Essen. Ab 16. März gilt für Beschäftigte in Kliniken, Pflege, Praxen eine Impfpflicht. Warum Ungeimpfte trotzdem noch keine Sanktionen fürchten müssen.

Rund 50.000 Beschäftigte in Krankenhäusern, Seniorenheimen, Arztpraxen und Rettungsdiensten sind nach einer Schätzung der Stadt Essen von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht betroffen, die ab 16. März gilt. Wenn sie bis zum Stichtag am Mittwoch keinen vollständigen Impfschutz nachweisen, meldet sie ihr Arbeitgeber ans Gesundheitsamt, das Betretungs- und Betätigungsverbote aussprechen kann. Doch die Impfverweigerer können erstmal aufatmen: Sanktionen drohen vorerst nicht, versichert die Stadt, erst höre man jeden Betroffenen an. Laut Erlass habe das Gesundheitsamt bis zum 31. Mai Zeit, „die eingegangenen Meldungen der Arbeitgeber zu prüfen“. Auch dann sind Strafen und Kontrollen ungewiss.

[In unserem lokalen Newsletter berichten wir jeden Abend aus Essen. Den Essen-Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen.]

Heribert Piel etwa mahnt, dass die Regelungen noch überarbeitet werden müssten. „Sonst könnte es für die Betroffenen dramatisch werden“, sagt der Geschäftsführer der Gesellschaft für Soziale Dienstleistungen Essen (GSE), die sieben Seniorenheime mit rund 730 Plätzen betreibt. „Welche Leistungen soll jemand erhalten, der nicht arbeiten darf, aber noch einen laufenden Arbeitsvertrag mit uns hat?“ Er könne sich kaum vorstellen, dass man am Ende ausgerechnet jene bestrafen wolle, die sich in der Pandemie als Erste der Gefahr einer Ansteckung ausgesetzt hätten. Wenn schon Impfpflicht, dann eine für alle, findet Piel.

Omikron verbreitet sich auch unter Geimpften und Geboosterten rasend schnell

Dabei kann er mit der Impfquote von 98 Prozent bei der GSE sehr zufrieden sein. Zuletzt hätten sich noch zehn Mitarbeiter mit dem neuen Novavax-Impfstoff immunisieren lassen. Nun gebe es noch 20 Ungeimpfte unter 1300 Mitarbeitern; darunter nur drei examinierte Pflegekräfte. Dass sie Kollegen und Bewohner besonders gefährden, fürchtet Piel nicht. Die Omikron-Variante verbreite sich aktuell auch unter Geimpften und Geboosterten rasend schnell, doch die Verläufe seien selbst bei Hochbetagten in der Regel mild. „Die Ungeimpften sind keine Corona-Leugner oder Querdenker. Die haben große Angst vor der Impfung – dagegen kann man schlecht argumentieren.“

Gesundheitsamt hört alle Ungeimpften erst an

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt formal ab 16. März 2022. Bis dahin müssen Beschäftigte von Krankenhäusern, Pflegeheimen, Rettungsdiensten und Arztpraxen ihrem Arbeitgeber gegenüber nachweisen, dass sie vollständig gegen Corona geimpft sind. Laut Bundesgesundheitsministerium melden die Einrichtungen dann jene Beschäftigte, die keinen Impfnachweis erbracht haben, ans Gesundheitsamt. Im Gesetz heißt es: „Das Gesundheitsamt wird den Fall untersuchen und die Person zur Vorlage des entsprechenden Nachweises auffordern. Wenn kein Nachweis vorgelegt wird, kann das Gesundheitsamt der betroffenen Person gegenüber ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot [...] aussprechen.“ Eine Sprecherin der Stadt Essen stellt klar, „dass wir ganz sicher am 16. März noch keinerlei Verbote aussprechen können“. Die Arbeitgeber könnten Ungeimpfte noch bis 31. März melden. Dann folge zunächst ein umfassendes Verfahren mit Anhörungen der Betroffenen. Laut Erlass könnten die Gesundheitsämter die Meldungen der Arbeitgeber bis 31. Mai prüfen.

