Essen-Werden. Der unheilbar kranke Conrad Schlimm verbringt die letzten Tage seines Lebens im Hospiz. Warum es für den früheren Kirchbaumeister ein Zuhause ist.

Conrad Schlimm hat 2013 eine Krebserkrankung überstanden. Aber die heimtückische Krankheit hat erneut zugeschlagen. Der Krebs sei zu weit fortgeschritten und Therapien würden mehr nicht greifen, so die Ärzte. Der ehemalige Kirchbaumeister der evangelischen Gemeinde Werden hat sich für das nahe Hospiz als letzte Station im Leben entschieden.

„Ich habe sieben schöne Jahre gehabt“, sagt Conrad Schlimm. Dann kam der Rückschlag. Im Januar tat ihm die Wirbelsäule weh. „Ich werde alt“, dachte der Werdener. Und flog nach Mallorca, um dort seinen 80. Geburtstag zu feiern. Mit seiner Frau Sybille, den Töchtern, den Schwiegersöhnen. Kurz vor Ostern wurden die Schmerzen schlimmer.

Kurz darauf lag Schlimm im Krankenhaus und wurde vom Arzt damit konfrontiert, dass Krebs an der Wirbelsäule sitze und gestreut habe. Dass er bald sterben werde: „Da habe ich die Familie zusammengetrommelt und wir haben ernsthaft gesprochen.“

Die Endgültigkeit der Entscheidung hat ihn selbst überrascht

Das christliche Hospiz an der Dudenstraße in Essen-Werden.
Das christliche Hospiz an der Dudenstraße in Essen-Werden. © Unbekannt | Julia Tillmann


Dreckig ging es ihm im Krankenhaus, sein Bettnachbar Michael habe Empathie gezeigt und ihm geholfen. Gemeinsam mit seiner Frau hatte Schlimm aber schon vor langer Zeit beschlossen: „Wir wollen das Leben verlassen, wie wir uns das vorstellen.“ Und nicht an Apparate angeschlossen, die das Leben qualvoll verlängern.

Dann kam der Moment und der Krankenwagenfahrer fragte: „Wohin sollen wir Sie bringen?“ Conrad Schlimm blickt jetzt ganz fest: „Da wurde es konkret.“ Er habe ganz nüchtern überlegt und dann gesagt: „Ins Hospiz. Nach Hause möchte ich nicht.“ Erst später habe er gemerkt, wie sehr diese Endgültigkeit seine Frau getroffen habe.

Die Hospizbewegung sieht das Sterben als Teil des Lebens

Die Schulmedizin hatte ihre Chance bekommen, nun gab Schlimm sich in die Hände der Palliativmedizin: „Die behandeln dich zu deinem Wohlsein, vielleicht sogar gegen deine Lebensdauer.“


Die letzten Schritte des Lebens fallen schwer. Dem Sterbenden, seinen Angehörigen, auch dem betreuenden Personal. Die Hospizbewegung gibt eine Antwort. Sie sieht das Sterben als Teil des Lebens. Sie möchte den letzten Weg mitgehen, Trost spenden, helfend zur Seite stehen, sich angesichts der Endgültigkeit auch ihre eigene Hilflosigkeit eingestehen. Conrad Schlimm sitzt in der ehemaligen Klosterkapelle. Die farbigen Fenster streuen buntes Licht in den Raum. Sein Verhältnis zum Tod? „Es ist eine seltsame Mischung. Angst habe ich keine.“

Der Handyklingelton ist „Spiel mir das Lied vom Tod“

Es gibt Momente, in denen Schlimm sein nahendes Ende mit Humor nimmt. Er verschenkt reihenweise Bücher eines englischen Autors mit skurrilen Geschichten, natürlich mit persönlicher Widmung. Sein Handyklingelton ist „Spiel mir das Lied vom Tod“. Den Motorsportfreunden hat er geschrieben: „Ich habe einen krachenden Kolbenfresser. Der führt zum Exit. Aber ich gehe mit Vollgas in ein anderes Leben.“


