Essen. Tanja Rother aus Essen arbeitet in der mobilen Krankenpflege und gehört für viele Patienten fast schon zur Familie. Für mehr als das Notwendigste und einen kurzen Plausch reicht die Zeit allerdings meist nicht - die Krankenkasse zahlt häufig nicht mehr als zehn Minuten Behandlungszeit.
Als Schwester Tanja herein kommt, sitzt Frau Buchmeyer (Name geändert) schon im Wohnzimmer. Das Sonnenlicht fällt durch das große Fenster auf die dunklen Holzmöbel. „Da bist du ja endlich“, strahlt Frau Buchmeyer Tanja entgegen. Auch Herr Buchmeyer freut sich, dass Tanja da ist. „Wir sind dicke Freunde“, sagt er und drückt Tanja an sich.
Es ist 9.30 Uhr, Tanja Rother ist etwas später dran als üblich. 15 Patienten stehen auf ihrer Liste. „Da kommt man schnell mal in Verzug.“ Heute hat Tanja Frühschicht, seit 6 Uhr ist sie unterwegs. Den Frühdienst macht sie lieber als die Spätschicht, „dann habe ich noch etwas vom Tag“. Frau Buchmeyer ist heute ihre vorletzte Patientin. Bei ihr muss sie nur einen Druckverband anlegen, gegen das Wasser in den Beinen.
Hohe Verantwortung bei ambulanter Pflege
Tanja Rother ist 34 und Krankenpflegehelferin in der Familien- und Krankenpflege in Heidhausen. Ihr Fachabitur hat sie mit dem Schwerpunkt BWL gemacht, doch nach der Schule war ihr schnell klar, „das ist nichts für mich.“ Mit 18 bekam sie das erste von zwei Kindern, blieb lange Zeit zu Hause. „Dann musste ich mich für etwas entscheiden“, erzählt Tanja. Aber Altenpflegerin? Daran hatte sie im Traum nicht gedacht. „Meine Mutter ist Krankenschwester und hat früher viel aus ihrem Beruf erzählt“, erinnert sie sich. „Ich habe immer gedacht, den Job packst du nicht.“
Trotzdem machte sie ein Praktikum im St. Josef-Krankenhaus in Kupferdreh und entschied sich dann, für die einjährige Ausbildung zur Krankenpflegehelferin. Dass der Job physisch und psychisch anstrengend ist, war Tanja Rother von Anfang an klar. Trotzdem kann sie sich mittlerweile nicht mehr vorstellen, einen anderen Beruf zu machen. „Ich mache diesen Beruf aus Leidenschaft, denn reich wird man damit nicht“, sagt sie und ihre Augen leuchten. Die kurze Zeit in der stationären Pflege im St. Josef war nicht das Richtige. „In der ambulanten Pflege ist man wesentlich eigenständiger, muss aber auch enorm viel Verantwortung tragen“, sagt Tanja Rother.
Viele Wohnungen sind ungepflegt
Dunkle Möbel und schwere Teppiche bestimmen die Wohnung, Familienfotos hängen an den Wänden. Schwester Tanja ist vorwiegend im bürgerlichen Essener Süden unterwegs ist, dennoch sind ihre Arbeitsplätze nicht immer so gepflegt wie bei Buchmeyers. „Viele alte Menschen kriegen ihren Haushalt nicht mehr alleine organisiert.“ Dann stapeln sich verkrustetes Geschirr in der Küche und schmutzige Wäsche im Bad. Wenn es die Zeit zulässt, wäscht Tanja dann auch schon mal ein paar dreckige Sachen aus oder räumt etwas Geschirr zusammen.
Bei den Buchmeyers liegen die frischen Verbände schon bereit. Frau Buchmeyer hat die Hosenbeine hochgekrempelt und die Verbandklemmen bereit gelegt. Vorsichtig cremt Tanja zuerst die Haut ein, dann legt sie mit schnellen Handgriffen den Verband an. „Ach, du machst das immer so gut“, lobt Frau Buchmeyer. „Ich freue mich immer, dass du da bist.“
Die Krankenkasse zahlt zehn Minuten
So geht es ihr oft. Für viele Patienten gehört sie mittlerweile fast zur Familie. Auch bei bei Familie Buchmeyer soll sie noch bleiben und einen Kaffee trinken. Aber dafür ist keine Zeit. „Es fällt mir dann immer schwer, zu gehen“, sagt Tanja. Denn sie weiß, für viele Patienten ist sie der einzige Besuch am Tag. „Die Leute freuen sich immer, wenn ich noch kurz ein Pläuschchen mit ihnen halte und die Zeit nehme ich mir auch.“ Aber den Rest des Tages daran denken, wie die Patienten alleine in der Wohnung sitzen und zum Fenster raus gucken, mag sie nicht. „Das darf man nicht zu nah an sich heran lassen.“ Aber auch das musste Tanja erst lernen.
Die Beine von Frau Buchmeyer sind mittlerweile frisch bandagiert. Keine zehn Minuten hat die Arbeit hier gedauert. Aber mehr Zeit gewährt die Krankenkasse für diese Leistung auch nicht. Morgen wird Tanja wieder hierhin fahren und wieder wird sie das Angebot auf einen längeren Schwatz und einen Kaffee ausschlagen müssen. Denn wie immer wartet dann schon Patient Nummer 15.