Essen. Hein Mulders, Intendant von Aalto und Philharmonie, wechselt von Essen nach Köln. Das waren die Erfolge und Herausforderungen seiner Amtszeit.
Für jemanden, der die Kunst gerne für sich sprechen lässt, fiel die Abschiedsrede von Aalto- und Philharmonie-Intendant Hein Mulders am Mittwochabend ungewohnt redselig aus. Minutenlang aber galt die Aufmerksamkeit nicht den eigenen Karrierestationen und Meriten, sondern den Mitarbeiten, denen Mulders fast allen namentlich dankte – von der Inspizientin bis zum Pförtner, von der Aalto-Sopranistin bis zum Werkstattleiter.
Dass da ein echter Teamplayer geht, der die Kunst liebt und und alle, die daran beteiligt sind, unterstreicht auch die Festschrift, mit zahllosen Gruß- und Dankesworten von Kollegen und Mitstreitern, die einen Menschen beschreiben, der einen neuen Sound für ein Amt gefunden hat, das es bis zu seinem Antritt 2013/14 in Essen noch nicht gab. Als Intendant für drei Sparten und zwei Häuser – Philharmonie, Essener Philharmoniker und Aalto-Theater ist Mulders, damals Operndirektor der Nederlandse Opera in Amsterdam, nach Essen gekommen – und verabschiedet sich nach neun Jahren nun als neuer Opernchef nach Köln.
Dass der Niederländer für die Ämter-Häufung nie die ganz große Begeisterung entwickelt hat, räumt Mulders unumwunden ein. „Der Job ist für einen Menschen eigentlich zu viel.“ Und wie zum Beweis wird das Triple-Amt nach Mulders Abschied nun auch wieder aufgesplittet. Die Drei-in-eins-Lösung soll damals aber Synergien zwischen den benachbarten Kulturhäusern schaffen, nebenbei gewiss auch Einsparungen bringen. Doch während für Mulders Vorgänger, den damaligen Aalto-Intendanten und genialischen Generalmusikdirektor Stefan Soltesz Machtfülle ein künstlerisches Aphrodisiakum ist, wird das neu zugeschnittene Aufgabenfeld für den vielseitigen Kulturmanager Mulders auch zum physischen Kraftakt.
Kein Bühnen-Boss, der dirigiert und diktiert, sondern organisiert und ausprobiert
Der Ruf nach Essen, der ihn damals in Barcelona am Handy erreicht, das ihm wenig Stunden später von einem Taschendieb geklaut wird, ist ein Sprung aus der zweiten Reihe als künstlerischer Leiter und erfahrener Casting-Experte in die Führungsetage der führenden Musik- und Opernhäuser der Republik: Aalto-Theater und Philharmonie – „zwei Traumhäuser“ sagt Mulders – dazu die Essener Philharmoniker, die sich als Opernorchester unter Leitung von Stefan Soltesz damals mit Titeln wie „Orchester des Jahres“ schmücken können.
Der Kontrast hätte damals nicht größer ausfallen können: Während der Pultmagier Soltesz für seine künstlerischen Ambitionen berühmt und für seine Wutausbrüche berüchtigt ist, sorgt der besonnene Kulturmanager Mulders mit seiner sympathisch-offenen, ausgleichenden Art für eine neue Art des Miteinanders. Kein Bühnen-Boss, der dirigiert und diktiert, sondern jemand, der organisiert, diskutiert und ausprobiert – Stücke, Künstler, Regiehandschriften.
Aus der Kontinuität eines omnipräsenten Opernchefs wird eine Vielstimmigkeit – nicht nur am Dirigentenpult, auf dem neben dem neuen Generalmusikdirektor Tomáš Netopil nun auch zahlreiche andere Dirigenten die Brillanz und Güte der Essener Philharmoniker zum Strahlen bringen. Bleibt aus der Soltesz’-Ära neben der Perfektion aber auch die immer wieder aufblitzende Lust an der Publikums-Provokation in Erinnerung, werden die Aufreger und Bühnen-Skandälchen, die Buh-Orkane, aber auch die frenetischen Begeisterungsstürme an Premierenabenden in den Folgejahren seltener.
Mulders Ehrgeiz, internationale Produktionen und Regie-Stars wie Christoph Loy oder Robert Carsen nach Essen zu holen, stößt in Essen anfangs auf mäßigen Erfolg. Die eingekauften Koproduktionen, zuvor an den Opernhäusern von Zürich bis Antwerpen gefeiert, wollen nicht immer so zünden wie „hausgemachte“ Inszenierungen, die bald wieder zum Standard werden. Bis heute will Hein Mulders nicht ganz begreifen, warum man in Essen nicht so recht wertschätzt, was in Frankfurt, Berlin und Hamburg willkommen ist, „um an die internationale Szene anzuknüpfen“.
