Es waren menschliche Abgründe, in die Dorothee Trynogga nun fast fünf Jahre hineinblicken musste. Priester, die sich an Jugendlichen sexuell vergingen, Ordensschwestern, die Heimkinder schlugen, kirchliche Mitarbeiter, die eine Machtposition ausnutzten. Im Mai 2010, auf dem Höhepunkt der Debatte um Missbrauchsfälle im Bistum Essen, ernannte Bischof Franz-Josef Overbeck die Diplom-Theologin und fünffache Mutter offiziell zur „Bischöflichen Beauftragten für die Prüfung von Vorwürfen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener“. Zum 1. Oktober hat die 51-Jährige ihr Amt nun an ihren Stellvertreter Karl Sarholz übergeben.
Sie selbst möchte über ihre Erfahrungen öffentlich nicht reden, was zu respektieren ist. Ulrich Lota, der Sprecher des Bistums, war aber an Trynoggas Seite bei vielen der Anhörungen von Opfern und Tätern und hat erlebt, wie belastend diese Sitzungen gewesen sind. „Die Schicksale haben mich auch danach nicht losgelassen“, sagt Lota. Schockierend sei vor allem auch das mitunter geringe Unrechtsbewusstsein der Täter gewesen. „Da sind Leute mit einer Chuzpe vorgegangen, die mich schockiert hat.“ Für den Rückzug von Dorothee Trynogga habe es keinen besonderen Anlass gegeben, „aber man kann das nur eine bestimmte Zeit machen.“
In Zahlen sieht es so aus: 159 Hinweise auf Missbrauch hat es in diesen Jahren gegeben. Der Zeitraum betraf die Jahre 1950 bis in die unmittelbare Gegenwart, Schwerpunkt waren laut Lota die Jahre 1960 bis 1980. Genau 88 potenzielle Täter aus dem Bereich des Bistums Essen wurden benannt, darunter 35 Priester und 19 Ordensangehörige, letztere wohl überwiegend aus dem Franz-Sales-Haus.
Von den 88 Beschuldigten waren allerdings bis auf 15 alle verstorben, als ihre möglichen Missetaten ans Licht kamen. Von diesen 15 schließlich kam es in fünf Fällen zu Anklagen der Staatsanwaltschaft und als Folge auch zu Urteilen vor einem Gericht. „Der gravierendste Fall war der eines Bottroper Priesters, der wegen fortgesetzten Missbrauchs zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wurde“, sagt Ulrich Lota. Ansonsten gab es Bewährungsstrafen und in einem Essener Fall einen Strafbefehl.
Franz-Josef Overbeck würdigte die Arbeit von Dorothee Trynogga in seinem Entpflichtungsschreiben und bedankte sich „von Herzen“. Trynogga habe zahlreiche Fälle aufgeklärt und den Opfern sexuellen Missbrauchs geholfen, „ihre schrecklichen Erfahrungen auszusprechen und dadurch Hilfe zu erfahren“, so der Bischof. Er wisse, dass dies für die 51-Jährig oft auch sehr belastend gewesen sei. „Dennoch haben Sie mit Umsicht agiert und gemeinsam mit dem Arbeitsstab alles getan, um die Vielzahl der menschlichen Schicksale gut zu bearbeiten und vor allem die Not der Opfer ganz besonders im Blick gehalten.“ Die Aufgabe des Bischöflichen Beauftragten ist weiterhin eingebunden in einen Beraterstab. Frauen und Männer mit unterschiedlichen Fachkompetenzen sollen Vorwürfe sexueller Gewalt prüfen und dem Bischof Handlungsempfehlungen geben. Auch künftig, so Ulrich Lota, sei dabei eines wichtig: Die Missbrauchs-Beauftragten sollten sich gut auskennen in der Kirche, jedoch nicht hauptberuflich dort tätig sein, sondern unabhängig agieren können.