Essen-Fischlaken.. Die Kleiderkammer in der Fischlaker Erstaufnahmeeinrichtung wird von Ehrenamtlern betrieben. Derzeit herrscht Knappheit an Kinder- und Wintersachen.


Ulla Dressler ist nun wirklich keine Frau, die sich schnell entmutigen lässt. Doch ihr Blick ist skeptisch. Die engagierte Fischlakerin schaut sich um in der Kleiderkammer im Verwaltungstrakt der Erstaufnahmeeinrichtung. „Ob wir das hier hinkriegen? Der Winter hat noch gar nicht begonnen und es wird jetzt schon knapp. Lösungen habe ich auch keine parat. Die Werdener Bevölkerung müsste sich mehr ihrer Verantwortung bewusst sein. Aber vielleicht möchte man nichts mehr von Flüchtlingen hören?“

Kleiderausgabe ist von 16 bis 18 Uhr. In kleinen Gruppen werden Asylbewerber eingelassen. Sprachliche Hürden spielen eher keine Rolle, viele können Englisch oder Französisch, die Sozialbetreuer dolmetschen. Ansonsten hilft man sich mit Händen und Füßen, nutzt Piktogramme. Die Bewohner dürfen nur einmal in die Kleiderkammer, der Besuch dort wird auf dem Hausausweis vermerkt. Noch sind die Regale gefüllt, noch stapeln sich im Lagerraum die Kartons. Eva Broll kennt sich dort mittlerweile besser aus als in ihrer Westentasche: „Wir haben wie die Weltmeister ausgepackt und einsortiert. Doch die Regale leeren sich schon wieder.“ Was fehlt denn konkret? Wie aus der Pistole geschossen kommt die Antwort: „Die Größen 56, 62 und 68. Wir stellen Erstausstattungen als Päckchen zusammen, damit die Mütter alles haben, was man für Babys so braucht. In Anbetracht der Jahreszeit zählt Eva Broll auf: „Unbedingt warme Sachen, Mützen, Schneeanzüge. Ein dünner Strampler reicht bei diesen Temperaturen nicht mehr aus.“

Sarah Cramer vom Betreiber European Homecare ist Koordinatorin für Ehrenamtliche, hier im Lageraum der Kleiderkammer.
Sarah Cramer vom Betreiber European Homecare ist Koordinatorin für Ehrenamtliche, hier im Lageraum der Kleiderkammer. © Heinz-Werner Rieck | FUNKE Foto Services

Klaus Schräder versucht derweil, einem jungen Afrikaner eine warme Jacke anzubieten. Der „Kunde“ zögert. Chic und modern ist anders. Der Ehrenamtliche probiert es mit seinem breitesten Grinsen: „Die müssen wir ihm wohl erst noch schmackhaft machen…“





Dann ist eine kurdische Familie an der Reihe. Der Sohn blickt auf seine Schuhe. Sie sind vorne aufgeplatzt, die Zehen gucken raus. Christiane Scheidtmann muss schlucken: „Tut mir leid!“ Der Kleine hat Schuhgröße 36, doch nirgends sind die richtigen wetterfesten Schuhe zu finden. Solch eine ausschließlich durch Spenden bestückte Kleiderkammer stößt eben schnell an Grenzen. Hier stehen Menschen in Not, die im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr haben als die Kleider, die sie am Leibe tragen. Kurzerhand beschließt Christiane Scheidtmann, es mit Größe 38 zu versuchen. Kinder wachsen doch so schnell, solange muss er halt dicke Socken anziehen. Geht doch. „Warte mal, hier der Pullover, der passt doch wie angegossen!“ Für die Mutter wird noch der passende Schal hervorgezaubert. Der Vater verneigt sich höflich, eine glückliche und dankbare Familie zieht von dannen. Das Team strahlt, oft sind es die ganz kleinen „Erfolge“, die Freude bereiten.

