Essen. Ein Tipp für Essener Naturfreunde und alle, die die Ruhe lieben: Wer früh losgeht, kann auf dem Rad- und Wanderweg zwischen Werden und Kettwig das hier urwüchsige Flussufer fast ohne Ausflugsdruck erleben. Wer einkehren möchte: Das Lokal „Zwölf Apostel“ hat einen idyllischen Biergarten.
Feiner Nebel liegt an diesem Frühlingsmorgen über der Ruhr. Nur langsam erwacht die Natur, beginnen die Vögel ihr Konzert. Ein einsamer Kanute taucht rhythmisch sein Paddel in das dunkle Wasser des gemächlich dahinfließenden Flusses und überholt die wenigen Spaziergänger auf dem Leinpfad. Der führt von Werden nach Kettwig und gehört an sonnigen Tagen zu den meistbesuchten Wander- und Radwegen der Stadt.
Ausgangspunkt ist die S-Bahnstation in Werden. Schön ist es hier zunächst nicht: Wie ein Betonmonster auf Stelzen schraubt sich die Ruhrtalstraße Richtung Kettwig. Rasch aber ist das Gasthaus „Löwntal“ erreicht, dort ist der Zugang zur Ruhr und der Beginn des Weges. Eine große öffentliche Grünfläche, das frühere Strandbad Werden, dient jetzt Grill- und Picknick-Freunden. Man muss im Sommer früh am Ball sein – die Sonnenwiese ist besonders an den Wochenenden sehr begehrt. Heute liegt sie, bis auf ein paar balgende Hunde, verlassen da.
Hinter der Wiese verbirgt sich das erste Relikt aus einer Zeit, als die Ruhr zu den meistbefahrenen Flüssen Europas gehörte. 30 Jahre lang war die 1777 erbaute Papiermühlenschleuse im wortwörtlichen Sinn vom Erdboden verschluckt. Dann wurde sie ausgegraben und erst 1987 restauriert und unter Denkmalschutz gestellt. Ein paar rostige Last- und Arbeitskähne, die Möwe oder Ralle heißen, sind in der Schleusenzufahrt vertäut. Die führt ins Nichts – hinter der Schleuse geht es heute nicht mehr weiter, jedenfalls nicht mit der Ruhr. Denn mit dem Bau des Baldeneysees 1931 bis 1933 wurde auch der Flusslauf in Werden verändert. Bis dato passierten vor allem mit Kohle beladene Lastkähne die Papiermühlenschleuse.
Noch eine Kurve, dann fällt der Blick auf die Kettwiger Eisenbahnbrücke
Langsam nimmt die feste Bebauung links und rechts der Ruhr ab. Dafür tauchen immer mehr Zeltplätze auf, auf denen Dauercamper ihre mit Fußballwimpeln geschmückten Wohnwagen abgestellt haben. Nach ein paar Biegungen dann die erste Einkehrmöglichkeit: Das Landhaus am Staadt nennt sich seit knapp fünf Wochen Zwölf Apostel. In längst vergangenen Tagen diente das alte Gemäuer als Zwischenstopp für die Männer, die einst die Schiffe ruhraufwärts über den Treidelpfad zogen. Potenziell ist das ein idyllischer Ort, besonders der Biergarten mit altem Obstbaumbestand, der sanft zum Ufer abfällt. Viel netter kann man in Essen nicht draußen sitzen und sich bewirten lassen.
Jetzt folgt der schönste und ländlichste Teil des Leinpfades, dicht an der Ruhr verläuft der von knorrigen Weiden gesäumte Weg. Rechts breiten sich weite wilde Wiesenflächen aus, während sich auf der gegenüberliegenden Flussseite ein dicht bewachsener Höhenzug bis nach Kettwig zieht. Ewig könnte man so weiterlaufen, vorbei am alten Kattenturm, dem Überrest einer Ritterburg, vorbei an Sandbänken, auf denen Angler meditierend ihre Ruten ins Wasser halten.
Doch plötzlich wird die Ruhr breiter, kündigt sich der kleinste Stausee des Flusses an. Noch eine Kurve, dann fällt der Blick auf die Kettwiger Eisenbahnbrücke und das Wehr, wird aus dem Leinpfad die Seepromenade. Mit der ländlichen Idylle ist es schlagartig vorbei, denn hier wird ehrgeizig gebaut: Wo die Scheidt’schen Hallen standen, entsteht ein neues, exklusives Wohnquartier direkt am Wasser.
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