Essen. Durchschnittlich war jeder Essener 2020 fast 15 Minuten von der Stromversorgung abgeschnitten. Die Ruhrstadt ragt negativ heraus.

Das Stromnetz in Essen erwies sich 2020 als äußerst störanfällig. Der Netzbetreiber "Westnetz" verzeichnete im Laufe des Jahres insgesamt 315 Störungen, davon 84 im sogenannten Mittelspannungsnetz, so dass jeweils mindestens 200 Haushalte betroffen waren. Durchschnittlich war jeder Essener Bürger im vergangenen Jahr knapp 15 Minuten von der Stromversorgung abgeschnitten.

Die Ruhrstadt ragt damit Vergleich zu anderen Städten und Landkreisen negativ heraus. Deutschlandweit war nach Angaben des Netzbetreibers jeder Bürger 2020 statistisch betrachtet zwölf Minuten ohne Strom.

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Warum ist das Essener Netz so anfällig? Diese Frage hat sich auch "Westnetz" gestellt - und mögliche Antworten gefunden. "Seit vier Jahren beobachten wir, ein Phänomen, das wir nun näher analysieren", sagt Thomas Walkiewicz. Der Leiter des für Essen zuständigen Regionalzentrums Ruhr spricht vom sogenannten Sommerfrost.

Im August 2020 kam es in Essen an einem Tag sieben Mal zu Netzausfällen. Rekord!

Bei anhaltender Hitze trocknen die Böden aus, die Wärmeleitfähigkeit sinkt. "Die Wahrscheinlichkeit steigt signifikant, dass es zu Netzstörungen kommen kann", so Walkiewicz. So kam es Ende August an einem einzigen Tag zu sieben Störungen im Netz - im vergangenen Jahr ein Rekord. Das Thermometer zeigte an diesem Augusttag 35 Grad.

Das allein erklärt nicht, warum gerade Essen heraussticht, denn überdurchschnittlich heiß war es im vergangenen Sommer auch andernorts. In der Ruhrstadt kommt hinzu, dass das historisch gewachsene Stromnetz in die Jahre gekommen sei, so Stefan Küppers, als Geschäftsführer bei Westnetz zuständig für Spezialtechnik und Digitalisierung. Einzelne Stromleitungen können sogar 50 bis 60 Jahre alt sein, was nicht heißen müsse, dass sie nicht mehr verlässlich funktionierten.

Als besonders störanfällig hat Westnetz Verbindungsstellen im Stromnetz identifiziert

Als besonders störanfällig hat Westnetz aber Verbindungsstellen identifiziert, sogenannte Übergangsmuffen. Und davon gibt es offensichtlich viele, denn das inzwischen 7500 Kilometer lange Essener Netz wurde mit den Jahren immer wieder erweitert und auch repariert. Der Strukturwandel habe seine Spuren hinterlassen, so Küppers. Aber auch Bergsenkungen und eine intensive Bautätigkeit. Häufig werden Kabel durch Bagger beim Ausschachten beschädigt. Ein Drittel der Schäden führt Westnetz auf Fremdeinwirkungen zurück.

"Gibt es viele Flickstellen im Netz, da erhöht sich die Störanfälligkeit", so Küppers. Monteure müssten dann rausfahren und den Fehler dann erst einmal lokalisieren. Das kostet Zeit. Bis ein Schaden Mittelspannungsnetz behoben war, vergingen im vergangenen Jahr durchschnittlich eine Stunde und 14 Minuten.

Mit fortschreitender Digitalisierung sollen Störungen schneller behoben werden

Das alles soll mit fortschreitender Digitalisierung viel schneller gehen. In Deutschland müssen dafür Milliarden investiert werden. Der Ausbau von Photovoltaiktechnik und Elektromobilität wie auch die Energiewende  fordern mehr Tempo. Doch dürften nach Einschätzung von Thomas Walkiewicz noch ein bis zwei Jahrzehnte vergehen, bis die Stromnetze digital betrieben werden und Störungen somit deutlich schneller behoben werden.

In Essen will "Westnetz" so lange nicht warten. Der Netzbetreiber will seine Investitionen in das Stromnetz in den kommenden fünf Jahren erhöhen von neun auf zehn Millionen Euro pro Jahr, um Schwachstellen zu modernisieren. Spätestens dann soll Essen, was die Störanfälligkeit angeht, eine Stadt sein wie jede andere.

Info: Westnetz betreibt in ein Essen ein 7.500 Kilometerlanges Stromnetz mit 29 Umspannanlagen, ca. 2.900 Trafostationen und 550 Kundenstationen. 2659 Kabelverteiler-Schränke lassen den Strom bei den Menschen in Essen ankommen. Um Wartung und Betrieb kümmern sich 95 Mitarbeiter.

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