Essen. Casting für “Frankenstein“ im Schauspiel Essen: Mehr als 50 Bewerber wollen als nackte Leiche auf die Theaterbühne. Aber ausziehen muss sich beim ersten Termin niemand.

Hans-Peter hat die Generalprobe am Abend vorher unter den strengen Augen seiner Verlobten Nicole absolviert. „Wir haben das Stillliegen noch mal geübt“, erklärt die 42-Jährige. Und zwar unter den härtesten Herausforderungen, sogar mit Fußkitzeln. Was nützt die schönste geschminkte Leiche schließlich, wenn sie beim ersten Fliegenkrabbeln am großen Zeh doch zu kichern beginnt.

Regisseur Gustav Rueb erklärt den Statisten das Casting.
Regisseur Gustav Rueb erklärt den Statisten das Casting. © WAZ | WAZ

Nun ist der Tag gekommen, an dem sich das Probe-Liegen und die zwei Jahre privater Schauspiel-Unterricht auszahlen sollen. „Mein Lehrer hat mir geraten, mich hier zu bewerben“, sagt Hans-Peter. Der 43-jährige Solinger ist einer von mehr als 50 Bewerbern, die zum Frankenstein-Casting des Schauspiel Essen gekommen sind. Gesucht werden zwei Männer und eine Frau, dazu jeweils eine „Ersatz“-Leiche. Die Rollen-Beschreibung für die angehenden Statisten ist rasch erklärt: Sie soll gewissermaßen das „Arbeitsmaterial“ für Mister Frankenstein und seine monströse Bastelstunde hergeben. In zwei bis drei Szenen werden sie ab September zu sehen sein und nackt in den Bühnen-Regalen liegen. Kühlfächer gibt es nicht, enttäuscht Regisseur Gustav Rueb mögliche „Tatort“-Erwartungen. Und „nackt an der Rampe Pirouetten tanzen“ muss hier auch keiner, beruhigt der Theatermacher.

Glücksunterwäsche bekommt an diesem Abend niemand zu sehen

Tot und nackt zu sein, das scheint zumindest auf kurze Sicht für alle Anwesenden kein Problem zu werden. „Ist ja für die Kunst“, sagt Dustin (21), der auch schon privaten Schauspiel-Unterricht genommen hat und an diesem Abend sein erstes Theater-Casting absolviert. „Frankenstein, das ist ein Ritterschlag“, pflichtet Michael (45) bei, der bereits im Bürgerprojekt „Pornoladen“ auf der Bühne stand und am Ende auch zu den fünf Auserwählten für „Frankenstein“ gehört. Und Markus (45) hat im Urlaub schon auf so vielen Club-Animations-Bühnen Erfahrungen gesammelt, dass er sich auch für die Position als Leiche gewappnet fühlt. Nur, was muss man als Toter am Theater so tun?

Manche haben sich zur Vorbereitung ein paar Zombie-Filme angesehen und ruckeln und zuckeln nun wie Michael Jacksons „Thriller“-Tänzer über die Bühne. Andere haben extra ihre Glücks-Unterwäsche angezogen, wie die 24-jährige Sabrina. Aber ausziehen muss sich an diesem Abend niemand. Gustav Rueb hat für ganz andere Dinge Augen. „Mich interessiert vor allem das Gesicht“, sagt der Theatermacher, der „Frankenstein“ am 19. September im Grillo als deutschsprachige Erstaufführung auf die Bühne bringt. Auch wandelnde Leichen müssen auf der Bühne schließlich Ausdruck haben. Dann geht es natürlich auch um ein gutes Körpergefühl und die Fähigkeit, Ideen schnell umzusetzen.

Keine Casting-Häme à la Bohlen

Die fixe Auffassungsgabe kann beim Casting gleich bewiesen werden. Rueb teilt die Bewerber dafür zunächst in Gruppen ein. Vier bei den Frauen, fünf bei den Männern. Die gestellte Aufgabe scheint lösbar. Erst mal hinlegen und mit dem Oberkörper nach oben kommen. Ohne Arme. Wer das Bauchmuskeltraining hat schleifen lassen, sieht an dieser Stelle schon mal schlecht aus.

Dann den Kopf nach rechts drehen, laaaangsam hochkommen und auf den Regietisch zugehen. „So als wäre das Hirn schon raus. Ganz leer. Einfach nur gehen“, lautet die Anweisung.

Nach der ersten Sichtungs-Runde ist der Bewerberkreis auf ein Dutzend geschrumpft. Es gibt ein paar enttäuschte Gesichter, Schulterzucken, aber keine Casting-Häme à la Bohlen, sondern viel Kollektivlob. „Ich entschuldige mich jetzt schon bei allen, die den Job nicht bekommen“, sagt Rueb. Und ermuntert gleich zum Weitermachen. „Gerade in der Oper werden immer wieder Statisten gesucht. Auch angezogen.“