Essen. Kultur in Coronazeiten: Essens Theater und Philharmonie setzt nicht nur auf Livestream-Konzerte. Sogar am Telefon gibt’s jetzt Klassik-Angebote.
Kein persönlicher Anschluss unter dieser Nummer. Wer derzeit die Nummer des Ticketvorverkaufs der Theater und Philharmonie wählt, hört nur eine Ansage vom Band. Seit Monaten liegt das Veranstaltungsgeschäft der Essener Theater und Philharmonie am Boden. Es gibt keine Vorstellungen, keine Tickets und keine Perspektive, ob und wann die Spielzeit 2020/21 wieder anlaufen wird. Allein das städtische Orchester kann sein Publikum derzeit per Livestream noch halbwegs kontinuierlich erreichen, während sich Tänzer, Schauspieler und Sänger andere Formen der Ansprache überlegen müssen.
Ein neues Genre im Opernfach: die Telefon-Arie
Nach dem Schauspiel Essen geht deshalb nun auch das Aalto-Theater ins Netz – ins Telefonnetz allerdings. Am kommenden Freitag, dem „Welttag der Stimmen“, will man seinem Publikum die Klassik buchstäblich ans Ohr legen – mit einem zehnminütigen Kurz-Auftritt, der direkt durch den Hörer kommt. Ensemblemitglieder wie Jessica Muirhead und Karel Martin Ludvik sind voller Vorfreude. Und das Opernfach wird um ein neues Genre bereichert – die Telefon-Arie.
Bei Anruf Aalto – die Idee klingt bestechend einfach und ist in der technischen Umsetzung doch mit ein paar Herausforderungen verbunden. Einfach Hörer abnehmen, melden und eine Verdi-Arie singen – so einfach ist es dann auch wieder nicht. Dass die große Oper im Mobilnetz nicht den akustische Qualität einer Livevorstellung nahe kommt, versteht sich ohnehin. Und doch soll die Darbietung so professionell wie möglich klingen.
Deshalb stehen sie an diesem Vormittag im Aalto-Foyer, tüfteln an der richtigen Lautstärke der Klavierbegleitung, prüfen mögliche Störgeräusche und Übertragungsverluste, damit Schuberts Widmung „An die Musik“ am Ende auch möglichst wohlklingend beim Publikum ankommt. Egal, ob ein einzelner am Apparat ist oder das Telefon auf Lautsprecher gestellt ist: „Es geht sehr gut“, versichert Klavierbegleiter Wolfram Maria Märtig. Kollegin Juriko Akimoto vergleicht den Sound der Telefon-Konzerte mit dem Klang von Youtube-Aufnahmen. „Es hat einen gewissen Charme.“
„Es ist großartig, dass wir wieder zusammen Musik machen können“
Das exklusive Telefon-Date mit den Aalto-Ensemblemitgliedern gibt es nur nach Voranmeldung. Bei 16 glücklichen Bewerbern wird am Freitag zur vereinbarten Zeit das Telefon klingeln. „Die Leute vermissen diese menschliche Verbindung“, zeigt sich Jessica Muirhead überzeugt. Die Sopranistin kommt wie ihr Kollege Karel Martin Ludvik aus Kanada. Seit Monaten ist auch für die beiden das Telefon die einzige Möglichkeit, die Verbindung in die Heimat zu halten. Das Ensemble sei sonst eigentlich so etwas wie eine Ersatz-Familie, sagt Ludvik.
