Essen. Vier zerbeulte Autos, über 100 Rettungskräfte, viel Theaterblut und eine Nebelmaschine haben am Wochenende den Essener Berthold-Beitz-Boulevard in einen gruseligen Unfallort verwandelt. Ein Mal im Jahr proben die Rettungskräfte mit Medizinstudenten den Ernstfall.

Wie sorgt man auch im schlimmsten Fall für die Sicherheit der Bürger? Das lernen angehende Doktoren nicht nur am Schreibtisch. 30 Medizinstudenten trainierten mit mehr als 90 Rettungskräften der Feuerwehr, des Arbeiter Samariter Bundes (ASB), der Johanniter, der Polizei und dem Technischen Hilfswerk (THW) den absoluten Ernstfall und nahmen zum Teil auch die Opferperspektive ein.

Studenten darf „schlecht“ werden

Gruselig geschminkt, die Kleidung befleckt mit Theaterblut, mit Splittern in den Armen und offenen Brüche an den Oberschenkeln warten die Statisten in den vier zerknautschten Autowracks auf dem Berthold-Beitz-Boulevard auf ihren Einsatz. Ein Fahrrad liegt quer auf der Straße. Aus der Ferne ertönen die Martinshörner heranrasender Rettungswagen, die Nebelmaschine sorgt für ordentlich Rauch, es geht los.

Als hätte man einen Bienenschwarm aufgescheucht, verteilen sich die zahllosen Rettungskräfte auf die Unfallopfer. Wo anfangen, was tun? „Hier dürfen unsere Studenten noch schlecht sein und es darf ihnen auch schlecht werden“, unterstreicht Hanjo Groetschel, Arzt für Notfallmedizin und ärztlicher Leiter des „SkillsLab“ der medizinischen Fakultät der Uni-Klinik Essen, den Übungscharakter des Tages. Hinter ihm beugen sich zwei seiner Schützlinge, bestückt mit Notfallkoffern, zusammen mit den erfahrenen Rettern der Dienste über die Verletzten im verbeulten Ford Fiesta. „Bei so vielen Patienten muss man Kräfte auf die verteilen, die es am nötigsten brauchen“, erläutert Groetschel. Und da muss man sich eben zunächst einen Überblick verschaffen.

Mittlerweile zum achten Mal organisiert die Abteilung im Klinikum zum Abschluss ihrer Sommerakademie so ein „Worst Case Scenario“. Überblick und Ruhe bewahren, besinnen auf die erlernten Schritte bei der Rettung, sich nicht verzetteln: Das erlebt man nicht im Seminar.

Die beiden Bewusstlosen im Ford Fiesta sind mittlerweile mit Aluminiumfolie zugedeckt, eine Plastikplatte schützt sie, während die Feuerwehrleute das eingedrückte Dach aufhebeln. Nur zwei Meter entfernt wird ein verletzter Radfahrer auf die Bahre gelegt und ins mittlerweile aufgebaute Sanitätszelt geführt. Schritt für Schritt bringen die Helfer Ordnung ins Chaos.

Studentin Carolin Wild wartet mit ihren beiden offenen Oberschenkelbrüchen im Notarztwagen auf den Abtransport. Sie hat heute eine Erfahrung gemacht: „Man fühlt sich so hilflos. Man denkt, um einen herum wird jedem geholfen, nur einem selbst nicht.“