Essen. Großmeister Sebastian Siebrecht lehrt Dritt- und Viertklässler der Grundschule im Bergmannsfeld das Königliche Spiel. Das steigert das problemlösende Denken, schult die Konzentrationsfähigkeit und hebt das Selbstbewusstsein. Letzteres ist angesichts des schwierigen sozialen Umfeldes der Schule besonders wichtig.
Dienstags in der dritten und vierten Stunde pauken die Schüler der Grundschule im Bergmannsfeld eigentlich Deutsch und Mathematik. Doch für eine ausgewählte Gruppe von Dritt- und Viertklässlern steht in diesem Halbjahr ein völlig ungewöhnliches Fach auf dem Stundenplan: Schach – das Spiel der Könige.
Ihr Lehrer ist kein Geringerer als Essens erster Großmeister Sebastian Siebrecht (41), der dem Bundesligateam der Schachfreunde Katernberg angehört und sich als „Schach-Botschafter“ leidenschaftlich für die Förderung des Denksports einsetzt.
Schüler sind "stolz und aufgewertet"
Schach als Schulfach – mit Klassenheften und Hausaufgaben, Klausuren und Noten – geht das überhaupt? „Selbstverständlich“, erwidert Siebrecht. In Armenien etwa stehe das Spiel der Könige längst auf dem Stundenplan und an immer mehr Schulen hierzulande auch. „Schach erleichtert das vorausschauende und problemlösende Denken und schult die Konzentrationsfähigkeit“, fügt der Großmeister hinzu. Bemerkenswert: Selbst lernschwache Schülern werden durch das spielerische Training mit König, Dame und Bauer selbstbewusst.
Schulleiterin Barbara Sockoll geht ein Herz auf, wenn sie die zwei Dutzend Schüler und Schülerinnen dabei beobachtet, wie sie Türme und Läufer, Springer und Damen über die 64 schwarzen und weißen Felder jagen. „Sie sind neuerdings sehr motiviert, so sehr, dass sie selbst Wandertage und Marktbesuche dafür ausfallen lassen.“ Erst vor acht Wochen hat Sebastian Siebrecht angefangen, den Bergmannsfelder Grundschülern die Gangart der Figuren beizubringen. Über die Teilnehmer seiner Schachklasse sagt die Rektorin: „Sie sind total stolz und fühlen sich aufgewertet.“
Feines pädagogisches Gespür
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Ein Blick in die Top 100 des Weltschachs zeigt: Schach ist immer noch eine Männerdisziplin. Doch in der Freisenbrucher Grundschule, die durch ein schwieriges soziales Umfeld geprägt ist, verhält es sich genau umgekehrt. Hier haben die Mädchen die Oberhand. Die Viertklässler heißen Karina, Anita, Victoria, Melissa, Jennifer, Niko, Marcel und Simon. Hinzu kommen Mahtab, eine Afghanin, und Dima, die kleine Irakerin.
Sebastian Siebrecht, verheiratet mit einer französischen Schachmeisterin und Vater von sechs Kindern, besitzt viel Einfühlungsvermögen sowie ein feines pädagogisches Gespür. Vor allem verbreitet der sympathische 2,02-Meter-Mann gute Laune. „Ihr werdet bald sogar gegen die Großen gewinnen“, verspricht er. Da meldet sich die Viertklässlerin Sandy und sagt freudestrahlend: „Ich habe meinen Papa schon vier Mal schachmatt gesetzt.“