Essen-Byfang. Öffentliche Stromleitung auf privatem Grund: Seit die in Essen frei liegt, will der Eigentümer sie verlegen lassen. Westnetz stellt Bedingungen.
Ein Trauerspiel nennt Wilfried Großheimann seine Situation, dabei bedeutet diese Lebensgefahr – und die besteht in seinem Vorgarten: Durch diesen verläuft eine Niederspannungs-Durchleitung. Das Erdkabel hat er bei der Neugestaltung der Fläche vor seinem Haus in Byfang freigelegt. Mit Westnetz kommuniziert er inzwischen nur noch per Anwalt und fühlt sich von dem Unternehmen hingehalten. Begonnen hat es mit einer Laterne.
Zunächst war da das Grundstück im ländlichen Byfang, das war 1971, als Wilfried Großheimann das Grundstück am Fahrenberg gekauft hat. Damals gab es nebenan lediglich Landwirtschaft und Wiesen. „1976 habe ich unser Haus gebaut“, erzählt der 77-Jährige. Im Jahr zuvor müsse die Leitung gelegt worden sein. „Plötzlich stand dann eine Laterne in meinem Vorgarten“, sagt er und zeigt alte Bilder.
Erst landete eine öffentliche Laterne auf seinem Grundstück
Er habe sich seinerzeit gleich an RWE gewandt. „Was macht ihr denn hier“, habe er wissen wollen und nie eine rechte Antwort erhalten. Dabei wunderte es ihn durchaus, dass eine öffentliche Laterne so einfach auf privatem Boden landen könne. Sogar Straßenschilder seien daran befestigt worden. Im Laufe der Jahre hat der Byfanger dann immer wieder Anläufe genommen, die Laterne versetzen zu lassen. Zuletzt auch deshalb, weil die Arbeiten für die Umgestaltung des Bereiches vor dem Haus anstanden.
Nach Jahrzehnten dann ist die Straßenbeleuchtung schließlich etwa 30 Meter weiter außerhalb von Privatgelände aufgestellt worden. Als die Verantwortlichen dafür anrückten, ahnte Wilfried Großheimann allerdings mitnichten, welche Gefahr in seinem Garten lauert. Was beim Entfernen der Laterne auf seinem Grundstück geschah, nennt er eine Explosion: „Es gab eine Verpuffung und eine riesige Flamme“, beschreibt er und nennt es ein Wunder, dass dabei niemand verletzt worden ist.
Pläne für den Vorgarten und die Garagenzufahrt in Essen-Byfang liegen brach
„Kaum einen halben Meter unter der Erde verläuft die Niederspannungs-Durchleitung durch unseren Vorgarten“, spricht er aus, was ihn verunsichert. Das Erdkabel hätten die Arbeiter wohl getroffen. „Ein Wahnsinn.“ Denn nicht nur sie hätten unter Lebensgefahr die Laterne versetzt, auch er selbst ist kürzlich auf die Leitung gestoßen, als er Pflanzlöcher in die Erde grub. Seitdem liegen nicht nur die Pläne für den Vorgarten und die Garagenzufahrt brach, er bemüht sich zudem, das Unternehmen Westnetz dazu zu bewegen, die Leitung zu verlegen – aus Sorge um die Sicherheit.
„Erst informieren – dann buddeln“
Die Westnetz GmbH mit Sitz in Dortmund ist der Verteilnetzbetreiber für Strom und Gas im Westen Deutschlands. Die 100-prozentige Tochter der Westenergie AG betreibt mit 5800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Netze unterschiedlicher Eigentümer. Innerhalb der Westenergie AG verantwortet Westnetz nach eigenen Angaben im Bereich Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von 175.000 km Stromnetz und 24.000 Km Gasnetz.Unter der Überschrift „Erst informieren – dann buddeln“ wies die Westnetz GmbH erst kürzlich erneut auf ihre Broschüre hin, um für Sicherheit vor Beginn von Erdarbeiten zu sorgen. Denn rund ein Drittel aller Stromausfälle im Netzgebiet des Verteilnetzbetreibers Westnetz seien auf Dritte zurückzuführen – etwa, wenn Bagger Stromkabel treffen. Dabei sei über eine Adresssuche erkennbar, ob Anlagen oder Leitungen von den geplanten Baumaßnahmen betroffen seien. Kabel verliefen beispielsweise entlang von Straßen, durch Vorgärten oder querten Grundstücke. Wer also im Erdreich grabe, sollte sich rechtzeitig über vorhandene Versorgungsleitungen informieren: Dafür müssen sich Bauausführende registrieren, um notwendige Planauskünfte herunterzuladen: https://bauauskunft.westnetz.de/.
