Essen. Im Mordprozess um den Tod von Madeleine W. (23) hat die Staatsanwältin am Freitag mit ihrem Plädoyer begonnen. Sie fordert lebenslange Haft für Günther O.
- Staatsanwaltschaft fordert lebenlange Haft mit besonderer Schwere der Schuld.
- Verteidiger: Gericht dürfe nur von einem Totschlag ausgehen.
- Das Urteil wurde am Freitagnachmittag verkündet. Den Artikel dazu finden Sie hier.
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Drangvolle Enge herrscht am Freitagmorgen im Saal 290 des Essener Gerichts, in dem der Mordprozess um den Tod der 23-jährigen Madeleine W. aus Gelsenkirchen verhandelt wird. Die junge Mutter war vor fast einem Jahr getötet und unter Beton und Erde in einem Essener Kleingarten verscharrt worden. Die Angeklagten, Günther O. (48) und sein Sohn Daniel, Stiefvater und Halbbruder von Madeleine W., verbergen minutenlang ihre Gesichter vor den Kameraobjektiven.
Um 9.05 Uhr eröffnet Richter Andreas Labentz den Sitzungstag. Verteidiger Wolfgang Weber hat keine Anträge mehr. Staatsanwältin Birigit Jürgens beginnt mit ihrem Plädoyer.
"Und er missbrauchte Madeleine jahrelang, immer und immer"
Kurz reißt Jürgens den Lebenslauf von Günther O. an. Wie dominant er in der Familie agiert hätte, wie er sich alle in seiner näheren Umgebung abhängig gemacht hat. "Und er missbrauchte Madeleine jahrelang, immer und immer." Die Staatsanwältin macht klar, dass er nur für fünf Missbrauchtaten zu verurteilen sei, weil jede Tat konkret benannt werden müsse. Zu seinem Gunsten ordnet sie die Taten erst nach dem 14. Lebensjahr Madeleines ein.
Jürgens zeigt sich aber sicher, dass es schon vorher zu Taten kam, "die mit väterlicher Liebe nichts zu tun hatten". Sie betont, dass Madeleine W. nie vergewaltigt worden sei. Dabei kritisiert sie "die Presse", die von Vergewaltigung gesprochen hätte. Tatsächlich habe Madeleine selbst nie von Gewalt gesprochen. Staatsanwältin Jürgens: "Das ist rechtlich keine Vergewaltigung."
"Er hat seiner Tochter die Mutter genommen“
Lebenlange Haft mit besonderer Schwere der Schuld, dazu eine weitere Strafe in Höhe von dreieinhalb Jahren wegen sexuellen Missbrauchs in fünf Fällen – so lautet der Antrag von Staatsanwältin Jürgens für Günther O., dem sie eine „völlige emotionale Gefühllosigkeit“ bescheinigt: „Und, besonders bitter: Er hat seiner Tochter die Mutter genommen.“ Für Sohn Daniel forderte sie sieben Jahre Gefängnis wegen Beihilfe zum Mord: „Ihm war das Leben seiner Stiefschwester völlig egal.“
Der 48-jährige Essener habe die 23-Jährige heimtückisch getötet. Durch Madeleines Tod hätte er zusätzlich verhindern wollen, das er durch ihre Aussage wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt werde. Als drittes Mordmerkmal nannte Jürgens die niedrigen Beweggründe. Dafür listete sie noch einmal die lange Suche nach der Stieftochter auf: "Er hat sie als sein Eigentum betrachtet." So wie die Staatsanwältin die Nachforschungen von Vater und Sohn O. nach Madeleine W. schildert, war es keine Suche nach der geflüchteten 23-Jährigen, sondern eine regelrechte Jagd.
Günther O. soll die Tat generalstabsmäßig vorbereitet haben
Mit verdeckten Identitäten forschen die beiden Männer im Internet nach ihr, die sich seit über einem Jahr vor ihrem Stiefvater, leiblicher Vater ihres 2011 geborenen Kindes, verborgen hält. Jürgens schildert die Suche in Köln, bei der Günther O. eine Pistole dabei hatte. Einem Freund hätte er gesagt: "Sie wird irgendwann unter der Erde liegen, und dann werde ich auf ihr herum trampeln."
Anfang Februar 2014 ist Günther O. sicher, dass der Kontakt zustande kommt: "Dienstag haben wir sie." Er wolle sich rächen und die kleine Tochter in seine Gewalt bekommen, sagt die Staatsanwältin. Das zeige schon die Formulierung "Dienstag haben wir sie." Fast generalstabsmäßig wird nach Worten der Anklägerin die Tat vorbereitet. Ein Alibi wird besorgt, Zement im Baumarkt Hornbach eingekauft, der nur wenige Minuten entfernt liegt von der Kleingartenanlage in Essen-Dellwig, wo Madeleine am 11. Februar 2014 ihren Tod finden soll.
