Essen. Dubiose, religiös oder esoterisch inspirierte Gruppen und Gurus erfahren ungebrochenen Zulauf. Aus dem Jahresbericht der Sekten-Info NRW geht hervor, wie dreist angebliche Heiler und Glaubensgemeinschaften die Not schwacher Menschen ausnutzen.

Der jungen Frau ging es eigentlich gut. Die Essenerin lebte in ihrer ersten eigenen Wohnung, studierte im zweiten Semester evangelische Theologie. Es war ein glückliches Leben. Bis zu dem Tag, an dem ihr Vater bei einem Unfall starb.

„Vor drei Jahren lernte ich dann bei meinem neuen Job eine Kollegin kennen“, schreibt die Frau in einem anonymen Beitrag für den Jahresbericht 2013 der Sekten-Info NRW, den der Verein mit Sitz an der Rottstraße am Dienstag veröffentlichte. Die Trost suchende Studentin ließ sich von ihrer Kollegin überreden, zu Scientology zu kommen, jener kruden religiösen Vereinigung, die für ihre rege Missionsarbeit bekannt ist.

Mehrere Anfragen wegen Kölner Heilerin

Die Studentin ist kein Einzelfall. 61 Menschen suchten 2013 die Hilfe der Sekten-Info, weil sie oder Angehörige in die Fänge dieser Organisation geraten sind. Doch es sind andere Vereinigungen, die in Essen und in NRW zunehmend an Bedeutung gewinnen. „Die Anfragen zu Scientology sind nicht mehr so hoch wie in früheren Jahren“, sagt Sabine Riede, Geschäftsführerin der Sekten-Info. Vor allem der Bereich Esoterik erfährt der Statistik nach großen Zulauf.

155 Beratungsfälle registrierte die Sekten-Info im vergangenen Jahr. Allein acht Hilfesuchende kamen in die Vereinsräume in der nördlichen Innenstadt, um vom dubiosen Gebaren einer charismatischen Kölnerin zu erzählen. Die Mittfünfzigerin bezeichne sich selbst als „von Gott berufene Heilerin“, behandele Krankheiten „ohne jede Qualifikation“, so Riede. Ihre Methoden sind zweifelhaft, doch die „Heilerin“ ist Opferberichten zufolge ein Mensch mit bemerkenswerter Ausstrahlung. Sabine Riede rät, bei Kontakten mit „Heilern“ „auf das Bauchgefühl zu hören und keinesfalls dem Drängen nachzugeben, auf den Arztbesuch zu verzichten“.

Robert Betz hat auch Anhänger im Revier

Das gilt auch für alle Anhänger des Gurus Robert Betz. Der 60-jährige Wahl-Bayer sei zwar Diplom-Psychologe, „er arbeitet aber überhaupt nicht wissenschaftlich“. Seine Methode: Wer gesund werden bzw. bleiben wolle, müsse nur fest genug daran glauben. Für Krankheiten sei jedermann selbst verantwortlich. Betz hat in ganz Deutschland Fans, sein Einfluss reicht bis ins Revier: Auch im Ruhrgebiet veranstaltete Betz bereits Seminare, etwa in Bottrop.

Die junge Theologie-Studentin, die in die Fänge von Scientology geriet, hat den Ausstieg geschafft – auch dank der Sekten-Info, die sie ein Jahr lang unterstützte. „Es war die schlimmste Zeit meines Lebens“, schreibt die Frau im Jahresbericht mit Blick auf den großen psychischen und finanziellen Druck, dem sie bei Scientology ausgesetzt gewesen sei. Diese Phase ist vorbei. „Mittlerweile habe ich die Beratung abgeschlossen“, so die Essenerin. Heute könne sie sich wieder „ganz entspannt ins Café setzen, meinen Kaffee schlürfen und die Zeit genießen“.