Sammelaktion am 6. November

Dabei ist die psychische Belastung nicht wegzudiskutieren, das verschweigt keiner: „Ich musste mir im Sommer eine Auszeit nahmen. Der Trubel hatte mich geschafft, ich wurde richtiggehend aggressiv. Doch jetzt geht es wieder.“ Der Ansturm ist bewältigt, endlich ist Zeit, kurz zu verschnaufen. Klaus Schräder lächelt: „Man muss entspannt bleiben.“ Doch die drohende Knappheit gerade an Kinder- und Wintersachen treibt die Ehrenamtlichen um. Die verteilte Menge ist schon jetzt enorm, noch viel mehr Kleidung wird gebraucht: „Wir alle haben schon Verwandtschaft, Bekannte und Nachbarn abgeklappert.“ Ulla Dressler: „Das wird aber nicht reichen. Wenn jeder Kindergarten, jede Schule, jeder Verein in Werden einmal im Jahr eine Sammelaktion starten würde, das würde uns um einiges weiterbringen.“

Das Kleiderkammer-Team hat etwa 20 Helfer und freut sich immer über Ehrenamtliche, die mit anpacken möchten. Interessierte können sich direkt bei der Mareike Limper melden, die unter mareike@maxlimper.de zu erreichen ist. Am Sonntag, 6. November, findet die nächste Sammelaktion von „Werden hilft“ im großen Saal der Jonagemeinde statt.

Die Ehrenamtskoordinatorin

Wenn die ehrenamtlichen Helfer von den Freuden, aber auch der psychischen Belastung sprechen, hört Sarah Cramer ganz aufmerksam zu. Die Ehrenamtskoordinatorin des Betreibers European Homecare ist mächtig stolz auf die Helfer in der Kleiderkammer, hat aber auch deren Wohl im Blick: „Keiner soll sich übernehmen, etwa das Gefühl bekommen, ohne ihn gehe es nicht. Das Privatleben und die Gesundheit gehen vor. Gerne können Menschen Verantwortung übernehmen, sollen aber dabei immer beachten, was für sie selbst das Beste ist.“

Sarah Cramer ist unter cramer@eu-homecare.com erreichbar, führt zunächst Gespräche: „Wo liegen die Interessen, wo die Fähigkeiten? Wie ist das mit der zeitlichen Verfügbarkeit? Im Prinzip können alle mit ihren Ideen zu mir kommen, gerade bei der Freizeitgestaltung ist noch Luft nach oben. Dann müssen wir gemeinsam sehen, ob diese Ideen im Rahmen unserer Möglichkeiten durchführbar sind.“

Die ehrenamtlichen Helfer werden in einer Liste erfasst, müssen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, eine Ehrenamtscharta unterschreiben. Dann steht dem Einsatz in der Einrichtung nichts mehr im Wege. Ein durchaus lohnender Einsatz, wie Sarah Cramer weiß: „Ehrenamt macht Spaß!“

Der Einrichtungsleiter

Die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Fischlaken gilt als gutes Beispiel einer menschenwürdigen Unterbringung von Flüchtlingen. Menschen, die auch nachts, oft ohne jede Habe, nur mit dem Nötigsten am Körper, vor der Tür stehen. Jan-Christoph Schaberick von der Bezirksregierung Düsseldorf ist Leiter der EAE: „Es ist alles sehr effizient gebaut. Wir können hier sehr gut arbeiten.“

Die für bis zu 800 Menschen ausgelegte Einrichtung empfängt die Flüchtlinge, die im Schnitt sieben Tage in Fischlaken bleiben. Hier werden sie von Ärzten untersucht, geröntgt, geimpft, durch die Stadt Essen fürs Land NRW registriert, Fingerabdrücke werden genommen, dann können sie beim Bundesamt vorsprechen.

Klingt alles sehr bürokratisch. Doch der „Verwaltungsmensch“ Schaberick ist sehr um „seine“ Leute bemüht: „Wir haben hier ein Gewaltschutzkonzept eingeführt, es gibt räumliche Trennungen. Das und die ruhige Atmosphäre hier in Fischlaken tragen dazu bei, dass es friedlich bleibt.“ Der Einrichtungsleiter hat auch seine Familie schon mit der Sorge um die Flüchtlinge „infiziert“ und grinst: „Meine Mama strickt ganz eifrig Babysöckchen. Die bringe ich dann immer mit.“