Essen.. Sie sind doch nicht blöd: Auf Zollverein und in der Marktkirche engagieren sich Menschen mit geistiger Behinderung – ein Überbleibsel aus dem Kulturhauptstadtjahr. Ob auf Zollverein, in der Marktkirche oder im Hauptbahnhof bei der Bahnhofsmission: Josef Dahmann ist überall engagiert.



Sich zu engagieren, etwas für andere zu tun und dabei sehr viel Freude zu empfinden – für Josef Dahmann aus Kray ist das eine wertvolle Erfahrung. Denn „aufpassen, dass bloß niemand an die teuren Bilder stößt, mit den Besuchern ins Gespräch kommen und ihnen zu erklären, was darauf zu sehen ist, ja, das alles macht mir wirklich riesig Spaß“, erzählt der 49-Jährige.

Er ist Mitglied einer Gruppe ehrenamtlicher Ausstellungsbegleiter, die die Evangelische Kirche in Essen im Kulturhauptstadtjahr ins Leben gerufen hat und die zum Teil noch immer aktiv ist – in der Arka-Kulturwerkstatt auf Zollverein und in der Marktkirche. Das Besondere daran: In der Gruppe engagieren sich Menschen mit und ohne Handicap. So auch Josef Dahmann. Er hat eine Lernbehinderung.

Ein Teil der Helfer trifft sich in der Arka-Kulturwerkstatt.
Ein Teil der Helfer trifft sich in der Arka-Kulturwerkstatt. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Als die evangelische Kirche 2010 überlegte, wie sie die Öffnungszeiten in der Marktkirche mit der Hilfe von Freiwilligen erweitern könne, hatten Wolfgang Hirsch, synodaler Beauftragter fürs Ehrenamt, und das Behindertenreferat im Kirchenkreis, die „Akti­on Menschenstadt“, eine Idee: Ließen sich die bisher positiven Erfahrungen, die man mit



der Tandem-Arbeit – der partnerschaftlichen Zusammenar­beit von Menschen mit und ohne Handicap in Zweierteams am Ar­beitsplatz – gesammelt hatte, nicht auch fürs ehrenamtliche Engagement in der Kulturarbeit nutzen?

Rasch fanden sich Kunstinteressierte mit und ohne Behinderung, die während der Ausstellungen immer zu zweit Dienst in der Marktkirche taten. Und so ist es bis heute geblieben: Längst hat sich das Projekt zu einem festen Kreis von 13 mal mehr, mal weniger geistig behinderten Helfern entwickelt, die regelmäßig Ausstellungen begleiten. 2011 wurde es auf der zweiten Ökumenischen Tagung zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft als ein besonders gelungenes Beispiel für das Fördern von Inklusion in der Bürger- und Kulturgesellschaft vorgestellt. „Denn für uns gibt es nun mal nicht viele Möglichkeiten sich zu beteiligen und Gutes zu tun. Daher habe ich damals diese einmalige Chance ergriffen“, erinnert sich Dahmann.

Die Helfer zählen die Besucher in der Arka-Kulturwerkstatt.
Die Helfer zählen die Besucher in der Arka-Kulturwerkstatt. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Unter der Woche arbeitet er bei der Gesellschaft für Soziale Dienstleistungen in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Und freut sich schon aufs Wochenende, denn dann ist er mindestens einmal im Monat an der Reihe. „Es ist für uns entlastend zu



wissen, dass jemand in der Ausstellung ist, der aufpasst und unsere Besucher herumführt“, sagt Arka-Mitgründerin Susanne Faber. Die Arka-Kulturwerkstatt ist ein Zusammenschluss elf bildender Künstler. Seit 30 Jahren bietet der Verein Ausstellungen und Kurse an und engagiert sich in den Bereichen Bildung, Kunst und Kultur in der Stadt.

