Essen. Josua Becker war auf Jobsuche, als er den Aushang des Schauspiels las. Seine Rolle in „Rote Erde“ hat sein Leben verändert. Theater ist jetzt seine Leidenschaft
Theater kann Leben verändern. Es kommt nur drauf an, wann sich Theater und Leben begegnen. Bei Josua Becker war es spät, mit Mitte 30, dafür aber umso intensiver. Becker hat die Leidenschaft seines Lebens im Arbeitsamt getroffen. Es war einer dieser Tage, an denen man sich mal wieder wie eine Leiche im Karteikasten fühlt, abgehakt, verwaltet, hoffnungslos. „Ich kam raus und sah diesen Zettel: Statisten gesucht für ,Rote Erde’.“
Hätten „Romeo und Julia“ oder „Amphitryon“ auf dem Zettel gestanden, vielleicht wäre Becker weitergegangen. Aber „Rote Erde“, das war Klaus Emmerichs legendäre Fernseh-Verfilmung, das war ein Teil seiner Kindheit, ein Stück Heimat, ein Signal. „Ich hab da sofort angerufen und vorgesprochen. Am nächsten Tag war ich drin.“ Heute kommen, morgen anfangen. „Das ist genau das, was man sich als Arbeitssuchender wünscht.“
Eine „Explosion an Kreativität“
Viele gefeierte Vorstellungen später kann der Essener sein Glück immer noch nicht fassen. Am kommenden Freitag ist die hoch gelobte Inszenierung von Volker Lösch zum Theatertreffen NRW in Bielefeld eingeladen. „Wir unter den Top-9 der Theater, besser geht nicht“, freut sich der 37-Jährige und ist doch traurig, dass es bald erst mal vorbei ist mit dem Applaus, der großartigen Gemeinschaft, der „Explosion an Kreativität“.
Der 37-Jährige ist einer von zwölf arbeitslosen jungen Männern, die Volker Lösch 2012 für sein Ruhrgebiets-Projekt gecastet hat. Lösch war genau der Typ Theatermacher, den der Essener sich vorgestellt hat. „Der Mann gibt konkrete Ansagen, der hat einfach Eier.“
„Ohne neues Stück wäre ich in ein tiefes Loch gefallen“
Wochenlang haben sie zusammen geprobt, gemeinsame Texte erarbeitet und das chorische Sprechen trainiert. Was Josua Becker dem Publikum von seinen Wünschen, Träumen, Enttäuschungen erzählen will? „Dass man sich trotz aller Anstrengung im Jobcenter irgendwann verloren fühlt. Selbst als Mensch, der noch festen Boden unter den Füßen hat.“
Der Boden ist ihm verrutscht, als seine Firma 2009 nach Gronau umgezogen ist. Elf Jahre hat er da schon im Großhandel gearbeitet, zwar ohne abgeschlossene Ausbildung, „aber alles von der Pike auf gelernt“. Becker wird arbeitslos, schickt x Bewerbungen, jobbt, wo er kann, wird wieder arbeitslos und in die nächste Warteschleife geschickt. Nicht einfach für jemanden, der Organisation und Disziplin zu den Grundfesten zählt.
Seit drei Wochen trainiert der athletische Typ mit der kunstvollen Körperbemalung olympisches Gewichtheben im Verein. Den Sport hat er nicht schleifen lassen, auch nicht während der Proben. Morgens jobben, mittags trainieren, abends Bühne, das hat er durchgezogen. Und den Vorsatz behalten: „Hauptsache weg von Hartz IV.“
Vielleicht klappt es irgendwann im Doppelspiel. Theater und Teilzeitjob, das wäre nicht schlecht. In dieser Woche haben die Proben zu „Macbeth“ angefangen. „Ohne neues Stück wäre ich schon in ein tiefes Loch gefallen.“ Josua Becker kann die Premiere kaum erwarten: „Es kribbelt schon.“