Essen-Holsterhausen. Immer mehr Geschäfte wollen Verpackung verringern oder vermeiden. “Unfairpackt“ in Holsterhausen verzichtet, wo es eben möglich ist. Ein Besuch.
Die Kritik am Verpackungsmüll wächst seit Jahren und doch nehmen die Müllmengen kaum ab. Zunehmend stemmen sich Ladeninhaber gegen diese Entwicklung und eröffnen Geschäfte, die auf Verpackung so weit wie möglich verzichten. So machen es "Glücklich unverpackt" in Rüttenscheid und "Von Grünstadt" im Südviertel. Nun hat vor kurzem an der Gemarkenstraße in Holsterhausen "Unfairpackt" eröffnet. Ein Besuch.
Längst bieten die Läden nicht nur ein überschaubares Nischen-Sortiment. So ist Denise Steinhage bei ihrem ersten Besuch im "Unfairpackt"-Laden erstaunt: Die Fülle an durchsichtigen Boxen und Dosen, alle prall gefüllt mit Lebensmitteln, "ist beeindruckend", findet die Holsterhauserin. Sie entscheidet sich für Nüsse und Trockenobst, die hier selbstredend nicht portioniert in Tütchen angeboten werden: Die Kundin bedient sich mit handlichen Zangen aus den Vorratsbehältnissen und füllt die Leckereien in ein mitgebrachtes Täschchen.
Sie habe "gut vorgesorgt", sagt Denise Steinhage. Doch dass alle Kunden so präpariert sind, kann der Laden mit dem ungewohnten Konzept kaum erwarten. Inhaber Miran Petry bietet darum beispielsweise kleine Jutesäckchen an. Grundsätzlich sollte auch der Transport der Waren umweltfreundlich erfolgen, sagt der 29-Jährige. Bringen Kunden Plastiktaschen oder -dosen mit, hat er damit aber kein Problem. Der Kunststoff sei nun mal in der Welt. Vermeiden möchte er dagegen schon, dass neuer produziert wird.
Im Ladenlokal herrscht eine urige Atmosphäre
Manche ältere Leute kommen hierher, wie Petry erzählt, weil sie sich an die Tante-Emma-Läden ihrer Kinder- oder Jugendzeit erinnert fühlen. Das hängt zum einen mit der Größe zusammen, denn das urige Ladenlokal im Herzen der Einkaufsmeile kommt mit nur etwa 60 Quadratmetern aus. Zum anderen gibt’s hier Lebensmittel lose zu kaufen, wie einst, als Mehl, Zucker oder Salz noch genau abgewogen wurde.
Ähnlich geht es bei "Unfairpackt" zu: Große Spenderboxen mit Nudeln, Getreide, Reis und Müsli-Variationen reihen sich aneinander und sind in ihrer Vielzahl und Anordnung ein Hingucker. Vorteil des Systems: Die Kunden sind nicht auf feste Verpackungsgrößen festgelegt, sondern können die Mengen völlig frei wählen. Wie die Kundin an diesem Morgen, die ein Glas unter eine der Boxen stellt, dann den Schieber zieht und Reiskörner in das Glas rieseln lässt.
Dass das System für manche Leute noch ungewohnt sei, räumt Miran Petry ein. „Aber die allermeisten kommen recht schnell damit zurecht." Und falls mal etwas mehr als gewünscht in der Tüte oder dem Glas landet, „ist das auch kein Problem. Da sind wir kulant und berechnen nur die beabsichtigte Menge.“
Kunden können sich anhand von Etiketten über Preise informieren
Während im Supermarkt der Preis entweder direkt auf der Verpackung steht oder an einem Regal angebracht ist, kleben hier auf jeder Box, an jedem Spender Etiketten mit der Angabe, wie viel eine Gewichtseinheit kostet. Beispiel: 100 Gramm Chili-Erdnüsse sind für 1,50 Euro zu haben. Dass die Preise etwas höher liegen als im konventionellen Supermarkt, sei wohl kaum überraschend, meint Petry. Die Kunden, die bei ihm einkaufen, wüssten um die Unterschiede.
Nun wollen die Kunden aber nicht nur wissen, wie viel sie bezahlen müssen. Bei Lebensmitteln ist auch das Haltbarkeitsdatum ein wichtiges Thema. „Deshalb haben wir es auch überall draufgeschrieben“, sagt der Inhaber und zeigt, dass sich die grünen Nudeln beispielsweise bis zum 28. Februar halten. Falls sie bis dahin nicht verkauft sind, würde er sie durch neue ersetzen. Auf der Schildern ist zudem eine Nummer, mit der er in seinen Unterlagen nachschauen kann, woher eine Ware stammt und wie sie zusammengesetzt ist - falls Petry oder sein Mitarbeiter Domenik Luthmann (24) das nicht ohnehin auf Anhieb wissen.
Warenangebot soll noch größer werden
Das Sortiment will Petry in nächster Zeit noch erweitern. Er verhandelt derzeit mit einem Biobauern aus der Region, der Kartoffeln, Obst und Gemüse liefern könnte. Mit dem in Rüttenscheid ansässigen Importeur afrikanischer Produkte ist er in Gesprächen, um Kaffee anbieten zu können. Solche Waren würden auch jetzt schon nachgefragt. Die Leute wollen sich offenbar soweit wie möglich für den täglichen Bedarf eindecken, meint Petry.
Ohnehin erlebe er es, dass aus der Nachbarschaft viele Leute vorbeischauen „Aus Neugier, weil sie die Idee befürworten oder beides“. Manche würden sich auch vornehmlich für Hygieneartikel interessieren, von der Öko-Seife bis zur Zahnbürste (Bambus mit Borsten aus Rizinusöl). Wenn der Kunde bezahlt hat und es um die Bonpflicht geht, dann möchten Petry und Luthmann auch hier Müll vermeiden. „Wenn möglich schicken wir den Bon aufs Handy."
Info:
Nach Angaben des Bundesumweltamtes bewegten sich die Mengen an Verpackungsmüll zwischen 13,6 Millionen Tonnen (1996) und dem bislang höchsten Stand 18,9 Millionen Tonnen im Jahr 2018.
Das sind pro Kopf der Bevölkerung 227,5 Kilogramm Verpackungsabfall. Weiteren Berechnungen zufolge verursacht der Endverbraucher 47 Prozent dieser Menge.
Die Umweltschutzorganisation Nabu hat ermittelt, dass im Jahr 2019 von den 76 Kilo Kunststoffabfällen pro Kopf der Bundesbürger die Hälfte Verpackungsabfall ausmachte.
Das Magazin Enorm, das sich mit Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Fragen befasst, bietet auf seiner Seite eine Liste mit zahlreichen Unverpackt-Läden.