Beatrix Zumbrink betreut im KinderPalliativNetzwerk Essen ehrenamtlich Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten und deren Familien. Diese Aufgabe geht sie mit viel Lebensfreude und Optimismus an
Es war ein Artikel in der WAZ, der Beatrix Zumbrink vor elf Jahren nicht mehr aus dem Kopf ging. Darin wurde die Arbeit des KinderPalliativNetzwerks Essen (KPN) vorgestellt, das Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten und deren Familien begleitet.
„Es werden noch ehrenamtliche Helfer für den ambulanten Kinderhospizdienst gesucht“, war da zu lesen. „Ich wusste sofort, dass das mein Ding ist“, erinnert sich die 58-Jährige. Zwei Nächte schlief Beatrix Zumbrink über das Thema, bevor sie ihrer Familie davon erzählte. „Mein Mann war sofort begeistert, mein damals 17-jähriger Sohn machte zur Bedingung, dass mich diese Tätigkeit nicht zu traurig machen dürfe“, sagt sie.
Traurig – so wirkt Beatrix Zumbrink nicht, wenn sie von ihrem Ehrenamt berichtet, das sie neben ihrem Beruf als Notariatsleiterin einmal wöchentlich drei bis vier Stunden ausübt. Elf Jahre ist sie nun dabei, betreut seit mittlerweile sechs Jahren die dritte Familie und hat ihre Entscheidung nicht einen Tag bereut. „Ich bin ein sehr zufriedener und dankbarer Mensch. Das Leben hat es gut mit mir gemeint, aber ich weiß, dass es auch ganz anders laufen kann. Da zu helfen, wo Not ist, ist mir ein großes Anliegen.“
Wie verkraftet sie, dass ihre Ankunft in einer Familie immer auch der Beginn eines Abschieds ist? Beatrix Zumbrink überlegt kurz und sagt dann: „Ich helfe sehr gerne, habe aber kein Helfersyndrom. Ich habe gelernt, mich abzugrenzen.“ Dabei hat nicht zuletzt der siebenmonatige Vorbereitungskurs des KPN geholfen, an dem alle Ehrenamtlichen in spe vor ihrem Einsatz teilnehmen.
Die erste Familie, die Beatrix Zumbrink unterstützte, hatte es besonders hart getroffen. „Gerade war die dritte Tochter unterwegs, als bei ihr und den beiden Geschwistern eine seltene, erblich bedingte Stoffwechselerkrankung diagnostiziert wurde. Sie hat zur Folge, dass sich die Kinder zunächst normal entwickeln, bevor sie die bereits erworbenen Fähigkeiten sukzessive wieder verlieren und schließlich sterben.“ Bei ihrer Ankunft waren die beiden Ältesten, acht und elf Jahre alt, schon bettlägerig, konnten scheinbar nicht mehr sehen, sprechen und hören. Die Drittgeborene saß bereits im Rollstuhl, besuchte aber, wann immer es noch möglich war, die Kita. Die Jüngste, damals zweieinhalb Jahre alt, war gottlob gesund. „Ich war für alle vier da, habe geschaut, was sie brauchen. Die beiden Kleinen habe ich zur Kita gebracht und abgeholt, ich habe mit ihnen gegessen, gespielt und gesungen. Auch mit den beiden bereits schwerst erkrankten Mädchen habe ich zu kommunizieren gelernt, indem ich jedes Mal beim Betreten des Zimmers die gleiche Melodie gesummt und das gleiche Parfum benutzt habe, damit sie mich erkennen. Das war eine Situation, die mir sehr nahe gegangen ist.“
„Das Thema Kinder und Sterben ist immer noch ein Tabu. Wer sich hier einsetzt, verdient den größten Respekt.“Frank Skrube, Marketingleiter Wohnbau eG |
Jeder entwickele andere Strategien, um solche Erlebnisse zu verarbeiten. „Die einen machen Yoga, die anderen joggen. Ich höre, wenn es nötig ist, auf der Rückfahrt sehr laut AC/DC im Auto und mache dann einen langen Waldspaziergang“, erzählt Beatrix Zumbrink. Welche Aufgaben sie übernehme, entscheide die jeweilige Familie. „Das KPN bietet einen bunten Strauß an Hilfsangeboten, aus dem die Betroffenen wählen können. Wir richten uns völlig nach deren Bedürfnissen.“ Auf Wunsch kümmern sich die Ehrenamtlichen um die erkrankten Kinder, deren gesunde Geschwisterkinder oder die Eltern selbst und sind Ansprechpartner in allen Belangen.
