Essen. Mit zwei Jahren erlebte Sebastian Küchler-Blessing erstmals eine Orgel hautnah in der Kirche. Mit fünf Jahren saß er am Klavier, mit elf an der Orgel: Heute ist er mit 27 Jahren der jüngste Domorganist in Deutschland. An der Rieger-Orgel im Dom will er nicht nur Bach und Reger, sondern auch Musik für Stummfilme erklingen lassen.
Familiär vorbelastet war er nicht über Gebühr. Gewiss, zu Hause stand ein Klavier und der Großvater sang im Kirchenchor. Aber eben das bereitete ihm ein einschneidendes Erlebnis. Denn als der Zweijährige einmal im Gottesdienst auf der Empore neben dem Orgeltisch sitzen durfte, machte das Instrument auf ihn einen so gewaltigen Eindruck, dass der Berufswunsch für den Knirps feststand: Organist wollte er werden. Und er hat sein Ziel erreicht. Sebastian Küchler-Blessing ist heute mit 27 Jahren der jüngste Domorganist in Deutschland.
Der Weg dahin vollzog sich zielstrebig. Im schwäbischen Rottweil aufgewachsen, begann er mit fünf Jahren am Klavier, mit elf an der Orgel. Parallel zum Gymnasium war er Jungstudent, nach dem Abi dann sechs Jahre lang Vollstudium, begleitet von zahlreichen Förderungen, etwa durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes, und Auszeichnungen wie beim Mendelssohn-Wettbewerb, wo er übrigens Raimund Wippermann, den Leiter des Mädchenchores am Essener Dom, kennenlernte.
Anfrage per Telefon
Genauso schnell ging es mit seiner Berufung. Am 6. Januar dieses Jahres kam die telefonische Anfrage, knapp einen Monat später, noch lange vor seinem Essener Antrittskonzert, spielte er bereits seinen ersten Gottesdienst an der Orgel in der Hohen Domkirche. Den Gemeindegesang zu begleiten und die Menschen zum begeisterten Mitsingen zu inspirieren, ist für ihn keine künstlerisch untergeordnete Aufgabe: „Das ist spannender als Dirigieren“, verrät Küchler-Blessing.
Prägender jedoch dürfte seine solistische Profilierung als Domorganist werden. Neben dem Werk J.S. Bachs sieht Sebastian Küchler-Blessing seine besonderen musikalischen Interessen bei Max Reger und der deutschen Romantik, mehr und mehr aber auch bei den Franzosen des 19. Jahrhunderts, wobei ihm die wunderbare Rieger-Orgel alle klangfarblichen Möglichkeiten eröffnet. Vorsichtig will er zudem das Publikum an die Neue Musik heranführen: So wird er seinen Abend im Rahmen des 11. Internationalen Orgelzyklus am Essener Dom (24. September) beginnen mit einer tönenden Hommage an den großen, im Juni dieses Jahres verstorbenen, Orgelmeister Gerd Zacher.
Damit präsentiert Küchler-Blessing dann einen weiteren Schwer-punkt seiner Arbeit: die Improvisation. Auch hier kann er auf etliche Preise verweisen und mittlerweile selbst auf Themenvorschläge aus dem Publikum aus dem Stegreif musizieren. Als Planer der Domkonzerte schließlich liegt ihm eine neue Reihe am Herzen, die im Herbst startet. „Dimension Domorgel“ soll in vielfältiger Weise das Raumerlebnis des Orgelklangs spürbar machen: mit Musik für Orgel allein, für vier Orgeln, für Orgel und Soloinstrument und, man höre und staune, für Musik und Stummfilm. Und wie fühlt sich Küchler-Blessing am Spieltisch seiner „Königin der Instrumente“? Die Antwort kommt spontan: „Wie der Prinzregent.“
Dem Organisten auf die Finger gucken
Zum 11. Internationalen Orgelzyklus in der Domkirche gab es eine Premiere. Wolfgang Capek aus Wien war in seinem abwechslungsreichen Eröffnungskonzert nicht nur zu hören. Erstmals konnten die Gäste dem Musiker beim Spiel auch quasi über die Schulter blicken: Per Videoübertragung ließen sich auf einer im Altarraum platzierten Leinwand die über die Manuale der Orgel huschenden Hände des renommierten Solisten beobachten. Eine begrüßenswerte Neuerung.
Im Übrigen demonstrierte Capek höchst eindrucksvoll die ungemein weite Farbenpalette (mit erlesenen Holzbläservaleurs) und Einsatzmöglichkeiten der Rieger-Orgel. Bach zu Beginn in prächtiger Prinzipal-Registrierung war Ehrensache.
Das größte Aufsehen indes erregte Capek mit seiner Spezialität, bekannte weltliche Sinfoniesätze für Orgel zu transkribieren. So kam man beim Schlusssatz der Jupiter-Sinfonie wegen des ungewohnten Klangbildes ins Schmunzeln, aber auch ins Staunen über seine virtuos dargebotene Bearbeitung. Höhepunkt: der molto vivace hingelegte und im Streicher- und Bläsersatz sauber auf die Manuale verteilte 3. Satz von Tschaikowskys „Pathétique“ – wann hört man die jemals in der Kirche? Verwegene Tat!