäsche, Schlafanzüge etc.)
• Haba-Spiele für Kinder ab zwei Jahren
• Schleich-Figuren
• Lego (Marvel, Minecraft, Super Mario etc.)
• Duplo•Knete
• Holzeisenbahn
• Pokemon-Kuscheltiere oder -Karten
• Fahrzeuge für draußen
• Nachtlichter
• Playmobil 1-2-3
• Spielautos
• Süßigkeiten (weil die so teuer geworden sind)
Ihre Spende können Sie vom 28. November bis einschließlich 22. Dezember am FUNKE-Empfang im Foyer des Medienhauses, Jakob-Funke-Platz 1, in der Essener Innenstadt abgeben: montags bis freitags von 7 bis 18 Uhr.
Zu Weihnachten wäre es schön, wenn Ihre verpackten Geschenke neuwertig wären. Ein kleines Inhaltsschildchen an den Päckchen ist hilfreich bei der Bescherung an Heiligabend. Wenn Sie lieber Geld spenden möchten - auch das ist möglich bei der Sparkasse Essen, BLZ: 360 501 05, Konto: 290 700, IBAN DE70 3605 0105 0000 2907 00, Empfänger: Kinderschutzbund Essen, Verwendungszweck: Spatzennest/NRZ-Aktion.
Auf Wunsch stellt der Essener Kinderschutzbund eine Spendenquittung aus. Nähere Infos dazu gibt’s bei dem gemeinnützigen Verein selbst unter der Rufnummer 0201/49 550 755.