Anklägerin spricht von einem massiven Kampfgeschehen im Kleingarten
Birgit Jürgens weist nach, dass Sohn Daniel O. am Tattag Madeleines Handy mitgenommen hat, während Vater Günther O. bei Hornbach Rindenmulch und Zuckerhutfichten kauft. Reger SMS-Verkehr zwischen den beiden belegt aus ihrer Sicht, dass der Sohn mehr an der Tat beteiligt war, als er es bislang im Prozess dargestellt hatte.
Am 18.2.2014 nimmt die Polizei schließlich die beiden Angeklagten fest. Ausführlich setzt die Staatsanwältin sich mit der Version auseinander, die Günther O. geschildert hatte. Tod durch einen verunglückten Flaschenwurf? "Das ist falsch", sagt Jürgens. Sie spricht von einem massiven Kampfgeschehen im Kleingarten. Das belegten DNA-Spuren.Madeleine ist erstickt, aber sicher nicht lebendig begraben worden, betont sie. "Mit hoher Sicherheit hat er sie zu Boden gebracht und ihr ein Kissen aufs Gesicht gedrückt." An seiner Schuld zweifelt sie nicht: "Nach langer, sorgfältiger Planung hat er Madeleine mit direktem Vorsatz getötet. Er wollte sich ihrer entledigen. Zumindest wegen Totschlags hat er sich schuldig gemacht."
Dem Angeklagten Daniel O. wirft Jürgens wechselnde, widersprüchliche Angaben vor. Der 22-Jährige hätte sich nur an der Entführung nach Kassel beteiligt. Das könne ihm nicht abgenommen werden: "Alles spricht dafür, dass er wusste, dass Madeleine die Laube nicht lebend verlassen werde." Ob er bei der Tötung dabei war, lasse sich nicht sicher sagen. Es spräche aber vieles dafür.
Verteidigung: Günther O. habe sich Sorgen um seine Tochter gemacht
Das Image von Günther O. in der Öffentlichkeit steht fest. Er gilt als der brutale Täter, der aus völligem Eigennutz jahrelang seine Stieftochter missbraucht und zum Schluss ermordet hat. Mit ruhigen Worten versucht Verteidiger Wolfgang Weber dieses Bild zu korrigieren. In seinem Plädoyer zeichnet er das Bild eines Mannes, der nur aus Sorge um seine kleine Tochter nach deren Mutter, seiner Stieftochter, gesucht hätte.
Es sei ihm keineswegs um Madeleines Tod gegangen, sondern darum, die Tochter zu sehen. Madeleine W. habe dies durch die Flucht verhindert. Weber: “Er litt darunter, von sämtlichen Kontakten abgeschnitten gewesen zu sein.” Und: “Die aus seiner Sicht ungerechte und schmerzliche Trennung von seiner Tochter war der Grund für die Suche.”
Rechtlich sieht Weber keine Grundlage für eine Mordverurteilung
Günther O., der das Plädoyer der Staatsanwältin relativ unbewegt hingenommen hatte, zeigt bei diesen Worten weit mehr Reaktion. Immer wieder nickt der 48-Jährige, wenn Verteidiger Weber ihn als besorgten Vater hinstellt, der sich um seine Tochter sorgte.
Rechtlich sieht Weber keine Grundlage für eine Mordverurteilung. Denn was am 11. Februar im Kleingarten geschehen sei, “wissen wir nicht”. Vieles sei denkbar, die Version der Staatsanwältin nur eine Möglichkeit. Weber hält es für denkbar, dass es spontan zu einer Auseinandersetzung zwischen Vater und Stieftochter gekommen ist. Von Mordmerkmalen sei da keine Rede.
Deshalb dürfe das Gericht nur von einem Totschlag ausgehen. Angemessen für ein gerechtes Urteil sei “eine zeitige Freiheitsstrafe, deren Höhe er ins Ermessen des Gerichtes stelle”. Sein Mandant sei nur unwesentlich vorbestraft und bekenne sich zu seiner Verantwortung.
Günther O. verzichtet auf "das letzte Wort"
Nachdem zum Schluss der Plädoyers Rechtsanwältin Verena Metzmacher und Rechtsanwalt Hans Reinhardt als Verteidiger von Daniel O. für den 22-Jährigen, der vom Mordplan des Vaters nichts gewusst hätte, eine milde Strafe gefordert hatten, erteilte Richter Labentz den Angeklagten “das letzte Wort”.
Doch Günther O. verzichtete darauf, der Kammer vor der Urteilsberatung noch etwas zu sagen. Sohn Daniel schloss sich seinen Verteidigern an. Sein Bedauern drückte er auch aus: “Es tut mir Leid, was mit meiner Schwester geschehen ist.”