Essen. Erika Schneider sucht seit 15 Jahren nach ihrer Tochter. Die Vorwürfe an sich, an den Ex-Freund und auch die Polizei sind inzwischen dem einzigen Wunsch gewichen, abschließen zu können.

Bianca Blömeke hat mit ihrem Ex-Freund gestritten, sie hat geweint und um ihr Leben gefleht. Es folgte ein Knall, dann war schlagartig Ruhe. Das sagte eine Nachbarin bei der Polizei aus, Tage nach dem Streit am 6. August 2000. Seitdem fehlt jede Spur von der damals 19-Jährigen aus Vogelheim. Zurückgelassen hat sie ihr wenige Monate altes Baby, hat keine Papiere und kein Handy mitgenommen, keine Kleider eingepackt und niemals Geld abgehoben. Es gibt sei 15 Jahren kein Lebenszeichen von Bianca Blömeke.

So lange sucht Erika Schneider verzweifelt nach ihrer Tochter und kämpft gegen die quälende Ungewissheit. Großmutter Hedwig Schneider klammert sich fest daran, ihre Enkelin irgendwann wiederzusehen. Wenn es nachts an ihrer Tür klingelt, fragt die 79-Jährige sich jedes Mal, ob da Bianca steht. Sie drückt nur deshalb nicht auf, weil ihre Tochter sie vor Betrügern gewarnt hat. Wenn in der Wohnung gegenüber der Fernseher bis früh morgens läuft, glaubt sie, Bianca könnte dort versteckt gehalten werden. „Dann schaue ich in den Hof, sie muss doch mal Luft schnappen“, sagt die 79-Jährige weinend. Kürzlich klingelte in der Nacht das Telefon: „Wir haben Bianca gefunden“, sagte eine Männerstimme. Hedwig Schneider war so aufgeregt, „dass ich gar nicht wusste, was ich anziehen soll, um sie abzuholen.“ Aber auch ohne diese Grausamkeiten, die ihnen fremde Menschen antun, ist Bianca immer präsent. Ihre Bilder hängen in jedem Zimmer, ein lächelndes Mädchen mit langen blonden Haaren. Auf einem Foto hält sie ihr Baby im Arm.

Polizei kann Ex-Freund nichts nachweisen

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Bianca beginnt nach der Schule eine Lehre als Altenpflegerin, verliebt sich, wird schwanger und bekommt mit 18 Jahren ihr Kind. Noch während der Schwangerschaft trennt sie sich jedoch vom Vater des Kindes, zieht 1999 in eine Wohnung gleich ins Haus neben ihrer Oma. „Es war Bianca aber wichtig, dass der Kleine Kontakt zu seinem Vater hat“, erzählt Erika Schneider. Denn Bianca habe selbst darunter gelitten, ohne Vater aufgewachsen zu sein. Also kommt der Ex-Freund regelmäßig nach Vogelheim. Wie am 6. August. Er bringt das Baby zur Großmutter mit dem Satz: „Wir wollen uns aussprechen.“

Seit August 2000 fehlt von Bianca Blömeke aus Essen-Vogelheim jede Spur.
Seit August 2000 fehlt von Bianca Blömeke aus Essen-Vogelheim jede Spur. © Iris-MEDIEN | Iris-MEDIEN

Als die Oma abends klingelt, ist Bianca nicht mehr da. Erika Schneider wählt die Nummer ihrer Tochter, es geht nur noch der Ex-Freund dran: Bianca ist in der Wanne oder Zigaretten holen, erinnert sie sich an seine Antworten. Nachweisen kann die Polizei ihm zwar später nichts. Doch das Bauchgefühl sagt der Mutter sofort: Bianca ist tot.

„Ich will sie finden, damit wir endlich abschließen können“

Damals verteilt Erika Schneider Flugblätter, klappert Clubs, Straßenstrich und Bordelle ab und informiert Bekannte weltweit. Sie benennt eine Internetseite nach Bianca, wendet sich im Laufe der Jahre an Anwälte und sogar eine Wahrsagerin – bis das Ersparte aufgebraucht ist. Die 54-Jährige verliert vor allem aber auch viel Kraft, wirft sich oft vor, nicht am gleichen Tag zur Polizei gegangen zu sein. „Dann saß ich täglich im Präsidium bei der Beamtin auf dem Tisch“, erzählt sie, fühlt sich damals nicht ernst genommen: „Die glaubten wohl, ein Teenager sei ausgerissen.“

„Erst im Dezember wurde die Mordkommission eingeschaltet, erst da kam die Polizei mit Hunden“, sagt die Mutter, die der Polizei keine Vorwürfe mehr machen will, sondern inständig bittet, Zeugen von damals erneut zu befragen. „Die haben heute selbst Familie“, appelliert sie an deren Mitgefühl. Vor drei Jahren ist Erika Schneider dem Ex-Freund ihrer Tochter in die Arme gelaufen, bat ihn, sich zu melden. „Ich will ihm nichts mehr, ich will nur wissen, wo Bianca ist“, sagt sie, damit ihre Suche ein Ende findet.

Bis vor zwei Jahren flüchtet Erika Schneider sich zumindest zeitweise in ihre Arbeit. Seitdem die Altenpflegerin wegen ihrer Schulterprobleme zu Hause bleiben muss, sitzt sie jeden Tag bis in die frühen Morgenstunden vor dem Computer. Sie liest alles über Skelettfunde, gibt Wörter wie „Schmuck“ oder „Kleider“ ein. Im Mai, als die Leiche von Tanja Gräff aus Trier nach acht Jahren gefunden wird, gönnt Erika Schneider der Mutter die Ruhe von Herzen, ist gleichzeitig ein bisschen neidisch. „Ich glaube, dass auch Bianca nicht weit von ihrer Wohnung ist“, sagt Erika Schneider: „Ich will sie finden, damit wir endlich abschließen können.“