Essen/Düsseldorf.. Die S6, die wichtigste ÖPNV-Verbindung zwischen Essener Süden und Stadtmitte, hat eine echte Pannenserie hinter sich und viele Dauer-Probleme: 30 Jahre alte Züge und eine gefährlich-schöne Strecke. VRR und DB schicken neue Züge auf die Strecke - allerdings erst in einem Jahr.
Das nennt man wohl Ironie des Bahnverkehrs: Seit der „Problemstollen“ am Essener Hauptbahnhof den Fahrplan an Rhein und Ruhr aus dem Takt bringt, sind zwischen Düsseldorf und Essen (meist) die S-Bahnen der Linie S 6 die pünktlichsten. Die S 6, ausgerechnet: Die wichtigste und schnellste ÖPNV-Verbindung zwischen Essener Süden und Stadtmitte war 2013 so häufig gekappt und gestört wie seit Jahren nicht (siehe Seite zwei dieses Artikels), ihre Unpünktlichkeit ist fast schon chronisch. Das weiß auch Jochen Geis, als „Teilnetzmanager“ der S-Bahn Rhein-Ruhr der Koordinator der elf Linien im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). „Absolut dramatisch“ nennt er die Ausfälle und Probleme auf der Strecke seit Oktober.
„Wir sind ja selbst nicht zufrieden mit der Leistung auf der Strecke“, räumt er offen ein. Unter der Pannenserie leide neben den Fahrgästen auch die DB Regio AG, die vom VRR nur Geld für pünktliche Fahrten (bis zu fünf Minuten Verspätung) erhält. Im Schnitt waren dieses Jahr 91,96 Prozent der Züge pünktlich, in einigen Wochen im Herbst gerade mal noch 80 Prozent.
Zwei eingleisige Problemzonen
Entsprechend schlechte Noten gaben die Kunden bei der Fahrgastbefragung der S 6 zuletzt – „eine 3 minus“, sagt Bahnsprecher Dirk Pohlmann. Allerdings, so ergänzt er mit Verweisen auf Unfälle, Vandalismus und Orkanschäden, habe DB Regio nur etwa ein Drittel der Ausfälle selbst verschuldet, etwa durch Fahrzeugschäden.
Schwachpunkt Züge: Die S 6 hat die ältesten Züge aller S-Bahnen in NRW, ihre Loks (Baureihe 143) wurden zwischen 1984 und 1990 gebaut – etwa für die Reichsbahn der DDR. Die Elektroloks fallen immer häufiger aus, Motoren und Bremsen sind besonders anfällig. Warum VRR und Bahn auf eine ihrer wichtigsten Strecken „Oldtimer“ schicken, von denen Eisenbahn-Romantiker schwärmen? „Aus juristischen Gründen des Vergaberechts“, lautet die offizielle Antwort beider Seiten. Im Streit um die Verlängerung des „Verkehrsvertrages“ zwischen VRR und DB Regio 2007 kam die S6 schlecht weg. Zum Verhängnis wurde ihr, dass sie von VRR und vom Verbund Rhein-Sieg (VRS) betrieben wird: Das bremste Investitionen des VRR.
97 km Strecke, 23 Millionen Passagiere
Zwischen Essen und Köln legt die S6 im Gebiet von VRR und VRS 97 km zurück. Auf der Strecke hält sie an 35 Stationen.
2012 hatte die S6 etwa 23 Mio. Passagiere, so viele Fahrgäste haben bei der S-Bahn Rhein-Ruhr nur S1 und S8 (Hagen-Mönchengladbach). Zwischen Essen und Ratingen registriert die Bahn an Schultagen circa 17 000 Passagiere.
Im Sommer 2013 steckte die Bahn vier Millionen Euro in die Sanierung der Gleise im Essener Süden, im Vorjahr 20 Millionen Euro in die Modernisierung der Bahnhöfe Stadtwald, Werden und Kettwig.
Trassierung: An der Linienführung der S6 wird sich dagegen nichts ändern. Einerseits muss sie die Gleise zwischen Düsseldorf-Derendorf und Essen nicht mit Regional- und Fernverkehr teilen, andererseits liegen auf dem Abschnitt mit Höseler und Stadtwald-Tunnel zwei eingleisige Engstellen, wie sie heute nicht mehr gebaut würden. „Verspätungen übertragen sich dort schnell auf den Gegenverkehr“, erklärt Geis. Der Handlungsspielraum der Fahrdienstleiter sei begrenzt. Die Tunnel bleiben Achillesfersen.
Streckenverlauf: Die S 6 bietet die schönsten Fensterblicke – hinaus in tiefen Laubwald und auf die Ruhr. Diese „Naturverbundenheit“ aber wird ihr – wie zuletzt im Sturmtief „Christian“ wieder – zum Verhängnis. Jochen Geis: „Der S 6 fallen häufiger Äste in die Oberleitung als anderen Bahnen.“ Auch vom durch Laub verursachten Schmierfilm auf den Gleisen sei die Waldstrecke extrem stark betroffen. Zumal die alten Loks darauf besonders schwer in Fahrt kommen. Ein Jahr müssen sie – und ihre Passagiere – noch durchhalten.
Unfälle, Defekte, Sperrungen – die „Pannenserie“ der S6 im Jahr 2013
Immer wieder verursachen auf der Strecke der S6 technische Defekte Zugausfälle. Zwei aktuelle Beispiele: Vorige Woche erst mussten Passagiere kurz nach der Abfahrt im Hauptbahnhof wegen eines Getriebeschadens auf der Strecke aussteigen. Wenige Tage zuvor konnte ein Zug gar nicht erst abfahren, weil die Türen der x-Wagen nicht schlossen. Am Abend des 21. Oktober mussten alle Passagiere in Werden aussteigen – eine Bremse funktionierte nicht mehr. „Es war im übertragenen Sinne die Handbremse“, erklärt dazu Teilnetzmanager Jochen Geis (DB Regio). „Die Sicherheit der Fahrgäste war nicht gefährdet.“
Für die meisten Zugausfälle auf der Strecke der S6 sorgte 2013 allerdings eine Sperrung im Januar: Am 10. Januar waren bei einer Rangierfahrt in Düsseldorf drei Waggons eines Güterzugs entgleist, Bergungs- und Aufräumarbeiten nahmen mehrere Tage in Anspruch. Auch der Gas-Waggon, der im Juli in Düsseldorf-Derendorf entgleist war, kam der S6 in die Quere.
Tagelang unterbrochen war der Abschnitt zwischen Kettwig und Hauptbahnhof auch nach der Kollision vom 16. Oktober: In Stadtwald musste die Bahn wegen Ausbesserungsarbeiten ihr Richtungsgleis verlassen. Als der Zug nach der Baustelle in Werden wieder auf das richtige Gleis wechselte, stand im Weichenbereich ein Bauzug. Diesen touchierte die S-Bahn, die Lok entgleiste. Glück im Unglück: Fahrgäste und Lokführer wurden nicht verletzt. Die Bundespolizei hat die Ermittlungen zur genauen Unfallursache noch nicht abgeschlossen.