Essen. Der Fund einer hochgefährlichen Chemikalie sorgt für einen stundenlangen Ausnahmezustand in Frillendorf. Der brisante Fall wirft Fragen auf.
Nach dem Fund einer hochgefährlichen quecksilberhaltigen Chemikalie im Gebäude des „Tüv Nord“ in Essen-Frillendorf bereiten sich mehrere Behörden auf einen Großeinsatz vor, um die giftige und explosive Substanz zu entsorgen. Am Sonntag (20. Juni) gilt deshalb rund um die Langemarckstraße 20 ab 8 Uhr morgens über mehrere Stunden der Ausnahmezustand.
Anwohner müssen ihre Häuser verlassen, Straßen werden gesperrt. Es sind Spezialunternehmen, die Feuerwehr, die Polizei und das Umweltamt vor Ort, um massive Sicherheitsvorkehrungen umzusetzen.
Wie Stadtsprecherin Jasmin Trilling berichtet, handelt sich bei dem corpus delicti um einen Behälter mit einem Fassungsvermögen von einem Liter, in dem sich sogenanntes Quecksilberoxicyanid befindet, von dem eine große Gefahr ausgehe, wenn es bewegt werde.
Es handelt sich wohl um eine Altlast im wahrsten Wortsinne, die vor Jahrzehnten beim Tüv verwendet und danach eingelagert worden sei - vielleicht auch vergessen worden ist? Auch wenn es bislang keine Hinweise auf ein strafbares Verhalten gibt und die Polizei in dem Fall nicht ermittelt - brisant ist der Vorgang allemal und er wirft Fragen auf.
Substanz soll vor drei Jahren entdeckt worden sein
Wie Sven Ulbrich, Leiter der Konzernkommunikation beim „Tüv Nord“ in Hannover, am Mittwoch bestätigte, lagere der Stoff „seit vielen Jahren in einem Stahlschrank“ und sei bereits vor drei Jahren bei Aufräumarbeiten zur Vorbereitung des Verkaufs der Immobilie an der Langemarckstraße entdeckt worden. Danach habe es drei Jahre gedauert, zwei Gutachten und jede Menge Abstimmung mit der Bezirksregierung als auch den städtischen Behörden sowie privaten Dienstleistern gebraucht, bis die Entsorgung nun datiert werden konnte.
Jasmin Trilling sagte, dass es tatsächlich nur spärliche bis gar keine Erfahrungswerte für den Umgang mit Quecksilberoxicyanid gebe. Was auch der Grund für einen Katastrophentourismus von Amts wegen sein wird, wenn man so will: ABC-Einheiten der Feuerwehren anderer Kommunen werden am Sonntag in Frillendorf als Zaungäste der exklusiven Entsorgung erwartet.
Keine Hinweise auf ein strafbares Delikt
Die Substanz soll über Jahre „sicher verwahrt“ worden sein „an einem Ort, zu dem niemand Unbefugtes Zugang hatte“, versicherte Ulbrich. Der Konzern als Verursacher werde die Kosten für den Einsatz tragen. Nach Informationen dieser Zeitung wird mit mindestens 200.000 Euro kalkuliert. Diese Summe wollte der Tüv-Sprecher nicht kommentieren.
Vorsorglich werden am Sonntagmorgen alle Häuser in einem Radius von 200 Metern um den Fundort evakuiert, da im Falle einer Explosion eine starke Druckwelle mit Splitterwirkung entstehen kann.
Spezialisten machen die Chemikalie unschädlich
Knapp 50 Anwohner und umliegende Gewerbebetriebe werden betroffen sein. Es werde eine Betreuungsstelle für die Betroffenen eingerichtet, kündigt die Stadt an. Während des Einsatzes wird die Chemikalie vor Ort in mehreren Schritten durch Spezialisten eines für den Umgang mit explosiven Stoffen zertifizierten privaten Unternehmens unschädlich gemacht.
Vorsorglich stehen zahlreiche Rettungskräfte der Feuerwehr in Bereitschaft, um schnell eingreifen zu können, sollte jemand trotz aller Vorsichtsmaßnahme mit der Substanz in Berührung kommen. „Es werden auch Einheiten im ABC-Einsatz sein, die für eine mögliche Menschenrettung und Dekontamination in Zusammenhang mit chemischen Stoffen ausgebildet und ausgerüstet sind“, sagt Stadtsprecherin Jasmin Trilling.
Die Stadt Essen richtet ein Bürgertelefon ein
Das Umweltamt und die Feuerwehr Essen werden auch für Luftmessungen zuständig sein, damit die Substanz nicht unbemerkt entweicht. Sobald das Quecksilber unschädlich gemacht und verladen wurde, werden die Sperrungen aufgehoben und die Anwohner können in ihre Wohnungen zurückkehren. Sie werden wohl Geduld mitbringen müssen: Es sei noch nicht absehbar, wie lange der Einsatz insgesamt dauern werde. Er könne sich unter Umständen bis zum Abend hinziehen. Verkehrliche Einschränkungen sind absehbar.
Die Stadt richtet für den Sonntag ein Bürgertelefon (123-8888) ein und informiert über den Einsatz auf ihrer Homepage und ihrem Facebook-Account.