Essen/Hattingen. Schocknachricht im Urlaub: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Renate Kunze spricht über die überstürzte Rückreise und die erfolgreiche Behandlung in Essen
Es war vermutlich der kürzeste Urlaub, den das Ehepaar Kunze je gemacht hat – und „es war der reine Horror“, sagt Ulrich Kunze. Schon vor dem Abflug nach Teneriffa hatte seine Frau auffällig gebräunt ausgesehen, auf der spanischen Insel stellte sich heraus, dass sie eine Gelbsucht hatte. Und die wies auf Bauchspeicheldrüsenkrebs hin. Kaum angekommen, flogen die Kunzes zurück, die schlimme Diagnose im Gepäck. Drei Jahre später sagt die heute 68-jährige Renate Kunze: „Ich lebe jetzt jeden Tag.“
Damals im März 2018 war ihr zunächst gar nicht so klar, wie lebensgefährlich Bauchspeicheldrüsenkrebs ist. Ihr Mann dagegen hatte gegoogelt und eine Panik, die sich erst ein Jahr später legen sollte: „Bis dahin hatte ich meine Frau im Geiste schon fünfmal beerdigt.“
Die Gelbsucht erwies sich als Glücksfall
Tatsächlich sollte sich die Gelbsucht als Glücksfall herausstellen, weil sie auf den Krebs hindeutete, der im Anfangsstadium kaum Beschwerden bereitet und später oft mit uneindeutigen Symptomen einhergeht. „Viele Patienten haben erst nur Rückenschmerzen und werden daher fehlbehandelt“, sagt Prof. Dr. Marco Niedergethmann, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Essener Krupp-Krankenhaus. Er sollte Renate Kunze im Mai 2018 operieren, nachdem in einem Krankenhaus in ihrer Heimatstadt Hattingen die Gelbsucht behandelt worden war.
Zur Bauchspeicheldrüsen-OP kam Renate Kunze nach Essen, weil das Viszeralonkologische Zentrum, das Niedergethmann leitet, den Eingriff rund 80 mal im Jahr durchführt. Zudem arbeiten hier gut 100 Spezialisten des Krupp-Krankenhauses zusammen: Chirurgen, Onkologen, Gastroenterologen, Radiologen, Pathologen, Strahlentherapeuten und Psychoonkologen. Jetzt ist das Zentrum wieder von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert worden. „Es kommt dabei nicht nur auf den einzelnen Operateur oder die Fallzahlen an, sondern auf die gesamte Infrastruktur und Versorgung in dem Zentrum“, sagt Niedergethmann.
Operation bietet die einzige Heilungsmöglichkeit
Die Operation könne theoretisch auch an weniger spezialisierten Häusern gemacht werden, aber gerade wenn es zu Komplikationen komme, sei das große Spezialisten-Team segensreich: „Die Prognose ist für Tumorpatienten in einem zertifizierten Zentrum besser.“ Während im Bundesschnitt neun Prozent der Patienten in den ersten vier Wochen nach einer Bauchspeicheldrüsenkopf-OP versterben, müssen es in zertifizierten Zentren unter fünf Prozent sein.
Viele Zufallsbefunde: Pankreaskrebs wird oft spät entdeckt
In Deutschland erkranken jährlich mehr als 75.000 Menschen an Bauchspeicheldrüsenkrebs und Darmkrebs. Da die Therapie dieser Tumoren keine alltägliche Aufgabe ist, zertifiziert die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) Zentren mit hohen Fallzahlen, viel Erfahrung und multi-disziplinären Teams. Am Alfried-Krupp-Krankenhaus wurde jetzt das Viszeralonkologische Zentrum zum fünften Mal in Folge erfolgreich re-zertifiziert.Die DKG hebt dabei die im Krupp-Krankenhaus „erkennbar gelebte Interdisziplinarität mit hohem Engagement aller Beteiligten“ hervor. Die Disziplinen wie Chirurgie, Gastroenterologie, Onkologie, Radiologie und Strahlentherapie legten für jeden Patienten individuelle Therapie-Pfade fest. Im frühen Stadium geht Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskrebs) kaum mit Symptomen einher. Später können Übelkeit, Verdauungsprobleme, Gewichtsverlust, Bauch- oder Rückenschmerzen auftreten. Eine gezielte Vorsorgeuntersuchung gibt es nicht, die Diagnose ist oft ein Zufallsbefund beim Bauchultraschall.
Allerdings sei eine OP überhaupt nur in der Hälfte der jährlich bundesweit rund 18.000 Fälle von Bauchspeicheldrüsenkrebs möglich, sagt Niedergethmann. Gibt es schon Metastasen, kann meist nicht operiert werden. Und: „Es gibt aktuell keine andere Heilung als die OP und die Entfernung des Tumors.“ Vier bis sechs Stunden dauert der Eingriff in der Regel, zehn bis 14 Tage der anschließende Klinikaufenthalt. Renate Kunze musste vier Wochen bleiben. Komplikationen. Für sie sollte sich das multi-disziplinäre Team bewähren.
Von Juli 2018 bis Januar 2019 folgte eine Chemotherapie, die bange Zeit für sie und ihre Familie dauerte an. „Hart war am Anfang der Chemo, dass mich unspezifische Ängste quälten.“ Das Krankenhaus organisierte psychologische Hilfe. Später habe es sie oft beruhigt, einfach anrufen zu können, auch wenn kein Vorsorgetermin anstand. Und Ulrich Kunze bekochte seine Frau: „Sie hatte 20 Kilo verloren.“
„Wir müssen immer Hoffnung für den Patienten in uns tragen“
Früher habe sie sich nie vergegenwärtigt, dass das Leben endlich ist. „Jetzt fragte ich mich: Siehst Du Deine Enkelkinder aufwachsen?“, erzählt die Mutter von drei Kindern, Großmutter von drei Enkeln. Man zittere von einem Termin zum anderen, gewinne langsam Ruhe zurück: Mit jedem Jahr nimmt das Rückfallrisiko ab. Renate Kunze, die am Germanistischen Institut der Ruhr-Uni Bochum arbeitete, fand auch im Beruf Halt: Erst im Februar ging sie in Rente – und hat sich schon wieder einen kleinen Job organisiert.
Vor einigen Wochen hatte sie eine Blinddarmentzündung, und wieder operierte Marco Niedergethmann; eine Kleinigkeit im Vergleich mit der Krebserkrankung. Renate Kunze weiß, wie viel Glück sie angesichts der schweren Diagnose gehabt hat. „Man lernt, das Leben zu feiern“, sagt sie. Und ihr Mann peilt als nächstes Ziel nun die Goldhochzeit im Jahr 2025 an. Oft müsse man bei Bauchspeicheldrüsenkrebs schlimmere Nachrichten überbringen, so Niedergethmann. Jeder Fall ein Einzelschicksal: „Wir müssen immer Hoffnung für den Patienten in uns tragen.“