Essen.
Die umstrittene Jury-Entscheidung für das neue Hallenbad auf dem Thurmfeld als Ersatz für das Hauptbad an der Steeler Straße hat auch eine Debatte über die Baukultur in dieser Stadt angestoßen. So rückt ein Aspekt in den Fokus, der in der politischen Diskussion bislang wenn überhaupt nur am Rande eine Rolle gespielt hat: die qualitätsvolle Architektur des Hauptbades.
Auf der Zielgeraden des politischen Entscheidungsprozesses weisen Axel Wiesener, Johannes von Geymüller und Werner Ruhnau vom „Arbeitskreis Essen 2030“ auf diesen Umstand hin. Ob dies die Entscheidungsträger im Rat der Stadt in ihrer Meinungsfindung noch einmal beeinflussen mag, wenn sie in der morgigen Sitzung über den Hauptbad-Ersatz entscheiden, sei dahin gestellt. Eher nicht.
Weiträumige Wirkung
Möglicherweise blieb ihnen aber bislang verborgen, dass ein von der Stadt 1994 in Auftrag gegebenes Gutachten zum Städtebau und zur Architektur der 50er Jahre das Hauptbad in „einem Atemzug“ nennt mit einer Reihe bedeutender Bauten: dem Haus am Kettwiger Tor (1954), dem Herold-Haus (1954/55), dem Amerika-Haus (1952) am Kennedy-Platz, heute vielen besser bekannt als Europa-Haus, oder dem Folkwang-Museum, um an dieser Stelle nur einige zu nennen.
Marodes Essener Hauptbad
Wörtlich heißt es: „Mit dem Stadtbad Bochum und der Wuppertaler Schwimmoper ist das Essener Hauptbad zu den bedeutendsten Beispielen des Bäderbaus der Nachkriegszeit zu zählen.“ Starke Beachtung in Fachkreisen fand der nach dem Entwurf des Architekten P. F. Schneider zwischen 1954 und 1958 errichtete Bau aufgrund seiner „eigenwilligen Architektur“. Für Aufsehen sorgte demnach nicht nur die voll verglaste, geschwungene Südfront des Bades, sondern die Anordnung der verschiedenen Becken. Schneider verzichtete auf sonst übliche gläserne Trennwände, sondern beließ es bei einer einzigen Schwimmhalle mit einer entsprechenden weiträumigen Wirkung. Das unterschiedliche Höhenniveau und die farbliche Gestaltung trennten die einzelnen Bereiche gleichwohl auch optisch voneinander ab.
Sieger eines Ideenwettbewerbs
Nach dem Vorbild des Essener Hauptbades entwarf P. F. Schneider nur wenige Jahre später das Badezentrum Krefeld, welches die Seidenstickerstadt 1967 im Stadtteil Bockum errichtete - dort allerdings auf der „grünen Wiese“ als so genanntes Kombibad mit einem 14 Hektar großen Außenbereich.
Schneider hatte sich in einem Ideenwettbewerb gegen vier Konkurrenten durchgesetzt, auch in Krefeld wusste sein Entwurf unter anderem durch den „großartigen Raumeindruck“ zu überzeugen.
Bad steht unter Denkmalschutz
Auch die Stadt Krefeld stand Jahrzehnte nach der Fertigstellung des Badezentrums schließlich vor der Frage: Sanieren oder abreißen und neu bauen. Anders als in Essen, wo die Bäderverwaltung auf einen erheblichen Sanierungsstau und immense Kosten verweist, entschieden sich die Stadtväter in Krefeld gegen den Abriss und für eine umfassende Modernisierung. Zwischen 1998 und 2003 wurden alle Becken im Innenbereich, Decken, Fensterfront und die technische Ausstattung für insgesamt 7,2 Millionen Euro saniert oder erneuert, ohne den baulichen Charakter des Bades zu verändern. Im Gegenteil: Im Jahr 2000 stellte Krefeld das Bad unter Denkmalschutz.
Die Entscheidung gegen einen Neubau und für eine Sanierung fiel übrigens durch einen Bürgerentscheid. Was das Hauptbad angeht, dürfte es für einen solchen zu spät sein.