„Wenn eine Familie im Begriff ist ein Kind zu verlieren, ist das eine Tragödie, die alles auf den Kopf stellt. Der Schmerz stülpt sich wie eine Bleiglocke über die Betroffenen. Meine Aufgabe ist es, nicht unter diese Glocke zu geraten, um das tun zu können, was getan werden muss“, beschreibt Beatrix Zumbrink.
Wichtig ist für sie der monatliche Erfahrungsaustausch mit den anderen Ehrenamtlichen. Und die Veranstaltungen, die das KPN außerdem mit deren Unterstützung für die Familien anbietet. Dazu gehören Geschwistergruppen, ein Familienfrühstück und gemeinsame Ausflüge. Einmal im Jahr wird für alle verstorbenen Kinder eine Gedenkfeier mit deren Angehörigen veranstaltet. „Bei uns herrscht sehr viel Lebensfreude und Herzlichkeit, es wird auch viel gelacht“, berichtet Beatrix Zumbrink.
Ein Erlebnis hat sie ganz besonders berührt. „Die Familie, die ich jetzt betreue, hatte mich zum zehnten Geburtstag des erkrankten Kindes eingeladen. Da die Gäste mich nicht kannten, wurde die Mutter gefragt, wer ich sei. Sie antwortete spontan: ,Eine gute Freundin.’“
Palliativarbeit ist Herzensarbeit
Die Hilfe des Fördervereins zur Unterstützung der Palliativarbeit an der Ruhrlandklinik beginnt da, wo staatliche Finanzierung endet. Sie ermöglicht Todkranken ein Leben und Sterben in Würde
Menschen, die unheilbar erkrankt sind, bedürfen besonderer Unterstützung – medizinisch ebenso wie psychisch. Seit Oktober 2020 setzt sich der Förderverein zur Unterstützung der Palliativarbeit an der Ruhrlandklinik, Westdeutsches Lungenzentrum, Universitätsmedizin Essen für eben jene Patienten ein, die wissen, dass ihre Tage gezählt sind. Gegründet wurde er von engagierten Menschen in Essen, die fast alle Angehörige durch eine Krebserkrankung verloren haben und dadurch auch mit der Palliativarbeit in Berührung gekommen sind.
In Würde leben und sterben
Sie alle wissen, was es heißt, wenn ein Mensch an einer Erkrankung leidet, die zwangsläufig zum Tod führt. „Unser Engagement beginnt da, wo staatliche Finanzierung endet. Gemeinsam mit dem multiprofessionellen Palliativteam der Ruhrlandklinik haben wir es uns zum Ziel gesetzt, dass die Palliativpatienten und Palliativpatientinnen in der Ruhrlandklinik bis zum letzten Atemzug in Würde leben und sterben können“, so Andreas Michallek, erster Vorsitzender des Fördervereins. Er betont: „Mit unserem Tun und Handeln möchten wir jedem so verbleibenden Tag der Betroffenen mehr Lebensqualität geben.“
Die Mitglieder sind nahe am Patienten und stehen in engem Kontakt mit dessen Angehörigen. So erfahren sie schnell, wo der Schuh drückt, und können auf kurzem Wege helfen und unterstützen. „Diese Nähe und das Dasein für die Erkrankten und deren An- und Zugehörige ist für jeden von uns eine absolute Herzensangelegenheit. Mit Palliativarbeit kann man kein Geld verdienen – im Gegenteil. Mit unseren Spendengeldern versuchen wir, die Schere zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu schließen“, so Michallek. Dazu gehört zum Beispiel die Finanzierung der zusätzlichen Versorgung der Palliativpatienten und Palliativpatientinnen, die über die Leistungen der Krankenkassen hinausgehen.
Darüber hinaus nutzt der Verein Spendengelder für die Erfüllung persönlicher letzter Herzenswünsche der Erkrankten. Auch investiert er in die Aufklärungsarbeit zum Beispiel an Schulen, um bereits junge Menschen für das Thema Palliativarbeit zu sensibilisieren.
Es kann jeden treffen
„Jeder Mensch kann durch eine schwere Erkrankung plötzlich in die Situation geraten, dass er palliativmedizinische und palliativpflegerische Versorgung in Anspruch nehmen muss. Deshalb finden wir es so sehr wichtig, dass dieses Thema in der Öffentlichkeit mehr Gehör findet und noch mehr Menschen unsere Arbeit unterstützen“, so Michallek.