Ein echter Tausendsassa



Immer vor neuen Ausstellungen lädt Michael Siewert, einer der Künstler von Arka, alle Helfer ein und erklärt ihnen die Werke. So bei der „Auslese 2013“, die Ausstellung der Arka-Mitglieder, die noch bis zum 2. Februar zu sehen ist. Einmal in den Dienstplan eingetragen, versuchen die Helfer natürlich ihn einzuhalten.

Josef Dahmann hilft den Besuchern weiter.
Josef Dahmann hilft den Besuchern weiter. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Mittlerweile ist Josef Dahmann innerhalb der Gruppe der geistig behinderten Ausstellungsbegleiter ein wichtiger Ansprechpartner. „Denn er ist in die Rolle des Organisators geschlüpft“, sagt Wolfgang Hirsch. Falls jemand kurzfristig erkrankt oder aus anderen Gründen seinen Dienst absagen muss, ist es Josef Dahmann, der



telefonisch nach Ersatz sucht oder im Zweifel sogar selbst einspringt. Außerdem ist er der einzige Helfer, der nicht mehr im Tandem arbeiten muss, sondern seinen Dienst allein versehen kann.

Seit November ist Dahmann ebenfalls im Team der Bahnhofsmissi­on am Hauptbahnhof engagiert – in ei­nem weiteren Tandem-Projekt. Alle zwei Wochen hilft er gemeinsam mit seinem Tandempartner ohne Handicap ratsuchenden Reisenden weiter. „Wir haben schon mal einer blinden Frau beim Gleiswechsel geholfen, da sie nicht wusste, wo ihr Zug abfährt“, sagt Dahmann und betont: „Ich bin gerne hilfsbereit, das ist meine Natur. Schon meine Mutter hat sich ehrenamtlich gearbeitet, damals als sie noch jung war.“ Dass es dieses bisher einmalige Projekt überhaupt gibt, ist dem Tausendsassa ebenfalls zu verdanken. Denn er hatte die Initiative.

Ganz schön ökumenisch

 Josef Dahmann und Shirin Ghoreishi.
Josef Dahmann und Shirin Ghoreishi. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Bei der schon erwähnten Ökumenischen Tagung war der Krayer als Helfer mit von der Partie. Beim Frühstück kam der Krayer – ganz im Sinne der Ökumene – mit der katholischen Geschäftsführerin der Bahnhofsmissionen, Gisela Sauter-Ackermann, ins



Gespräch und begeisterte sie von der Tandem-Idee. Dennoch: Mitstreiter fürs Ehrenamt konnte er un­ter seinen Kollegen in der Werkstatt bislang nicht finden. „Sie schauen in der Zeit lieber Fußball.“ An seinem Engagement ändert das nichts.

Ein Pilotprojekt: Bahnhofsmission „inklusiv“

„Jeder Mensch ist einzigartig und besonders. Das gilt auch für unsere Helfer.“ – Unter diesem Titel hat die Bahnhofsmission am Essener Hauptbahnhof jüngst ihr deutschlandweit einmaliges Projekt „Bahnhofsmission inklusiv“ gestartet. Die Idee: Menschen mit und ohne Behinderung helfen gemeinsam den Leuten am Bahnhof.

Das Pilotprojekt soll Menschen mit Handicap die Chance geben, sich einzubringen: Sie erfahren neue Horizonte, Wertschätzung und Bedeutsamkeit.

Die Bahnhofsmission und das evangelische Behindertenreferat in Essen haben die Idee zusammen entwickelt: Tandem-Teams aus Ehrenamtlichen mit und ohne Behinderung stehen den Reisenden mit Rat und Tat zur Seite, helfen beim Umsteigen und Orientieren. Ziel ist es, dieses Projekt künftig auf weitere Bahnhofsmissionen in Deutschland auszuweiten.

Mehr Infos gibt’s unter www.aktion-menschenstadt.de, auf www.bahnhofsmission-essen.de und unter www.arka-kulturwerkstatt.de.