Doch kollegiale Begegnungen fallen seit Monaten aus. Umso glücklicher sind alle Beteiligten über die Telefonkonzert-Aktion. „Es ist schon großartig, dass wir hier wieder zusammen Musik machen können“, freut sich Ludvik. Christina Clark und Rainer Maria Röhr komplettieren das Anrufer-Quartett. Auch für einen kleinen privaten Plausch soll möglicherweise noch Zeit sein. Jessica Muirhead ist auf alles gefasst: „Wir müssen spontan bleiben“, lacht die Sopranistin. Und Ludvik hofft, so noch einmal ganz neue Publikumsschichten anzusprechen. „Nicht jeder hat ja die technische Möglichkeit, einen Stream anzuschauen.“
Wer die Möglichkeit hat, der schaltet gerne beim Livestream der Essener Philharmoniker zu. Schon im vergangenen Jahr hat das Essener Orchester verschiedene kleine Kammermusik-Formate angeboten und das Konzert-Streamen technisch perfektioniert. Die Zahl der Youtube-Abonnenten ist deutlich nach oben gegangen. Tausende waren beim Weihnachtskonzert dabei, schalteten bei der Verdi-Gala zu und dürfen sich nun auf ein Wunschkonzert mit Musik von Wagner bis Liszt freuen.
Das vom Publikum zusammengestellte Programm wäre gewiss ein Highlight der Sinfoniekonzert-Saison gewesen – mit entsprechend großer Resonanz im Alfried-Krupp-Saal. Von der Begeisterung wird man am Freitag nichts hören, auch wenn bei der Internet-Übertragung sicherlich viele Daumen hochgehen. Es sind die digitalen Krümel jenes Brots, das den Künstler sonst nährt. Kein Applaus, aber immerhin die Begegnung mit Kollegen. „Man merkt, wie viel Kraft das gibt, wenn man spielt“, sagt Fiona Jansen.
Natürlich nutzt Jansen wie ihre Kollegen die Pandemie-Zwangspause derzeit für ausgiebige Übungseinheiten. „Ich habe mir vorgenommen, sehr viel Bach zu spielen, dazu kommt man sonst nicht.“ Doch Berufsmusiker wie die 36-Jährige brauchen nicht nur Disziplin, sondern eben auch verständnisvolle Nachbarn und Partner. Der Freund arbeite jetzt schließlich auch im Homeoffice, erzählt die Violinistin.
Das Spielen vor Publikum ist einfach intensiver
Wunschkonzert mit Götz Alsmann
Am Freitag, 16. April, um 20.15 Uhr ist das Wunschkonzert der Essener Philharmoniker als kostenloser Stream aus dem Alfried Krupp Saal der Philharmonie Essen auf dem YouTube-Kanal des Orchesters zu erleben: www.youtube.com/EssenerPhilharmonikerAuf dem Programm stehen Publikums-Favoriten aus den Kategorien „Ouvertüre“, „Meisterwerke“, „Oper und Ballett“ und „Sinfonische Dichtung“, darunter die Ouvertüre zur Wagner-Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ oder Tschaikowskis Fantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“.Die Moderation übernimmt einmal mehr Götz Alsmann.
„Wir haben jetzt mehr Zeit zu üben, aber das müssen wir auch, weil die Praxis einfach fehlt, sagt Schlagzeuger Stefan Hüge. Trotz der langen Spielpausen habe die Einheit des Orchesters aber nicht gelitten. „Sobald man wieder auf der Bühne sitzt, ist fast alles wie immer“, erklärt der 57-Jährige. Einiges hat sich aber doch geändert. Die Distanz zwischen den Musikern auf der Bühne ist größer als sonst, gespielt wird ohnehin nur mit stark verkleinerter Besetzung. Inzwischen macht die TuP ihren Künstlern vor den Auftritten auch ein Schnelltest-Angebot.
In diesen Tagen zu den festangestellten Musikern zu gehören, sei ohnehin ein Privileg und jedem bewusst, erklärt Fiona Jansen. „Wie dürfen nicht klagen.“ Trotzdem vermissen die Musiker nichts mehr als das Publikum und die Atmosphäre eines voll besetzten Saals. „Das Spielen ist einfach intensiver“, erklärt Stefan Hüge. Schon der gemeinsame Gang auf die Bühne gehöre dazu, „das Summen in den Gängen. Und eine volle Theaterkantine“, lacht Jansen zum Abschied, „wäre auch mal wieder schön“.