Essen.. Der geplante Campus gefährdet offenbar den Welterbe-Status. Platzt das Projekt, wären auch die über 1000 versprochenen Arbeitsplätze futsch.
Das geplante Gründerzentrum „Campus Zollverein“ auf dem Welterbe-Gelände gilt als eines der ehrgeizigsten Ansiedlungsvorhaben der letzten Jahrzehnte. Die 50-Millionen-Euro-Investition verspricht, 1500 bis 2000 hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen. Eigentlich hatte der Berliner Investor Reinhard Müller („Euref Campus“) schon im vergangenen Sommer loslegen wollen. Doch Bagger, Raupen und Kräne sind immer noch nicht in Sicht. Und möglicherweise wird auch in diesem Jahr nichts mehr passieren auf dem alten Kokereigelände. Deshalb stellt sich sogar die besorgniserregende Frage, ob das Prestigeprojekt zwischen Gasometer, Gasfackel und Kühltürmen überhaupt jemals verwirklicht wird.
Fest steht, dass das komplexe Genehmigungsverfahren arg ins Stocken geraten ist. Ein Prozess, an dem zahlreiche Akteure beteiligt sind: darunter die Stadt Essen als Genehmigungsbehörde, die RAG-Stiftung, die Zollverein-Stiftung und das Land NRW als Grundstückseigentümer, die Unesco in Paris als Hüterin des Welterbes, die ansiedlungswilligen Unternehmen und natürlich der Investor selbst. Akteure mit zum Teil gegensätzlichen Interessen.
Nervosität und Gereiztheit statt Aufbruchstimmung
Wer sich zurzeit in Sachen „Campus Zollverein“ umhört, spürt sofort: Wo 2017 noch Aufbruchstimmung und Optimismus war, herrschen nun Nervosität, Verunsicherung und eine verstörende Gereiztheit. Einige, so scheint es, bereiten sich schon auf das Schwarze-Peter-Spiel vor, auf die Suche nach dem Schuldigen für den Fall des Scheiterns.
Ausgerechnet Hans-Peter Noll, der neue Vorstandschef der Stiftung Zollverein, drückt überraschend auf die Bremse. Noll, der an der Spitze der RAG-Montan-Immobilien zahlreiche Zechenbrachen in Industriegebiete und blühende Gewerbeparks verwandelt hat, gilt an sich als unternehmerfreundlich. Er war es auch, der das Projekt maßgeblich mit angeschoben und hohe Erwartungen geweckt hat. Doch auf der Bilanz-Pressekonferenz sagte er kürzlich: „Es stellt sich die Frage, ob das Campus-Projekt welterbeverträglich ist.“ Und ergänzte: „Egal, was geschieht, es darf an keiner Stelle den Welterbe-Status von Zollverein gefährden.“ Ein Satz, der als Kniefall vor den Denkmalschützern und als persönliche Niederlage gedeutet werden darf.
Das 100 Hektar große Zollverein-Areal, seit 2001 Welterbe der Unesco, fügte er hinzu, sei eben „kein normales Industriegebiet“. Es stelle sich jetzt die grundsätzliche Frage, „wie und ob wir den Campus genehmigt bekommen“.
Denkmalexperten nennen Campus „eine riskante Investition“
Schon im vergangenen Frühjahr hatten Experten von Icomos, der Berater-Organisation der Unesco, warnend den Zeigefinger gehoben. Denn für sie ist der Campus ganz klar „eine riskante Investition“. Die geplanten Baumaßnahmen, so ihre Sorge, könnte die historische Bausubstanz des Welterbes, insbesondere die Kokerei, zur bloßen Kulisse degradieren. Eine Aberkennung des Welterbe-Status will jedoch niemand riskieren, nicht der Investor und erst recht nicht die Stiftung.
Zollverein-Chef Noll kündigte jetzt an, dass sich die in Paris ansässige Unesco nun selbst über das Campus-Projekt beugen werde: „Von der Unesco beauftragte Experten werden ein Gutachten erstellen und eine Empfehlung aussprechen.“ Das Unesco-Komitee in Paris muss immer dann unterrichtet werden, wenn bei einem Welterbe erhebliche Wiederherstellungs- und Neubaumaßnahmen „Auswirkungen auf den universellen Wert des Gutes haben können“. Um zu einem möglichst objektiven Ergebnis zu kommen, wird Paris ausländische Experten nach Zollverein entsenden.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Reinhard Müller, der Investor, hinter den Kulissen mächtig Druck macht. Denn die Zeit drängt. Aus nachvollziehbaren Gründen: Je länger sich sein Zollverein-Projekt in die Länge zieht, desto größer die Gefahr, dass wichtige Unternehmen abspringen und das Projekt als Ganzes gefährden. Ein alarmierendes Zeichen: Die Absichtserklärung („Letter of interest“) zwischen den Euref-Leuten und der Stiftung ist offenbar schon am 31. Dezember 2018 ausgelaufen.
Elektrotechnik-Riese Schneider Electric gilt als Interessent
Als einer der Schlüssel-Investoren auf Zollverein gilt die Deutschland-Tochter des renommierten französischen Elektrotechnik-Riesen „Schneider Electric“ (144.000 Mitarbeiter). Der weltweit führende Spezialist für Energiemanagement will offenbar den Standort Ratingen aufgeben und nach Essen ziehen. Schon auf Reinhard Müllers Euref-Campus in Berlin, dem erfolgreichen Vorbild für den Zollverein-Campus, zählt Schneider Electric zu den Hauptmietern.
Auf dem Campus Zollverein will Müller 14 innovative Unternehmen aus den Sparten Energiewende, Umweltschutz und Mobilität ansiedeln. Der Hauptmieter mit allein 500 Arbeitsplätzen soll in den u-förmigen Neubau direkt neben der RAG- Zentrale ziehen. Auffällig am „U“: Die Pläne weichen voneinander ab. Zuerst hatte das Gebäude drei Geschosse, jetzt sind es stellenweise vier. Und: Der Baukörper wird in den Plänen häufiger hin und her gedreht.
Reinhard Müller ist ungeduldig und erinnert daran, dass er schon seit drei Jahren an dem Zollverein-Campus arbeite und in dieser Zeit erhebliche Finanzmittel investiert habe. Er betont: „Die Firmen, die sich auf Zollverein ansiedeln wollen, brauchen Planungssicherheit.“
Der Campus Zollverein
- Auf der Expo-Real im vergangenen Herbst in München hat Reinhard Müller vom Europäischen Energieforum (Euref) 2000 neue Jobs auf Zollverein angekündigt. Zuerst war von 500, dann von 1000 die Rede.
- „Wir wollen auf Zollverein ein Reallabor für die Energie- und Mobilitätswende schaffen“, sagte Müller. Das Kokerei-Areal sei ein „Zukunftsstandort für Unternehmen aus den Bereichen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Energie“.
- Markus Masuth, Chef von RAG Montan Immobilien, sagte in München: „Der Euref-Campus Zollverein ist ein weiterer bedeutender Schritt, das Unesco-Welterbe wirtschaftlich aufzuwerten. Es bietet jungen Menschen aus dem Ruhrgebiet und darüber hinaus einen idealen Startplatz für berufliche und unternehmerische Karrieren.“