Essen. Das IT-Unternehmen hat die Duz-Kultur eingeführt. Chef Mark Steinbach erklärt, was das für Vorteile bringt und warum er dennoch Bedenken hatte.
Das Essener IT-Unternehmen Opta data ist einen in der deutschen Wirtschaftswelt eher ungewöhnlichen Weg gegangen. Seit Oktober duzen sich alle 2500 Mitarbeiter der Gruppe – vom Azubi bis zum Chef. Im Interview mit Janet Lindgens erklärt Geschäftsführer Mark Steinbach, warum er sich trotz anfänglicher Bedenken zu diesem Schritt entschlossen hat.
Herr Steinbach, wann hat sie zuletzt ein Azubi im Fahrstuhl geduzt?
Lassen Sie mich überlegen. Das ist schon ein paar Wochen her.
Wie fühlen Sie sich als Chef dabei?
Ich freue mich, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Mut dazu haben und das sehr ungezwungen passiert. Denn etwas Überwindung kostet das wahrscheinlich schon. Was ich generell feststelle: Die jüngeren Kollegen und Kolleginnen haben am wenigsten Probleme mit unserer Duz-Kultur. Den Älteren dagegen, die schon sehr lange bei uns sind, fällt es tendenziell schwerer, mit dem Du auf mich zuzukommen. Das ist auch verständlich, wenn man sich viele Jahre gesiezt hat.
Warum haben Sie sich als Chef dafür entschieden, allen Mitarbeitern das Du anzubieten?
Es stimmt zwar, dass ich als Chef allen das Du anbiete, aber gleichzeitig bieten wir uns alle gegenseitig das Du an. Die Idee stammt im Übrigen nicht von mir, sondern ist ein Anstoß, der aus der Mitarbeiterschaft kommt. Wir haben Ende letzten Jahres unseren Transformationsprozess „hello future“ aufgesetzt, in dem wir uns zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern intensiv mit der Zukunft unserer Unternehmensgruppe auseinandergesetzt haben. Darin ging es unter anderem auch sehr stark um das Thema Unternehmenskultur. Aus dieser Arbeitsgruppe heraus ist die Idee entstanden.
Die Mitarbeiter haben sich also selbst gewünscht, dass der Chef sie duzt. Waren Sie gleich begeistert?
Zugegeben nein, nicht direkt. Ich musste das erst einmal durchdenken und sacken lassen. Denn das ist ja eine sehr weitreichende Entscheidung, die man nicht einfach wieder zurückdrehen kann. Wir haben zunächst intensiv die Vor- und Nachteile diskutiert und gegeneinander abgewogen.
Was hat Sie dann letztlich überzeugt?
Viele unserer Kolleginnen und Kollegen registrieren sehr genau, wer geduzt wird und wer gesiezt wird. Das hatte eine andere Befragung gezeigt, die zufällig kurz zuvor gelaufen war. Für mich war dieses Ergebnis überraschend, denn ich hatte das bis dahin so nicht wahrgenommen. Aber offensichtlich machen sich die Mitarbeiter Gedanken darüber, wenn jemand erst zwei Jahre da ist und vom Vorgesetzten schon geduzt wird und ein anderer, der schon wesentlich länger zum Unternehmen gehört, aber noch gesiezt wird. Das ist etwas, was wir nicht wollen. Mit der Duz-Form bringen wir alle auf eine Ebene im Umgang und der Wertschätzung untereinander.
Welche Bedenken haben Sie über Bord geworfen?
Ich hatte mir die Frage gestellt, ob man damit dem Persönlichkeitsempfinden jedes Einzelnen gerecht wird. Ob das vielleicht zu übergriffig ist, wenn man Menschen, die man selbst gar nicht so gut kennt, auf einmal duzt. Und was das mit der Organisation generell macht. Letztendlich aber haben wir uns ja dafür entschieden, das Duzen freiwillig einzuführen. Wenn jemand damit nicht klarkommt, dann bleiben wir auch beim Sie.
Gibt es solche Fälle, dass Mitarbeiter, das Du ablehnen?
Meines Wissens nach ist das noch nicht passiert.
Ganz praktisch gefragt, wenn ein Mitarbeiter Sie siezt, duzen Sie ihn dann trotzdem?