Mit einem Gottesdienst wird er sich von seiner geliebten evangelischen Kirche verabschieden. Dort war Conrad Schlimm überaus aktiv, unter anderem als Baukirchenrat und Kirchenführer. Seine Fenster im Hospiz gehen auf das markante Backsteingebäude. Die Töchter hatten heimlich ein Open-Air-Konzert im Kirchpark organisiert, dazu Blechbläser der Folkwang Universität eingeladen. Professor Chris Holding sei ein guter Freund: „Einer der weltbesten Posaunisten. Er hat eigens ein Stück für mich komponiert.“ Schlimm stand am Fenster und lauschte den Klängen: „Da sind mir die Tränen gelaufen.“

Sein Zuhause ist jetzt das Hospiz, dort fühlt er sich geborgen

Seine Töchter haben Conrad Schlimm ein Tablet geschenkt, n dem er seine Eindrücke notiert.
Seine Töchter haben Conrad Schlimm ein Tablet geschenkt, n dem er seine Eindrücke notiert. © Unbekannt | Kerstin Kokoska


Seit er ins Hospiz gekommen ist, sind bereits vier Menschen gestorben. Anderseits ging es einer Frau so gut, dass sie wieder nach Hause durfte. Am Wochenende war Schlimm bei sich daheim und musste ernüchtert feststellen: „Mein Zuhause ist jetzt im Hospiz. Hier bin ich geborgen.“ Er lebe nun völlig im Moment und versuche, seine Gedanken zu sortieren: „Du komprimierst deinen Tag.“

Die Töchter haben ihm ein Tablet geschenkt, in dem er seine Eindrücke notiert. Dinge, die er unbedingt noch klären muss. Abschied von der Familie hat er genommen. Besuch kommt, alte Freunde. Es ergeben sich gute Gespräche: „Ich bin mitten im Leben.“ Jetzt sei die Zeit, alles noch zu bereinigen. Er stelle dann oft die ultimative Frage: „Ist noch etwas zwischen uns, das geklärt werden muss?“

Es darf gelacht werden. Warum denn auch nicht?

Schlimm möchte über das Hospiz reden: „Da wird so mitunter dummes Zeugs verbreitet.“ Die Atmosphäre im Haus sei eine ganz eigene: „Sie macht mich friedlich und nachdenklich zugleich.“ Hier muss man nicht flüstern oder auf Zehenspitzen durch die Gänge schleichen. Es darf gelacht werden. Warum denn auch nicht? Er führe tiefgründige Gespräche mit dem Pflegepersonal.

Er habe eine Verlängerung bekommen und genieße seine letzten Tage in vollen Zügen: „Die Ärzte hatten mir nur noch ganz kurz gegeben. Inzwischen bringe ich alle zum Erstaunen. Habe zugenommen und wieder zu Leben gefunden.“

Das Pflegepersonal kennt Eigenheiten der Gäste und ihre Wünsche

Das aber trotzdem bald zu Ende geht: „Der Krebs wird mich innerlich auffressen. Im Krankenhaus hat es gemein wehgetan. Jetzt spüre ich keine Schmerzen.“ Manchmal sei er müde, so wie gestern Abend: „Ich wollte keinen mehr sehen. Da wurde ich ins Bett gebracht und genauso hingelegt, dass ich mich einkuscheln konnte. Die Schwester hat mich getätschelt. Fand ich gut. Ich habe geschlafen wie ein Baby.“

Er lobt das Pflegepersonal: „Bei Schichtwechsel registriert man, wie geschafft die sind.“ Aber alle täten ihre Arbeit gern. Alles sei miteinander verzahnt und die Wünsche der Gäste würden erfüllt. „Nicht einer hat Routine oder gar Langeweile signalisiert. Schon nach kurzer Zeit waren meine Eigenheiten bekannt.“ Da hocke sich eine Krankenschwester zu ihm und wolle wissen, wie er mit seiner Situation umgehe. Der Palliativarzt sage: „Erzählen Sie mir bitte alles.“ Er hörte zu.

Conrad Schlimm hat verblüfft festgestellt: „Ich bin hier als Mensch interessant. Ich darf mich so verhalten, dass es mir gut geht.“ Besonders fürs Frühstück nehme er sich Zeit, trinke Unmengen Kaffee und bekomme genau den Aufschnitt, den er mag. Apropos, wäre nicht längst Mittagessenszeit? Schlimm lächelt entwaffnend: „Keine Sorge, die richten sich hier nach mir.“


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