Auch Dr. Andreas Grundmeier, Leiter der Notfallmedizin und Corona-Einsatzleiter an den Kliniken Essen-Mitte (KEM), glaubt nicht, dass sich die verbleibenden Ungeimpften noch umstimmen lassen. Zu Jahresanfang hätten viele gesagt, sie warteten auf den konventionell hergestellten Protein-Impfstoff Novavax: „Dann ließen sich gerade mal 13 damit impfen.“ Wie Piel bliebt aber auch Grundmeier gelassen: Alle Mitarbeiter trügen FFP2-Masken, alle müssten sich testen lassen – die nun noch 100 Ungeimpften an jedem Arbeitstag. Die Zahl klinge zwar hoch, doch handle es neben Pflegepersonal auch um Küchenkräfte, Fahrer oder Elektriker. Die medizinische Versorgung sei nicht in Gefahr.

Einen Personalmangel befürchten die Essener Krankenhäuser nicht

Wie die KEM setzt auch die Uniklinik Essen auf die 3G- und Hygieneregeln, so lange das Gesundheitsamt keine Sanktionen verhängt. An Essens größtem Krankenhaus, mit 10.500 Mitarbeitern, sind 150 Beschäftigte ungeimpft. 50 von ihnen hätten noch den Genesenen-Status. Einzelne seien durch ein Attest von der Impfung befreit. „Aktuell droht aus unserer Sicht kein Personalmangel“, sagt die Klinik. Das mag auch daran liegen, dass das große Uniklinikum eine regelmäßige Mitarbeiter-Fluktuation hat: Jeden Monat werden 80 Kräfte neu eingestellt – und die sind alle geimpft. Vom Stammpersonal hatten zuletzt noch 40 die Novavax-Impfung gewählt.

„Die Ungeimpften sind keine Corona-Leugner oder Querdenker. Die haben große Angst vor der Impfung“, sagt GSE-Geschäftsführer Heribert Piel.
„Die Ungeimpften sind keine Corona-Leugner oder Querdenker. Die haben große Angst vor der Impfung“, sagt GSE-Geschäftsführer Heribert Piel. © Unbekannt | Bettina Steinacker

Auch an den beiden Krupp-Krankenhäusern hat sich in den vergangenen Wochen dank Novavax noch etwas getan: Die Quote der Ungeimpften sank von fünf auf nur noch zwei Prozent. Die 50 Mitarbeiter ohne Impfschutz melde man dem Gesundheitsamt, sagt Sprecherin Anette Ehrke-Schön. „Wir beabsichtigen nicht, Beschäftigte abzumahnen oder zu kündigen.“

Ärztevertreter hält die Impfpflicht für juristisch wirkungslos

Bei der Contilia mit rund 5000 Beschäftigten in ihren Krankenhäusern richtet man sich zwar auf Personalausfälle ein. Bei einer Impfquote von etwa 98 Prozent dürften diese „aber die Funktion und Arbeitsfähigkeit der Häuser insgesamt nicht einschränken“, sagt Sprecher Thomas Kalhöfer. Schließlich falle seit Beginn der Pandemie regelmäßig Personal aus. Man habe daher längst einen standortübergreifenden Pflegepool eingerichtet, der in Notfällen einspringe.

Auch das Gesundheitsamt werde im Blick behalten, „eine Gefährdung für das Betreiben eines Pflegeheims oder einer Krankenhausstation durch das Verfahren zu vermeiden“, sagt Stadtsprecherin Jasmin Trilling. Wie die Stadt überhaupt überprüfen will, dass etwaige Sanktionen gegen ungeimpfte Mitarbeiter eingehalten werden, ist unterdessen unklar. Noch fehlten dazu die Ausführungsbestimmungen, so Trilling. Dadurch dürfte sich der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo) in Essen, Dr. Michael Hill, bestätigt fühlen, der – der ohnehin bis Jahresende befristeten – Impfpflicht bescheinigt: „Das ist eine Regelung ohne juristische Beine.“ In Hills Praxis liegt die Impfquote auch so bei 100 Prozent.