Im Abschiedsjahr der Steinkohle gibt es in Essen eine Untertage-Oper
Gleichwohl setzt er seine eigenen Schwerpunkte, vor allem Mozart und das slawische Repertoire werden im Zusammenspiel mit GMD Netopil neben Wagner und Verdi zu Säulen seines Repertoires, aber auch Raritäten stehen immer wieder auf den Spielplan, von Bohuslav Martinů „Greek Passion“ bis zu György Ligetis „Le Grand Macabre“. Um die Operette macht Mulders lange einen Bogen: Bei nur fünf Premieren pro Spielzeit und 400 Jahren Operngeschichte steht einfach zu viel auf der To-Do-Liste: Philipp Stölzls fabelhafter „Faust“ wird dabei vielen in Erinnerung bleiben, für die Theaterauszeichnung gleichen Namens wird Tatjana Gürbacas grandioser „Lohengrin“ nominiert. Roland Schwab sorgt für einen „Otello“ der Extraklasse und mit der Untertage-Oper „Hans Heiling“ setzt man im Abschiedsjahr der Steinkohle einen spannenden Akzent. Manches erscheint indes auch blass und brav im Zugriff wechselnder Regisseure.
Mehr als die Regie-Wahl überzeugt Mulders’ Gespür für Stimmen. Aalto-Premieren werden zum Treff der Sänger-Elite. Neben den Gästen von Rang präsentiert Mulders dabei ein Sänger-Ensemble von herausragendem Format. Die Aalto-Bühne wird zur Startrampe internationaler Karrieren, neben liebgewonnenen Ensemble-Stars sorgen immer wieder Entdeckungen für gefeierte Abende.
Internationaler Glanz herrscht unter Mulders Ägide ohnehin in der benachbarten Philharmonie, die der Kulturmanager zusammen mit der künstlerischen Leiterin Babette Nierenz als erste Konzerthaus-Adresse etabliert. Wo man Publikumslieblinge wie Anne-Sophie Mutter oder Daniel Hope genauso regelmäßig trifft wie Gesangs-Superstars wie Cecilia Bartoli oder Joyce DiDonato.
Neben den gefeierten Auftritten großer Orchester erlebt die Vokalmusik unter Mulders eine neue Blüte. Residence-Reihen mit Stars von Götz Alsmann bis Philippe Herreweghe schaffen es, Künstler von Rang langfristig ans Haus zu binden. Er sei kein „Job-Hopper“, hat auch Mulders versichert, als sein Vertrag 2016 um weitere fünf Jahre verlängert wurde. Und doch gibt es für den studierten Kunsthistoriker und Musikwissenschaftler, der im Herbst 60 Jahre alt wird, nun keine dritte Essener Amtszeit.
Die Entscheidung, dass Hein Mulders Nachfolger von Birgit Meyer an der Kölner Oper wird, kam für Essens Kulturpolitiker im vergangenen April völlig überraschend und hat manchen wohl düpiert. Dabei hat sich die Kulturpolitik im Vorfeld viel, vielleicht zu viel Zeit gelassen, um die personellen Weichen nach den monatelangen Querelen um den 2020 schließlich vorzeitig ausgeschiedenen Geschäftsführer Berger Bergmann zu stellen. Manche Hängepartie dauert bis heute an. Noch immer ist die neue Leitung der Philharmonie nach offenbar zahllosen Bewerbungsrunden nicht gefunden. Und Mulders Nachfolgerin am Aalto-Theater, die neue Opernchefin Merle Fahrholz, wird womöglich froh sein, in der ersten – hoffentlich – wieder normalen Spielzeit nach zwei Coronajahren keinen „Kaltstart“ hinlegen zu müssen, sondern ein noch von Mulders vorbereitetes Opern-Programm übernehmen zu können.
In Köln wird der Niederländer da anknüpfen, wo er in Essen aufgehört hat. Mit einem Mix aus Besonderem und Bewährten. Und vielen Vorschusslorbeeren der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. In Essen regnete es für Hein Mulders zum Abschied indes rote Rosen, auch musikalisch. Denn wie sonst hätte man hätte man diesen „Casting-Fan“ auch anders verabschieden können – als mit einem Fest der großen Stimmen.