Essen. Raus aus den großen Schlagzeilen, aber für Tausende tägliches Thema: Corona. Eine regelrechte Sommerwelle macht den Krankenhäusern zu schaffen.

Krieg im Osten und Kapriolen beim Klima, geplatzte Urlaubsflüge und aus dem Ruder laufende Baukosten, Gasmangel und Inflation – vor lauter Krisen kann einem die eine oder andere schon mal aus dem Blick geraten. So ging’s der Stadt über Wochen mit Corona: die Impfkampagne ausgereizt, die Zahlen stabil, Notfallbetten verfügbar, Entkrampfung allerorten. Doch eine regelrechte Sommerinfektionswelle dünnt vielerorts die Belegschaften aus – und verschärft die Personalprobleme in den Kliniken. Den städtischen Gesundheits-Dezernenten Peter Renzel lässt dies mit Sorgen auf den Herbst schauen. Ist der nächste Ausnahmezustand nur eine Frage der Zeit?

Die allseits spürbare Gelassenheit jedenfalls, sie scheint nicht zu den aktuellen Zahlen zu passen: 4261 neuentdeckte Covid-19-Fälle wurden dem Robert-Koch-Institut in den vergangenen sieben Tagen aus Essen gemeldet. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz, also die Quote der Erkrankten aus einer kompletten Woche, gemessen pro 100.000 Einwohner, schraubte sich damit auf 731,6. Das ist, dies nur mal zum Vergleich, mehr als das Siebzigfache der Zahlen vor Jahresfrist.

Besucherregeln werden vorerst nicht verschärft

Ein aktueller Corona-Test als „Eintrittskarte“ und dazu durch zahlenmäßige Beschränkung eine Rudel-Bildung im Patienten-Zimmer vermeiden – bei diesen Besuchs-Beschränkungen in den Spitälern soll es vorerst bleiben. Für eine Verschärfung der Regelungen sieht man trotz Sommerwelle bei den Klinik-Betreibern keinen Anlass. Übrigens: Wer Angehörige im Krankenhaus besucht und sich dies bestätigen lässt, erhält den sogenannten Bürgertest auch weiterhin kostenlos.

In der Uniklinik kämpfen 60 Patienten mit Corona – fünf davon auf der Intensivstation

Schon wahr, die Zahl der schweren Verläufe ist zurückgegangen. Aktuell versorgt das Essener Uniklinikum insgesamt 60 Patientinnen und Patienten, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden – davon 55 auf Normalstationen sowie fünf auf Intensivstationen. Vor einer Woche waren es noch insgesamt 48 Gesamtfälle.

Die überwiegende Zahl der Erkrankten laboriert an mehr oder weniger heftigen Symptomen, manche melden sich für ein paar Tage krank, andere arbeiten sogar im Homeoffice weiter. Die Krankenquote etwa bei der Stadtverwaltung ist spürbar erhöht. Da man im Rathaus aber die Art der Erkrankung nicht abfragen darf, bleibt das Ausmaß der Corona-Fälle Spekulation. Auch bei der Ruhrbahn kommen Bus und Bahn wegen zunehmender Fahrer-Ausfälle noch nicht ins Stocken.

Längere Wartezeiten in Notaufnahmen und Engpässe in bestimmten Abteilungen

Heikler scheint die Lage bei den Krankenhäusern: „Auch wir erleben zurzeit ansteigende krankheitsbedingte Personalausfälle mit einer allerdings sehr individuellen Krankheitsdauer“, bestätigt ein Sprecher des Klinikbetreibers Contilia (Elisabeth-Krankenhaus, Philippusstift etc.). Dabei helfe die im öffentlichen Leben sonst größtenteils abgeschaffte FFP2-Maskenpflicht im Haus, „eine gute und engmaschige Teststrategie“ für die Besucherschar und eine „fast 100-prozentige Impfquote in unseren Einrichtungen“, die Zahl der Erkrankten niedrig zu halten.

Verschärfte Lage: Schon vor der Corona-Sommerwelle pfiff die Belegschaft am Universitätsklinikum in Holsterhausen aus dem letzten Loch, jetzt fallen auch noch diverse Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen Krankheit oder Quarantäne aus.
Verschärfte Lage: Schon vor der Corona-Sommerwelle pfiff die Belegschaft am Universitätsklinikum in Holsterhausen aus dem letzten Loch, jetzt fallen auch noch diverse Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen Krankheit oder Quarantäne aus. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Die längeren Wartezeiten, die Contilia bei all jenen einräumt, die mit leichteren Erkrankungen in die zentralen Notaufnahmen kommen, mögen verschmerzbar sein, ans Eingemachte geht es da schon im Uniklinikum: Die Personalsituation dort ist durch Corona-Ausfälle und Streik „extrem angespannt“, heißt es: Zwar seien davon nicht alle Bereiche gleichermaßen betroffen, aber insbesondere die Notaufnahme sowie die Klinik für Infektiologie und die Intensivstationen ächzen unter den Engpässen.

Uniklinikum muss zusätzlich noch Streikausfälle verkraften – und 2600 OPs absagen

Kein Wunder, wenn man einen Blick auf die Zahlen wirft: Am Mittwoch etwa waren bei der Universitätsmedizin Essen, also dem kompletten Klinikverbund, insgesamt 99 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in häuslicher Quarantäne, zudem befanden sich circa 100 bis 150 Beschäftigte am Universitätsklinikum im Streik.

Seit Beginn des Streiks sind nach den Worten eines Sprecher der Universitätsmedizin rund 2600 Operationen ausgefallen. „Nur ein Teil konnte inzwischen nachgeholt werden“, es werde nach Ende des Ausstands wohl recht lange dauern, diesen Berg abzuarbeiten. Aus der eigenen Verbitterung darüber macht man am Uniklinikum keinen Hehl: „Das Verschieben elektiver (also nicht notfallbedingter, sondern zeitlich planbarer) Eingriffe etwa hört sich auf den ersten Blick nicht dramatisch an, damit verbunden sind aber für jeden einzelnen Patienten Leiden, Schmerzen sowie eine Verschlechterung der Krankheitssituation und der Lebensqualität.“

Klinik-Betreiber sehen sich auch für steigende Zahlen im Herbst „gut vorbereitet“

Spätestens für den Herbst rechnet das Uniklinikum mit weiter steigenden Zahlen bei den Corona-Patienten. Obwohl dann – wie in den vorhergegangenen Pandemiewellen – wohl auch eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erkranken würden, dämpft das Uniklinikum die Sorge vor einem Ausnahmezustand: Nach zweieinhalb Jahren Erfahrung im Management der Pandemie und angesichts einer guten Impfsituation des Personals sieht man sich „gut vorbereitet“.