Essen. Menschen ohne Wohnung oder Obdach haben im ersten Lockdown gelitten. Es gibt mehr psychische Erkrankungen - aber auch eine gute Nachricht.
Wer in Essen kein Dach über dem Kopf hat, ist meist männlich, älter als 30 Jahre, überwiegend deutsch, ohne Berufsausbildung, zunehmend psychisch krank und vielfach von Drogen oder Alkohol abhängig. Dies geht aus dem aktuellen Bericht der Zentralen Beratungsstelle für Wohnungslose an der Lindenallee für das vergangene Jahr hervor, das auf aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie eine besondere Herausforderung voller leidvoller Erfahrungen für Hilfsbedürftige aber auch Helfer war - und zum Teil immer noch ist.
Doch gerade wegen Corona gibt es auch eine verhalten gute Nachricht: Die Zahl der Beratungen von Menschen ohne Wohnung oder mit drohendem Wohnungsverlust ist in 2020 um 14 Prozent auf 1472 gesunken. Den Grund sehen Experten wie Petra Fuhrmann, Leiterin der Beratungsstelle, nicht nur in einer weniger mobilen Klientel unter dem Lockdown. Auch die für ein halbes Jahr ausgesetzte Zwangsräumung von Mietwohnungen bei Zahlungsunfähigkeit und der vereinfachte Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen trugen ihren Teil dazu bei.
Die erste Infektionswelle traf Wohnungslose besonders hart
Die erste Infektionswelle im Frühjahr des vergangenen Jahres habe wohnungslose Menschen besonders hart getroffen, weiß Fuhrmann. „Sämtliche Versorgungsstrukturen brachen von heute auf morgen weg. Möglichkeiten zum Tagesaufenthalt und Suppenküchen mussten schließen, weil sie den Infektionsschutzrichtlinien nicht genügten. Günstige Lebensmittel zur Selbstversorgung waren in den Supermärkten durch irrationale Hamsterkäufer nicht mehr verfügbar“, heißt es in dem Bericht.
Es gab kaum noch Schutz vor Kälte und schlechter Witterung, weil Einkaufszentren oder Stadtbibliotheken geschlossen blieben. Besonders die Klientel mit massiven psychischen Störungen habe gelitten. Ihre Welt war mit einem Schlag eine andere, gewohnte Strukturen fielen weg und in den menschenleeren Innenstädten übernahm die Einsamkeit die Regie. „Gefühlt hat die Anzahl der psychisch erkrankten Menschen in der Wohnungslosigkeit zugenommen“, ist Fuhrmann überzeugt, auch wenn sich in der Statistik dafür kein Beleg finde.
Versorgung wurde trotz aller Widrigkeiten sichergestellt
Trotz aller Widrigkeiten konnten die Beratungsstelle für Wohnungslose und die städtische Notübernachtung durchgehend eine Versorgung für insgesamt 1472 wohnungslose Männer und Frauen sicherstellen, heißt es. So wurde in Zusammenarbeit mit dem Restaurant „Church“ in der Essener Innenstadt eine tägliche Ausgabe von Lunchpaketen durchs Fenster der Beratungsstelle organisiert, um die verschärften Hygienestandards einhalten zu können.
In Kooperation mit der Essener Kleiderkammer konnten zusätzliche Decken, Isomatten, Schlafsäcke sowie warme Bekleidung auch an den Wochenenden zur Verfügung gestellt werden. Ebenso fertigte die Kleiderkammer Alltagsmasken für wohnungslose Männer und Frauen an. Nach wenigen Wochen öffneten auch wieder die gewohnten Versorgungsangebote sukzessive mit Essensausgaben „to go“.
Tagesaufenthalt pünktlich zum Wintereinbruch eröffnet
Pünktlich zum Wintereinbruch konnte im November des Jahres eine vorübergehende Aufenthaltsmöglichkeit in der Maxstraße 54 eröffnet werden. Täglich von 8 bis 17 Uhr haben wohnungslose Menschen dort die Möglichkeit, sich im Warmen und coronaschutzkonform aufzuhalten. Aufgrund des aktuellen Kälteeinbruchs wurde die Öffnungszeit um eine Stunde verlängert.
Corona hin, Corona her - grundsätzlich ist den Unterstützern von der Lindenallee eines besonders wichtig: Drohende Wohnungslosigkeit abzuwenden und erst gar nicht erst zuzulassen. Denn wer einmal seiner eigenen vier Wände verlustig gegangen ist, dem droht mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit der Wiederholungsfall. 63 Prozent der Menschen sind seit längerem in der Beratungsstelle gemeldet. Im vergangenen Jahr neu aufgenommen wurden 532 Betroffene.
Seit nunmehr einem Jahr Corona-Alarm ist Petra Fuhrmann bislang kein Fall einer nachgewiesenen Covid-19-Infektion unter Essener Obdach- oder Wohnungslosen bekannt geworden. Andere Städte hätten vergleichbare Erfahrungen gemacht. „Die Menschen sind viel draußen und halten sich meist in ihrer eigenen Community auf“, könnte eine Erklärung dafür sein. Stadt und Diakoniewerk Essen seien aber darauf vorbereitet, Infizierte in Quarantäne nehmen zu können.