Mehrere Sachbearbeiter seien inzwischen vor Ort gewesen, hätten ihm mal mehr, mal weniger Hoffnung gemacht. „Jetzt soll ich Belege wie Kostenvoranschläge oder Bestätigungen von beauftragten Baufirmen vorlegen, um nachzuweisen, dass ich mein Grundstück tatsächlich umgestalten möchte“, schüttelt Wilfried Großheimann fassungslos den Kopf.
Inzwischen befassen sich Rechtsanwälte mit dem Thema in Essen-Byfang
Inzwischen sieht er sich mit Gerichtsurteilen und der Niederspannungsanschluss-Verordnung konfrontiert, mit denen Westnetz ihm gegenüber argumentiere. Letztere sehe etwa vor, dass der Grundstückseigentümer diese Nachweise erbringen müsse, damit eine Leitung verlegt werde, so habe er es erfahren. Eigentümer müssten nachweisen, dass die bestehende Situation unzumutbar sei.
Angebote habe es in der Zwischenzeit von beiden Seiten gegeben. „Westnetz wollte das Kabel tiefer in die Erde bringen“, sagt der 77-Jährige, der es zumindest ein Stück weiter nach außen verlegen lassen wollte. Seit dem Vorjahr habe er dann nichts mehr gehört.
Nun sind Juristen gefragt. „Die haben ja eine ganze Rechtsabteilung“, sagt Wilfried Großheimann und fragt sich, ob das Unternehmen ihn einschüchtern wolle. Auch er hat jetzt einen Anwalt eingeschaltet. Dabei wolle er sich gar nicht streiten, sondern die Lebensgefahr von seinem Grund gebannt wissen, um bei den Garten- und Bauarbeiten vor seinem Haus sicher zu sein.
„Es kann vorkommen, dass ein Kabel bereits liegt und sich beispielsweise die Straßenführung später ändert“, erklärt Westnetz-Sprecherin Angie Kreutz. Im Regelfall lägen Versorgungskabel im öffentlichen Bereich. Dabei seien Niederspannungskabel für die Verteilung des Stroms an Wohnhäuser essenziell.
Beschädigung eines Stromkabels stellt unmittelbare Lebensgefahr für Verursachende dar
Eine mögliche Gefahr bestätigt auch sie: „Grundsätzlich ist darauf zu achten, dass Arbeiten in der Nähe von Kabelanlagen nur mit äußerster Vorsicht durchgeführt werden. Die Beschädigung eines Stromkabels stellt eine unmittelbare Lebensgefahr für den Verursachenden dar“, zitiert sie aus der Broschüre mit dem Titel „Schutzanweisung Versorgungsanlagen“. Das Kabel könne unter Spannung stehen. Neben Unfallgefahren drohten den Verursachenden von Schäden zudem hohe Kosten für Reparaturarbeiten.
Sie weist ausdrücklich darauf hin, dass das Thema Arbeitssicherheit bei Westnetz einen hohen Stellenwert habe. Zusammen mit den Leitungsplänen erhalten Bauausführende daher die genannte Broschüre. Darin stünden wichtige Hinweise zum Schutz der Anlagen vor Schäden durch Bauarbeiten und zur Verhütung von Unfällen, die zu beachten seien.
Über das weitere Vorgehen gibt es seitens Westnetz derzeit keine Auskunft
Diese Auskünfte helfen Wilfried Großheimann derzeit wenig. Doch wie es nun weitergeht, was Westnetz im konkreten Fall plant und ob die Leitung aus seinem Vorgarten verschwindet, dazu gibt es keine Auskunft. „Leider können wir uns zu dem laufenden Verfahren nicht äußern“, sagt Angie Kreutz auf Nachfrage.
„Möglicherweise ist das ja auch eine Kostenfrage“, mutmaßt derweil Wilfried Großheimann. Verlege Westnetz die Leitung von seinem Grundstück auf die öffentliche Fläche davor, könnte das Nachbarn ermuntern und auf Ideen bringen, seinem Beispiel zu folgen. Ihn selbst mache die Situation hilflos. „Ich bin nervlich am Ende“, gesteht der 77-Jährige, der seine Frau zu Hause pflegt. Davor bleiben derweil die begonnenen Arbeiten und die offenen Pflanzlöcher mit der Leitung darin weiterhin liegen. „So leb’ ich jetzt hier.“