Essen.. Immer mehr Bürger gehen nicht ohne Gaspistole auf die Straße. Zahl der Anträge bei der Polizei explodiert. Behörde warnt vor trügerischer Sicherheit.
Gegen die Angst vor Terror und Kriminalität helfen die besten Beschwichtigungen und Statistiken derzeit kaum weiter. Die Bürger beschleicht viel eher das ungute Gefühl, sich selbst schützen zu müssen, und sei es mit einer Waffe: Immer mehr Essener wollen offenbar nicht mehr ohne Gas- und Schreckschusspistole auf die Straße gehen.
1500 Anträge auf kleinen Waffenschein in den ersten Monaten dieses Jahres
Eindeutiges Indiz dafür: Die Zahl der Anträge auf den „kleinen Waffenschein“, der es jedem über 18-Jährigen mit weißer Weste und ohne Mitgliedschaft in einer radikalen Organisation erlaubt, eine so genannte Anscheinwaffe öffentlich zu tragen, ist regelrecht explodiert.
Allein in den ersten sieben Monaten dieses Jahres registrierte die Essener Polizei 1500 entsprechende Eingänge. Setzt sich dieser Trend fort – und noch zeichnet sich keine Wende ab – dürften bis zum Ende des Jahres womöglich bis zu 3000 der Bescheinigungen im Präsidium verlangt worden sein.
Im Vergleich zum Vorjahr wäre das eine Steigerung um immerhin das Zehnfache. Gerade einmal 298 „kleine Waffenscheine“ hat die Polizei als Genehmigungsbehörde im gesamten vergangenen Jahr ausgegeben – bevor die Ereignisse der Kölner Silvesternacht eine ganze Nation nachhaltig verstörten.
3500 behördliche Erlaubnisse im Umlauf
Insgesamt sind in Essen inzwischen 3500 der behördlichen Erlaubnisse im Umlauf, sagt Peter Elke, Sprecher der Essener Polizei, die nach Prüfung der Zuverlässigkeit und Eignung der Antragsteller die Bescheinigung gegen eine Gebühr von 55 Euro ausstellt.
Und die Entwicklung in dieser völlig neuen Dimension dennoch mit gemischten Gefühlen betrachtet: Denn sie „ist vielleicht der Spiegel eines zurückgehenden Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung“, sagt Elke, den dieser Befund als Polizist besonders nachdenklich stimmen dürfte, selbst wenn er mit der tatsächlichen Gefahr, zum Opfer zu werden, kaum in Übereinstimmung zu bringen ist.
Risiko, dass die Waffe in die Hände des Angreifers fällt
Das vermeintliche Mehr an erkaufter Sicherheit sei ein trügerisches, warnt Elke. Wer den Umgang mit Waffen weder erlernt noch trainiert, gehe das Risiko ein, dass sich die Pistole schnell gegen ihn selbst richte, wenn sie einem Angreifer in die Hände falle. Auch Schreckschusswaffen können Trommelfelle platzen lassen und andere schwere Verletzungen verursachen.
Solche Appelle aber verfangen seltener, was auch Christoph Küttner, Inhaber des Traditionshauses „Waffen Isenberg“ an der Steeler Straße registriert: „Die Waffen werden von besorgten Bürgern gekauft, bei denen man sich kaum vorstellen kann, dass sie sie richtig einsetzen“, sagt Küttner, der von einer Nachfrage auf „deutlich höherem Niveau“ spricht als noch im vergangenen Jahr spricht. Besonders gefragt seien die nahezu originalgetreuen Nachbauten der Walther P99, einer Polizeipistole für 170 Euro, und der Walther P22 für 130 Euro.
Auch Thomas Lindemann hält wenig von den Waffen. „Das ist der vermeintlich bequeme Weg der Selbstverteidigung, der sich schnell als Falle herausstellen kann“, sagt der Inhaber der Essener Kampfsportschule „Tactical Defence“. Besser schütze man sich gegen einen Angriff durch körperliche Fitness und selbstsichere Ausstrahlung – durch „Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten“. Lindemann gibt Selbstverteidigungskurse, die nach Köln einen Boom erlebt haben. Nun sei das Interesse wieder auf leicht erhöhtes Normalmaß gesunken. „Viele haben die Leute gemerkt, dass Selbstverteidigung anstrengend ist und Training braucht“, sagt Lindemann. „Wer aber eine Gaspistole nutzt, gibt die Verantwortung für seine Sicherheit an eine Waffe ab, die er nicht beherrscht.“
Übrigens: Auch der „kleine Waffenschein“ ist keine Erlaubnis zum Schießen – selbst an Silvester nicht.