Das hat es bislang noch nicht gegeben, dass mich ein Mitarbeiter weiter gesiezt hat. Es kommt vor, dass es beim ersten Zusammentreffen gewohnheitsbedingt noch passiert, dass mich jemand mit Sie anspricht. Dem- oder Derjenigen biete ich dann an, ob wir uns nicht duzen wollen. Solche Gespräche gehen dann meistens in heiteres Lachen über und dann geht es harmonisch ins Du über.
Vielleicht traut sich mancher auch nicht, Ihnen gegenüber das Du abzulehnen.
Das kann sein, aber wir prägen in der Unternehmensgruppe einen offenen Umgang miteinander. Uns ist es wichtig, dass die Menschen Dinge auch gegenüber Vorgesetzten offen ansprechen. Das ist ein Lernprozess, den wir bedingungslos fördern.
Sind Sie auch schon von Mitarbeitern an das Du erinnert worden?
Ja, aber ganz selten. Ich habe das recht schnell verinnerlicht. Dazu muss man aber auch wissen, dass es bei uns schon vorher eine sehr ausgeprägte Duz-Kultur im Unternehmen gab.
Welche Erfahrungen haben Sie mit der Duz-Kultur nach drei Monaten bereits gemacht?
Viele Positive. Das lässt sich natürlich nicht an Zahlen messen. Aber das Feedback, das wir bislang aus der Belegschaft bekommen, ist positiv. Ich habe das Gefühl, dass uns die Duz-Kultur noch einmal näher zusammenbringt, dass sie das Wir-Gefühl stärkt. Ich nehme in Meetings ein lockereres und auch mutigeres Miteinander wahr. Der Dialog ist seither viel lebendiger geworden.
Arbeitspsychologen sind allerdings skeptisch, ob es gut ist, wenn der Vorgesetzte wie ein Kumpel geduzt wird. Gerade in schwierigen Situationen, im äußersten Fall bei Entlassungsgesprächen, ist es doch auch für den Chef einfacher, wenn es eine Distanz durch das Sie gibt. Wie haben Sie Ihre Führungskräfte da mitgenommen?
Sie haben recht. Der Vorschlag, die Duz-Kultur einzuführen, ist nicht bei jeder Führungskraft gleichermaßen auf positive Resonanz gestoßen. Es gab unter anderem genau die von Ihnen angesprochene Sorge, ob dann die Distanz noch gewahrt bleibt. Wir haben dies sehr ernst genommen, haben viel diskutiert und die Ziele der Duz-Kultur dargelegt. Wir haben aber genauso klar gemacht, was sie nicht sein soll. Duzen oder Siezen darf kein Führungselement sein. Sondern, wir sagen, dass man natürliche Autorität anders erreicht, nämlich mit sachlichen Argumenten und Überzeugungskraft.
Duzen Sie auch Bewerber in den Vorstellungsgesprächen?
Nein, nicht direkt. Wir wollen nicht übergriffig werden. Die Duz-Kultur haben wir intern eingeführt.
Wie haben Sie Ihre Mitarbeiter auf den ersten Duz-Tag im Unternehmen vorbereitet, oder haben Sie einfach den Hebel umgelegt und losging’s?
Nein, wir haben im Vorfeld eine dreimonatige Kampagne gestartet, mit Fotoshootings und Videobotschaften. Auch ich und mein Geschäftsführerkollege Andreas Fischer waren Teil davon.
Opta data ist ein IT-Unternehmen, in dem es, wie Sie sagen, schon vorher eine ausgeprägte Duz-Kultur gab. Glauben Sie, dass sich so etwas letztlich in jedem Unternehmen einführen lässt?
Na ja, wenn es noch keine Duz-Kultur, auch keine informelle, gibt, dann ist der Weg dahin sicher ein weiter. Dann würde ich empfehlen, erst einmal Zwischenschritte zu gehen, bevor man sich dann komplett in der Duz-Kultur vom Pförtner bis zum Geschäftsführer wiederfindet.
Denn Fakt ist ja auch, dass sich die Entscheidung nun nicht mehr rückgängig machen lässt.
Ja, zumindest in meiner aktiven Berufslaufbahn.